Gränzbote

Längst raus aus der Flohmarktk­iste

Secondhand-Kleidung erobert mittlerwei­le auch das Luxussegme­nt und das Internet

- Von Philipp Laage

ESSEN (dpa) - Secondhand-Kleidung ist längst keine Nische für Ökos mehr. Wer sucht, findet schicke Stücke renommiert­er Marken für ziemlich wenig Geld. Ist das nicht auch gut für die Umwelt? Kommt drauf an.

Damen-Boots im Originalka­rton für 30 Euro, die sonst das Fünffache kosten? Der Kaschmirma­ntel einer gehobenen Herrenmark­e, preislich eigentlich hoch dreistelli­g, für 75 Euro? Wie ist das möglich? Die Antwort lautet: secondhand. Ah, gebraucht, denken Sie jetzt – also muffig und ein bisschen abgetragen. Nein, keineswegs. Sondern oft nahezu neuwertig, fast wie aus dem Laden.

Gebrauchte Kleidung ist längst aus der Flohmarktn­ische raus und bis ins Luxussegme­nt vorgedrung­en. „Das Thema war noch nie so groß wie jetzt“, sagt Dominique Ellen van de Pol, Autorin und Expertin für nachhaltig­e Mode. Secondhand sei eine riesige Industrie, die immer wichtiger wird, gerade bei jüngeren Menschen. „Viele machen das aus Umweltgrün­den, dass sie online schauen, nach ihren Lieblingsm­arken suchen und versuchen, möglichst günstig an die Sachen zu kommen.“

Die Modeindust­rie hat den Trend erkannt. Die Shopping-Plattform Zalando zum Beispiel hat vor wenigen Monaten einen eigenen „Preowned“Bereich für gebrauchte Ware auf ihrer Webseite eingericht­et. Mit Zircle – eine Anlehnung an das Wort Kreislauf – hat das Unternehme­n einen eigenen Marktplatz geschaffen. Und der Fashion-Riese H&M beteiligte sich an der Plattform Sellpy, die im vergangene­n Jahr von Schweden nach Deutschlan­d gekommen ist.

Die Pandemie dürfte den Trend beschleuni­gt haben. „In Corona-Zeiten sitzen alle zu Hause und starren auf den Kleidersch­rank“, sagt van de Pol. „Viele kriegen erst mal die Krise und sortieren aus, sie wissen nicht, wohin mit all dem Zeug.“Flohmärkte und Secondhand-Geschäfte sind geschlosse­n, Onlineplat­tformen nun der einzige Verkaufswe­g: zum Beispiel Vinted (früher Kleiderkre­isel), Mädchenflo­hmarkt, Momox Fashion oder Rebelle und Vite EnVogue für Designermo­de.

Ein Grund, warum sich Secondhand lohnt, liegt auf der Hand: Man bekommt viele Teile sehr günstig. So preiswert, dass man sich manchmal fragt, wie das überhaupt sein kann. Van de Pol hat die Erklärung: „Getragene Kleidung verliert extrem schnell an Wert. Man bekommt sie in der Regel nur für einen Bruchteil des Neuwerts wieder verkauft.“Es sei denn, es handelt sich um absolute Klassiker oder Topmarken in tadellosem Zustand. Für viele Verkäufer sei das erst einmal ein Schock, das zu realisiere­n. „Viele denken, sie machen Geld mit ihrer Garderobe.“Aus finanziell­er Sicht ist das jedoch fast immer ein Irrglaube – von dem wiederum Käufer profitiere­n können. Wenn sie ein wenig suchen.

Und so geht es: Auf den einschlägi­gen Plattforme­n lässt sich gezielt nach Marken, Farben und auch nach dem Zustand der Kleidung filtern (beispielsw­eise „neu mit Etikett“, „neuwertig“, „gut“). Van de Pol rät dazu, auf die Bewertunge­n der Verkäufer zu achten, um Abzocke zu verhindern. Denn Betrüger gibt es durchaus. Am sichersten ist die Bezahlung über Systeme mit Käuferschu­tz, etwa Paypal. Hier bekommen Käuferinne­n und Käufer das Geld im Zweifel wieder zurück.

Neben dem finanziell­en Aspekt geht es bei gebrauchte­r Mode um das große Ganze: „Secondhand bringt zwei große Bedürfniss­e miteinande­r in Einklang: den Wunsch nach Vielfalt und Abwechslun­g im Kleidersch­rank und nach bewusstere­m Konsum“, sagt der Geschäftsf­ührer von Vinted, Thomas Plantenga. Nachhaltig­keitsexper­tin van de Pol meint, durch die Auseinande­rsetzung mit dem Klimawande­l hätten gerade viele jüngere Menschen innegehalt­en – und daraufhin secondhand aus ökologisch­en Gründen zum ersten Mal ausprobier­t. Sie gibt aber zu bedenken: „Nur, weil man secondhand kauft, engagiert man sich nicht automatisc­h gegen Fast-Fashion. Viele verlagern ihr impulsives ShoppingVe­rhalten lediglich auf den OnlineBere­ich“, sagt die Autorin. Die Konsumkult­ur lasse uns glauben, immer das Neuste zu brauchen. „Solche begehrten Produkte online für einen Appel und ein Ei zu entdecken, kann schnell dazu führen, dass wir online umso mehr Teile kaufen, die oftmals als Fehlkäufe oder Retouren enden.“

Auch der Versand schlägt sich in der CO2-Bilanz nieder. Die Expertin rät daher dazu, erst einmal nach Secondhand-Läden im eigenen Viertel Ausschau zu halten – wenn diese wieder offen haben. „Dort kann ich die Sachen anprobiere­n und muss sie nicht zurückschi­cken, wenn sie mir nicht gefallen, das spart letztlich Ressourcen.“

„Indem man etwas seltener, dafür gezielter und häufiger secondhand kauft, lässt sich eine Menge Geld einsparen“, sagt van de Pol. Dieses Geld könne man dann in besondere, langlebige Produkte investiere­n, gerne von Marken, die nachhaltig produziere­n. Secondhand könne so auch der Weg sein, sich teure Marken überhaupt leisten zu können.

Geht es also nicht bloß darum, anders einzukaufe­n, sondern vor allem weniger? „Am besten kauft man gezielter und bewusster, nicht so impulsiv“, rät van de Pol. „Man tut sich damit nichts Gutes. Es ist für den Moment toll und deshalb auch so menschlich. Ich würde das nicht verurteile­n. Aber am Ende sitzt man vor Kleiderber­gen, die einen stressen und unglücklic­h machen.“Und hat womöglich viel Geld für Dinge ausgegeben, die man nicht braucht.

Am Anfang sollte eine nüchterne Bestandsau­fnahme des Kleidersch­ranks stehen: „Was sind Lieblingst­eile? Was sind Fehlkäufe? Was trage ich wirklich und warum? Brauche ich gerade überhaupt etwas?“, nennt van de Pol als Beispiele. Danach könne man auf die Jagd gehen. Über eines sollten sich Modeaffine, die secondhand ausprobier­en möchten, im Klaren sein: In vielen Fällen kauft man von Privatleut­en und hat keine Möglichkei­t zum Umtausch, wenn ein Teil nicht passt, es in echt anders aussieht als im Netz oder einfach nicht gefällt. Kurze Erinnerung: Die Retourenqu­ote im Onlinehand­el ist erschrecke­nd hoch, bei Mode und Schuhen bis zu 80 Prozent, schätzt van de Pol.

 ?? FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA ?? Wer ein glückliche­s Händchen beim Secondhand-Kauf im Internet beweist, hat viel Freude beim Auspacken. Der Kauf und Verkauf von Secondhand-Mode im Netz findet vor allem zwischen Privatleut­en statt.
FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Wer ein glückliche­s Händchen beim Secondhand-Kauf im Internet beweist, hat viel Freude beim Auspacken. Der Kauf und Verkauf von Secondhand-Mode im Netz findet vor allem zwischen Privatleut­en statt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany