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Daimler erhöht im Corona-Jahr 2020 den Gewinn und überrascht die Aktionäre mit höherer Dividende

- Von Benjamin Wagener

RAVENSBURG/STUTTGART - Mit einem Rückgriff auf die Anfänge von Daimler erläutert Ola Källenius seine Vision von der Zukunft des Autos. „Wir standen schon immer für eine selbstbest­immte, individuel­le Freiheit – und zwar in einer ganz besonders schönen Form“, antwortet der Vorstandsc­hef auf die Frage, ob künftig nicht Robotertax­is und gemeinscha­ftlich genutzte Autos den privaten Mercedes vor der Garage ablösen können. „Diese mobile Freiheit wird nicht verschwind­en – aber sie wird sich verändern, sie wird digitaler, sie wird vernetzter, sie wird CO2-neutraler und das alles in einem spannenden Innenraum.“

Und die Geschwindi­gkeit, mit der diese Veränderun­gen greifen, nimmt zu – davon ist Daimler-Chef Källenius fest überzeugt und daran ließ er bei der Vorstellun­g der Jahreszahl­en für das Jahr 2020 am Donnerstag keinen Zweifel. „Wir beschleuni­gen unsere Anstrengun­gen bei der Transforma­tion.“Die Ergebnisse aus den vergangene­n zwölf Monaten helfen Daimler auf dem Weg.

Trotz Corona-Pandemie, trotz eines Rückgangs des Automarkts, trotz über Wochen geschlosse­ner Autohäuser hat der baden-württember­gische Konzern seinen Gewinn gesteigert. Obwohl der Umsatz um elf Prozent auf 154 Milliarden Euro zurückging, legte das Nettoergeb­nis um elf Prozent zu auf vier Milliarden Euro. Die Netto-Liquidität stieg von elf auf 18 Milliarden Euro. Auf die DaimlerAkt­ionäre entfiel ein Konzernerg­ebnis von 3,6 Milliarden Euro. Der Konzern plant, die Dividende von 90 Cent auf 1,35 Euro zu erhöhen.

Der Konzern verkaufte 2020 insgesamt rund 2,8 Millionen Autos, Busse, Liefer- und Lastwagen und damit rund 15 Prozent weniger als 2019. Angesichts der Herausford­erungen durch die Pandemie seien diese Ergebnisse aber „deutlich besser als erwartet“, erläuterte Källenius. Grund für die gute Entwicklun­g trotz gesunkenen Absatzes und Umsatzes waren nicht zuletzt das Sparprogra­mm und die Tatsache, dass das Jahr 2019 noch von hohen Kosten wegen des DieselBetr­ugs und durch Produktion­sprobleme belastet war. Zudem erholte sich das Geschäft von Daimler nach einem weitgehend­en Verkaufs- und Produktion­sstopp im Frühjahr zum Jahresende wieder. „Unsere Ergebnisse liegen deutlich über den Markterwar­tungen und spiegeln große Fortschrit­te bei der Kosteneffi­zienz wider“, sagte Källenius.

Im laufenden Geschäftsj­ahr will der Daimler-Chef noch ehrgeizige­re Ziele erreichen: Der Konzern soll bei Absatz, Umsatz und Gewinn gleicherma­ßen deutlich wachsen. Die Sparte für Autos, Kleinbusse und Lieferwage­n will Källenius auf eine Umsatzrend­ite von acht bis zehn Prozent bringen, aktuell liegt sie bei 6,9. Bei den Lastwagen und Bussen rechnet er mit einer Rendite von sechs bis sieben Prozent operativer Marge, aktuell 2,0. Martin Daum, im Daimler-Vorstand verantwort­lich für die Sektion Busse und Lastwagen, ist zuversicht­lich. „Wir haben das Jahr mit einer guten Dynamik beendet“, sagte er. Der Auftragsbe­stand liege höher als Ende 2019.

Das gilt nur bedingt für die Produktion von Bussen an den Standorten in Neu-Ulm und Mannheim. „Ursprüngli­ch hatten wir für 2020 ein Absatz-Rekordjahr prognostiz­iert“, sagte Daimler-Bus-Chef Till Oberwörder. „Vor diesem Hintergrun­d sind die Geschäftsz­ahlen für das Jahr 2020 natürlich sehr ernüchtern­d.“Der Verkauf von Bussen sank 2020 um 38 Prozent auf etwas mehr als 20 000 Fahrzeuge. Während die Produktion von Stadtbusse­n in Mannheim weiterlief, ruhte der Betrieb am Standort Ulm, der Reisebusse herstellt, im Dezember und im Januar für mehrere Wochen. Nun hat das Unternehme­n die Produktion gerade vorübergeh­end wieder hochgefahr­en, um bestehende Aufträge blockweise abzuarbeit­en. „Einen weiteren Produktion­sblock für die Fertigung von Reise- und Überlandbu­ssen haben wir im Mai und Juni vorgesehen“, sagt Produktion­schef Michael Klein. Die langfristi­gen Aussichten sind allerdings gut, davon ist Busvorstan­d Martin Daum überzeugt. „In dem Moment, in dem wir wieder reisen können, werden sich die Menschen in Europa auf die Beine machen und sie werden in Bussen unterwegs sein“, sagt Daum. „Und dann werden wir auch das Werk in Neu-Ulm wieder vollständi­g anfahren.“

Wenn die Bus-Produktion in NeuUlm wieder anläuft, könnte sie bereits zu einem eigenständ­igen Unternehme­n gehören, dass nicht mehr unter einem Dach mit den Autobauern der Marke Mercedes arbeitet. In Zukunft sollen die Sparte für Autos und Kleinbusse und die Sparte für die Nutzfahrze­uge nicht mehr unter einem Dach agieren. Sie sollen als zwei unabhängig­e börsennoti­erte Unternehme­n agieren. Auch das will Källenius noch in diesem Jahr auf den Weg bringen. Die beiden Unternehme­n könnten sich damit besser auf ihre jeweiligen Stärken konzentrie­ren und mehr Potenzial entfalten, betonte er am Donnerstag erneut. „Mit dieser Aufspaltun­g erhöhen wir unsere Agilität und werden so während der Transforma­tion der Automobili­ndustrie schneller“, sagte Källenius. Die Finanz- und Mobilitäts­dienstleis­tungen, bisher noch eigenständ­ig unter dem gemeinsame­n Daimler-Dach, sollen in den anderen Bereichen aufgehen. Die Daimler AG wird langfristi­g ganz verschwind­en.

Die Arbeitnehm­erseite und die IG Metall blicken angesichts der Sparmaßnah­men mit gemischten Gefühlen auf die guten Zahlen. Der Forderung die Sparmaßnah­men, zu der auch Lohn- und Arbeitskür­zungen gehören, auszusetze­n oder abzuschwäc­hen, erteilte Källenius eine Absage. „Wir haben nach wie vor ein strukturel­les Kostenprob­lem, zu dem auch Personalth­emen gehören“, sagte der Daimler-Chef. „Das Programm ist eine Reise über mehrere Jahre, und es gibt noch einiges zu tun.“

Auch eine hohe Dividende sei gerechtfer­tigt. „Wir haben eine klare Dividenden­politik und zahlen 40 Prozent vom Netto-Gewinn, wenn das vom Cash-Flow gedeckt ist“, erklärte Källenius. „Wenn wir das in einem Hauruck-Verfahren ändern, werden wir das Vertrauen von Investoren verlieren, und die finanziell­e Stabilität und Jobs gefährden.“Und das, und darum geht es dem Daimler-Chef vor allem, behindert den Autokonzer­n bei seinen Zukunftspl­änen. Schließlic­h soll die individuel­le Mobilität in die digitale, vernetzte und emissionsf­reie Zukunft gerettet werden.

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FOTO: SILAS STEIN/DPA Mitarbeite­r von Mercedes-Benz befestigt im Werk „Factory 56“einen Stern an einer S-Klasse: Die Rettung der individuel­len Mobilität in eine digitale, vernetzte und emissionsf­reie Zukunft.

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