Stresstest bestanden
Daimler erhöht im Corona-Jahr 2020 den Gewinn und überrascht die Aktionäre mit höherer Dividende
RAVENSBURG/STUTTGART - Mit einem Rückgriff auf die Anfänge von Daimler erläutert Ola Källenius seine Vision von der Zukunft des Autos. „Wir standen schon immer für eine selbstbestimmte, individuelle Freiheit – und zwar in einer ganz besonders schönen Form“, antwortet der Vorstandschef auf die Frage, ob künftig nicht Robotertaxis und gemeinschaftlich genutzte Autos den privaten Mercedes vor der Garage ablösen können. „Diese mobile Freiheit wird nicht verschwinden – aber sie wird sich verändern, sie wird digitaler, sie wird vernetzter, sie wird CO2-neutraler und das alles in einem spannenden Innenraum.“
Und die Geschwindigkeit, mit der diese Veränderungen greifen, nimmt zu – davon ist Daimler-Chef Källenius fest überzeugt und daran ließ er bei der Vorstellung der Jahreszahlen für das Jahr 2020 am Donnerstag keinen Zweifel. „Wir beschleunigen unsere Anstrengungen bei der Transformation.“Die Ergebnisse aus den vergangenen zwölf Monaten helfen Daimler auf dem Weg.
Trotz Corona-Pandemie, trotz eines Rückgangs des Automarkts, trotz über Wochen geschlossener Autohäuser hat der baden-württembergische Konzern seinen Gewinn gesteigert. Obwohl der Umsatz um elf Prozent auf 154 Milliarden Euro zurückging, legte das Nettoergebnis um elf Prozent zu auf vier Milliarden Euro. Die Netto-Liquidität stieg von elf auf 18 Milliarden Euro. Auf die DaimlerAktionäre entfiel ein Konzernergebnis von 3,6 Milliarden Euro. Der Konzern plant, die Dividende von 90 Cent auf 1,35 Euro zu erhöhen.
Der Konzern verkaufte 2020 insgesamt rund 2,8 Millionen Autos, Busse, Liefer- und Lastwagen und damit rund 15 Prozent weniger als 2019. Angesichts der Herausforderungen durch die Pandemie seien diese Ergebnisse aber „deutlich besser als erwartet“, erläuterte Källenius. Grund für die gute Entwicklung trotz gesunkenen Absatzes und Umsatzes waren nicht zuletzt das Sparprogramm und die Tatsache, dass das Jahr 2019 noch von hohen Kosten wegen des DieselBetrugs und durch Produktionsprobleme belastet war. Zudem erholte sich das Geschäft von Daimler nach einem weitgehenden Verkaufs- und Produktionsstopp im Frühjahr zum Jahresende wieder. „Unsere Ergebnisse liegen deutlich über den Markterwartungen und spiegeln große Fortschritte bei der Kosteneffizienz wider“, sagte Källenius.
Im laufenden Geschäftsjahr will der Daimler-Chef noch ehrgeizigere Ziele erreichen: Der Konzern soll bei Absatz, Umsatz und Gewinn gleichermaßen deutlich wachsen. Die Sparte für Autos, Kleinbusse und Lieferwagen will Källenius auf eine Umsatzrendite von acht bis zehn Prozent bringen, aktuell liegt sie bei 6,9. Bei den Lastwagen und Bussen rechnet er mit einer Rendite von sechs bis sieben Prozent operativer Marge, aktuell 2,0. Martin Daum, im Daimler-Vorstand verantwortlich für die Sektion Busse und Lastwagen, ist zuversichtlich. „Wir haben das Jahr mit einer guten Dynamik beendet“, sagte er. Der Auftragsbestand liege höher als Ende 2019.
Das gilt nur bedingt für die Produktion von Bussen an den Standorten in Neu-Ulm und Mannheim. „Ursprünglich hatten wir für 2020 ein Absatz-Rekordjahr prognostiziert“, sagte Daimler-Bus-Chef Till Oberwörder. „Vor diesem Hintergrund sind die Geschäftszahlen für das Jahr 2020 natürlich sehr ernüchternd.“Der Verkauf von Bussen sank 2020 um 38 Prozent auf etwas mehr als 20 000 Fahrzeuge. Während die Produktion von Stadtbussen in Mannheim weiterlief, ruhte der Betrieb am Standort Ulm, der Reisebusse herstellt, im Dezember und im Januar für mehrere Wochen. Nun hat das Unternehmen die Produktion gerade vorübergehend wieder hochgefahren, um bestehende Aufträge blockweise abzuarbeiten. „Einen weiteren Produktionsblock für die Fertigung von Reise- und Überlandbussen haben wir im Mai und Juni vorgesehen“, sagt Produktionschef Michael Klein. Die langfristigen Aussichten sind allerdings gut, davon ist Busvorstand Martin Daum überzeugt. „In dem Moment, in dem wir wieder reisen können, werden sich die Menschen in Europa auf die Beine machen und sie werden in Bussen unterwegs sein“, sagt Daum. „Und dann werden wir auch das Werk in Neu-Ulm wieder vollständig anfahren.“
Wenn die Bus-Produktion in NeuUlm wieder anläuft, könnte sie bereits zu einem eigenständigen Unternehmen gehören, dass nicht mehr unter einem Dach mit den Autobauern der Marke Mercedes arbeitet. In Zukunft sollen die Sparte für Autos und Kleinbusse und die Sparte für die Nutzfahrzeuge nicht mehr unter einem Dach agieren. Sie sollen als zwei unabhängige börsennotierte Unternehmen agieren. Auch das will Källenius noch in diesem Jahr auf den Weg bringen. Die beiden Unternehmen könnten sich damit besser auf ihre jeweiligen Stärken konzentrieren und mehr Potenzial entfalten, betonte er am Donnerstag erneut. „Mit dieser Aufspaltung erhöhen wir unsere Agilität und werden so während der Transformation der Automobilindustrie schneller“, sagte Källenius. Die Finanz- und Mobilitätsdienstleistungen, bisher noch eigenständig unter dem gemeinsamen Daimler-Dach, sollen in den anderen Bereichen aufgehen. Die Daimler AG wird langfristig ganz verschwinden.
Die Arbeitnehmerseite und die IG Metall blicken angesichts der Sparmaßnahmen mit gemischten Gefühlen auf die guten Zahlen. Der Forderung die Sparmaßnahmen, zu der auch Lohn- und Arbeitskürzungen gehören, auszusetzen oder abzuschwächen, erteilte Källenius eine Absage. „Wir haben nach wie vor ein strukturelles Kostenproblem, zu dem auch Personalthemen gehören“, sagte der Daimler-Chef. „Das Programm ist eine Reise über mehrere Jahre, und es gibt noch einiges zu tun.“
Auch eine hohe Dividende sei gerechtfertigt. „Wir haben eine klare Dividendenpolitik und zahlen 40 Prozent vom Netto-Gewinn, wenn das vom Cash-Flow gedeckt ist“, erklärte Källenius. „Wenn wir das in einem Hauruck-Verfahren ändern, werden wir das Vertrauen von Investoren verlieren, und die finanzielle Stabilität und Jobs gefährden.“Und das, und darum geht es dem Daimler-Chef vor allem, behindert den Autokonzern bei seinen Zukunftsplänen. Schließlich soll die individuelle Mobilität in die digitale, vernetzte und emissionsfreie Zukunft gerettet werden.