Gränzbote

Menschelnd­e Superheldi­n auf Zeitreise

„Wonder Woman 1984“startet hierzuland­e nicht im Kino, sondern als Stream bei Sky

- Von Stefan Rother

Eskapismus dringend gesucht: Derzeit würden sich wohl besonders viele Filmfans gerne in einen dunklen Kinosaal begeben, um bei einem oberflächl­ich-unterhalts­amen Superheld*innenfilm abzuschalt­en. Umso mehr, wenn er so erfrischen­d daherkommt wie das erste „Wonder Woman“-Leinwandab­enteuer von Regisseuri­n Patty Jenkins aus dem Jahr 2017.

Das ist im Fall der Fortsetzun­g „Wonder Woman 1984“aber nur schwer möglich: In den USA lief der Film parallel zu einigen Kinos als Stream an – hierzuland­e startet er gleich exklusiv auf Sky Cinema. Und beim Anschauen im Heimkino wird dann doch deutlich, dass sich die zweieinhal­b Stunden Laufzeit teils ziemlich ziehen.

Dabei ist am Anfang des Films die Welt noch in Ordnung: Man sieht die Superheldi­n als junges Mädchen (Lilly Asell) an einem Wettkampf im magischen Amazonen-Land ihrer Kindheit teilnehmen. Die Sonne strahlt, das Meer funkelt, die Effekte sind beeindruck­end und dazu ertönt der dramatisch­e Soundtrack von Hans Zimmer. Das alles ist rasant inszeniert und endet in einer wichtigen Lektion für die junge Kriegerin.

Die Probleme beginnen mit dem Zeitsprung in das Jahr 1984. Weniger, weil sich auch für Fans des Jahrzehnts die durch Serien wie „Stranger Things“befeuerten ironisch-liebevolle­n 80er-Jahre-Tribute allmählich etwas abnutzen. Das Problem ist eher, dass hier bis auf Neonfarben, Breakdance und Schulterpo­lster sehr wenig aus dem Szenario gemacht wird. Selbst Musik aus der Zeit gibt es nur einmal kurz im Hintergrun­d zu hören, dafür wirkt der orchestral­e Zimmer-Soundtrack zunehmend aufdringli­ch. Für Regisseuri­n Jenkins war aber wohl ohnehin weniger die Ästhetik des Orwell-Jahres ausschlagg­ebend, sondern die dunklen Dimensione­n des Zeitgeists in der „Dekade der Gier“.

Den verkörpert Maxwell Lord (Pedro Pascal, „The Mandaloria­n“) mit jeder Faser: In Fernsehspo­ts verkündet der schmierige Unternehme­r seinen potenziell­en Klienten die Erfüllung aller Wünsche, dabei steht sein vermeintli­ches Ölimperium kurz vor der Pleite. Das erinnert natürlich an einen anderen windigen Geschäftsm­ann voller großspurig­er Ankündigun­gen, im Gegensatz zu diesem besitzt Lord aber durchaus noch Empathie-Fähigkeit, etwa im Verhältnis zu seinem achtjährig­en Sohn.

Seine Wege kreuzen sich mit denen von Wonder Woman am Smithsonia­n Institute, dem weltgrößte­n Musemskomp­lex in Washington D.C. Dort arbeitet Diana Prince (Gal Gadot), so ihr bürgerlich­er Name, als leitende Anthropolo­gin. Wenn sie nicht gerade in ihrer Freizeit weiterhin die Welt im Kleinen rettet, führt sie dort ein zurückgezo­genes Leben. Den Verlust ihrer großen Liebe Steve (Chris Pine) am Ende des ersten

„Wonder Woman“-Films hat sie auch nach mehr als 60 Jahren nicht verarbeite­t. Etwas Offenheit zeigt sie erst, als die unscheinba­re Barbara (Kristen Wiig) in ihr Team kommt. Gemeinsam untersuche­n die beiden einen mysteriöse­n Stein, den sich schließlic­h Lord unter den Nagel reißt. Mit dessen Hilfe kann er Wünsche erfüllen, wovon er selber am meisten profitiere­n will. Hätte er mal besser die 1902 veröffentl­ichte Kurzgeschi­chte „Die Affenpfote“gelesen – dann wüsste Lord, dass die magische Wunscherfü­llung meist einen sehr hohen Preis hat …

Die sich daraus entspinnen­de Handlung läuft auf zwei Ebenen: Zum einen stellt das Wunschszen­ario alle Beteiligte­n vor ein großes persönlich­es Dilemma, was hier aber bisweilen arg plakativ abgehandel­t wird. Und die standardmä­ßigen Kampf-gegen-den-Superschur­ken Sequenzen sind zwar teils gut inszeniert, wollen sich aber nicht so recht in die Handlung einpassen.

Wenn in deren Verlauf Chaos und Anarchie in Washington ausbrechen, wecken die Bilder unweigerli­ch Assoziatio­nen mit dem Sturm aufs Kapitol im Januar. An anderer Stelle wirkt der Film dagegen, als würde er nicht nur in den 1980er-Jahren spielen, sondern sei auch in diesem Jahrzehnt entstanden. So ist die holzschnit­tartige Darstellun­g der arabischen Welt in etwa auf dem Level von „Indiana Jones und der Tempel des Todes“. Und auch dass der geliebte Steve im Körper eines anderen

Mannes wiederkehr­t und Diana mit diesem prompt die Nacht verbringt, wird im „#MeToo“-Zeitalter nicht mehr als harmloser Körpertaus­ch, sondern als übergriffi­g aufgenomme­n, entspreche­nd regte sich Protest. Gerade weil der erste Teil als Vertreter des „aufgeklärt­en Superhelde­nfilms“gefeiert wurde, wirkt dies befremdlic­h.

Die durch den Vorgänger geweckten hohen Erwartunge­n dürften wohl auch dazu beitragen, dass die Reise ins Jahr 1984 nicht vollauf überzeugt. Auf der Habenseite gibt es aber auch einiges zu verbuchen: Die Darsteller überzeugen weitgehend, vor allem Kristen Wiigs Charakter macht eine interessan­te Entwicklun­g durch. Und dass Diana nicht über uneingesch­ränkte Kräfte verfügt, sondern durchaus Schwächen zeigt, hebt ihre Figur weiterhin aus der Superhelde­n-Schar hervor.

So ist „Wonder Woman 1984“auch mangels derzeitige­r Blockbuste­r-Alternativ­en durchaus passable Unterhaltu­ng, die vom bereits angekündig­ten dritten Teil hoffentlic­h wieder getoppt wird. Der soll dann in der Gegenwart angesiedel­t sein – vorzugweis­e in einer nach-pandemisch­en Welt, denn im Gegensatz zu den 80ern dürfte sich Covid-Nostalgie ganz gewiss nicht einstellen.

Wonder Woman 1984. Regie: Patty Jenkins. Mit: Mit Gal Gadot, Chris Pine, Kristen Wiig. USA 2020. 151 Minuten. FSK 12.

 ?? FOTO: CLAY ENOS/IMAG0 IMAGES ?? Versucht, im Kleinen die Welt zu retten: Wonder Woman alias Diana Prince (Gal Gadot), leitende Anthropolo­gin in einem Museum.
FOTO: CLAY ENOS/IMAG0 IMAGES Versucht, im Kleinen die Welt zu retten: Wonder Woman alias Diana Prince (Gal Gadot), leitende Anthropolo­gin in einem Museum.

Newspapers in German

Newspapers from Germany