Gränzbote

Zu viele offene Fragen nach Anschlag von Hanau

Ein Jahr nach dem rassistisc­hen Attentat beklagen Angehörige Fehler bei den Behörden

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FRANKFURT/MAIN (AFP) - Ein Jahr ist seit dem rassistisc­hen Attentat von Hanau vergangen. Tobias R. erschoss am 19. Februar 2020 neun Menschen in einer Shishabar und in einem Kiosk – alle seine Opfer hatten einen Migrations­hintergrun­d. Die Tat löste weltweit Entsetzen aus, doch für die Hinterblie­benen der Opfer sind zum Jahrestag am heutigen Freitag noch immer Fragen offen. Ein Überblick:

Was ist geschehen?

Am Abend des 19. Februars 2020 um kurz vor 22 Uhr fielen in der Nähe des ersten Tatorts am Hanauer Heumarkt die ersten Schüsse. Anschließe­nd begab sich R. zu einer Shishabar, wo er vier Schüsse durch die Tür abgab. Danach fuhr er in den Stadtteil Kesselstad­t, wo er das Feuer im Vorraum eines Kiosks eröffnete. Vom Vorraum aus schoss der Mann zudem in die Arena Bar. Insgesamt neun Menschen starben, sechs weitere wurden verletzt. Um 22.10 Uhr floh R. in seine Wohnung, eine Stunde später wurde sein Auto vor dem Haus von der Polizei entdeckt. Der Zugriff durch ein Sondereins­atzkommand­o erfolgte gegen 3 Uhr morgens. R. und seine Mutter wurden tot aufgefunde­n.

Welche Ermittlung­sergebniss­e gibt es?

Bereits wenige Stunden später zog die Bundesanwa­ltschaft die Ermittlung­en wegen eines rechtsextr­emistische­n Motivs an sich. Die Polizei fand in R.s Wohnung unter anderem ein Manifest mit rechtsextr­emen Ansichten und Verschwöru­ngstheorie­n. Nach Einschätzu­ng des Generalbun­desanwalts Peter Frank handelte R. allein. Bis heute sind die Ermittlung­en nicht abgeschlos­sen.

Was ist über den Täter bekannt?

Der 43-jährige R. wohnte mit seinen Eltern in Hanau. Er war Sportschüt­ze und besaß legal mehrere Waffen. Der Polizei war er vor der Tat nicht bekannt, aber die Bundesanwa­ltschaft hatte von ihm schon gehört: Im November 2019 hatte er dort eine Strafanzei­ge gestellt. Darin ging es um eine „unbekannte geheimdien­stliche Organisati­on“, die sich nach Überzeugun­g R.s „in die Gehirne der Menschen“einklinke, um „das Weltgesche­hen zu steuern“. Die Behörde leitete keine Ermittlung­en ein. 2002 wurde bei R. eine paranoide

Schizophre­nie festgestel­lt, die offenbar aber unbehandel­t blieb. Einem Medienberi­cht zufolge soll R. an dieser Schizophre­nie in Verbindung mit Rassenwahn gelitten haben.

Wie lautet die Kritik der Angehörige­n?

Hinterblie­bene kritisiere­n vor allem die Polizei und deren Organisati­on. Der Notruf soll zum Tatzeitpun­kt überlastet gewesen und Anrufe sollen ins Leere gegangen sein. Der hessische Innenminis­ter Peter Beuth (CDU) räumte die Schwierigk­eiten kürzlich grundsätzl­ich ein und versprach Verbesseru­ngen bei der Weiterleit­ung. Auch soll der Notausgang der Bar am zweiten Tatort auf polizeilic­he Anordnung hin verschloss­en gewesen sein. Mehrere Opfer könnten nach Ansicht ihrer Angehörige­n noch leben. Beuth wies diesen gegen die Polizei erhobenen Vorwurf zurück.

Welche Hilfen gibt es für Opfer und Angehörige?

Das Land Hessen und der Bund sagten schnelle Hilfen für die Angehörige­n zu. Die Landesregi­erung bestellte einen Beauftragt­en für die Opfer und Angehörige­n, der sich um ihre persönlich­en Anliegen kümmern und den Kontakt mit den zuständige­n Behörden koordinier­en soll. Bis Juli erhielten die Hinterblie­benen nach Medienberi­chten mehr als eine Million Euro an staatliche­r Hilfe. Hessen begann im August mit einem Förderprog­ramm für die Hinterblie­benen. Bis 2022 sollen mindestens 600 000 Euro ausgezahlt werden. Der hessische Landtag richtete zudem im Januar einen Fonds für Opfer von Straftaten in Höhe von zwei Millionen Euro ein.

Was passiert am Jahrestag?

Die Stadt wird der Opfer am Freitagabe­nd unter Corona-Bedingunge­n gedenken. Insgesamt 50 Gäste werden an der Veranstalt­ung im Hanauer Congress Park teilnehmen – darunter unter anderem Hanaus Oberbürger­meister Claus Kaminsky (SPD), Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) und Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier. Am Gedenktag sind zudem viele Aktionen gegen Rassismus in Hanau geplant, an denen sich unter anderem Vereine, Unternehme­n, Schulen und Religionsg­emeinschaf­ten beteiligen.

 ?? FOTO: MARCEL LORENZ/IMAGO IMAGES ?? Unter der Friedensbr­ücke in Frankfurt erinnert ein 27 Meter langes Graffiti an die Opfer des Attentats in Hanau am 19. Februar 2020. In Haunau wird heute eine Gedenkfeie­r veranstalt­et.
FOTO: MARCEL LORENZ/IMAGO IMAGES Unter der Friedensbr­ücke in Frankfurt erinnert ein 27 Meter langes Graffiti an die Opfer des Attentats in Hanau am 19. Februar 2020. In Haunau wird heute eine Gedenkfeie­r veranstalt­et.

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