„Menschen, die sparen müssen, kaufen nicht online“
Kik-Chef Patrick Zahn ärgert sich über die Schließung des Handels und kritisiert die Corona-Hilfen der Politik
KÖLN - Der Lockdown beutelt den Einzelhandel und macht auch vor großen Konzernen wie dem Textildiscounter Kik nicht halt. Im Gespräch mit Hannes Koch erklärt Patrick Zahn, Chef des Unternehmens, was die Corona-Einschränkungen für Kik und die Kunden bedeuten – und warum er die Corona-Förderprogramme der Bundesregierung für „Augenwischerei“hält. In Freizeitkleidung sitzt der Vorsitzende der Geschäftsführung vor seinem Computer zu Hause in Köln und führt das Interview via Internet. Zwei bis drei Tage pro Woche fährt er ins westfälische Bönen, wo die Zentrale von Kik steht. Wegen der schwierigen Situation arbeite er deutlich mehr als früher, sagt er – quasi von 6 bis 24 Uhr.
Herr Zahn, Sie sind sauer. Warum?
Weil ich mich und unser Geschäft ungerecht behandelt und benachteiligt fühle. Unsere Filialen sind wegen Corona seit zehn Wochen geschlossen. Das stellt eine übermäßige Belastung des stationären Handels dar, der wie Kik keine Lebensmittel verkauft. Nahrungsmittelgeschäfte und Drogerien dürfen dagegen geöffnet bleiben – auch Supermarktdiscounter, die teilweise Textilien anbieten. Das alles ist ein massiver Markteingriff zu unseren Lasten. Außerdem gab es bis vor Kurzem keine Unterstützung für Unternehmen mit mehr als 750 Millionen Euro Jahresumsatz.
Möglicherweise werden die Geschäfte bald wieder öffnen. Der Druck auf die Regierung steigt ja stark.
Zu Recht. Denn auch wir geraten inzwischen an unsere Grenzen. Ansteckungen mit dem Virus kann grundsätzlich niemand ausschließen, aber mit vernünftigen Hygienekonzepten lassen sie sich stark reduzieren. Dazu gehört, dass unsere Beschäftigten Masken tragen und nur wenige Kunden die Geschäfte gleichzeitig betreten. Der Lebensmittelhandel verzeichnet übrigens 40 Millionen Besuche täglich, die Non-Food-Branche dagegen nur zehn Millionen. Schon das zeigt, dass wir kein Hotspot sind.
Halten Sie die Schließung des Handels für komplett falsch – oder nur für schlecht umgesetzt?
Den ersten Lockdown im vergangenen Frühjahr habe ich verstanden. Damals wusste man fast nichts über das Virus, die Unsicherheit war groß. Seitdem haben wir aber viel gelernt, auch bei den Hygienekonzepten. Deswegen halte ich es nun für fragwürdig, die scheinbar einfachste Lösung eines zweiten Lockdowns zu wählen, der maßgeblich den Handel trifft – ohne andere Optionen, wie zum Beispiel einen konsequenteren
Schutz der älteren Menschen überhaupt in Erwägung zu ziehen.
Wenn alle Leute wieder zum Einkaufen rausgehen, wird es zu mehr Kontakten und dann auch mehr Todesfällen kommen. Die nehmen Sie in Kauf?
Das tue ich gerade nicht. Beispielsweise versuchen wir in unserem Unternehmen jeden Ansteckungsfall unter den Beschäftigten nachzuvollziehen. Und wir wissen, dass die Zahl der Erkrankungen unter unseren Mitarbeitern unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Was es uns allerdings als Gesellschaft kosten darf, wieder unser gewohntes Leben zu führen, und welche Werte es abzuwägen gilt, müssen wir in einer öffentlichen Debatte klären.
Die Regierung hat zahlreiche Corona-Förderprogramme für Firmen aufgelegt, etwa die Verrechnung der aktuellen Verluste mit den früheren Gewinnen. Kann Kik noch ein paar Monate durchhalten?
Die Politik betreibt Augenwischerei. Bis zur dritten Februarwoche hat unser Unternehmen null Komma null Euro staatliche Hilfe bekommen, auch keine Steuerrückerstattung. Das Kurzarbeitergeld ist eine Ausnahme, aber keine großzügig gewährte staatliche Hilfe. Sondern das sind die zuvor eingezahlten Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen und Mitarbeiter. Nun sollen bald zwar auch Firmen mit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz öffentliche Unterstützung erhalten. In unserem Fall wären das jedoch maximal zwölf Millionen – ein Tropfen auf den heißen Stein. Schon seit zehn Wochen decken wir unsere Verluste aus Eigenmitteln. Irgendwann sind auch unsere Kräfte erschöpft.
Dann muss Ihre Besitzerin, die Tengelmann-Gruppe, einspringen?
Tengelmann glaubt an die Zukunft von Kik. Eine unendliche Zusage ist das aber nicht.
Also wird Kik die Corona-Krise überleben.
Ja, hoffentlich. Aber es wird schwerer. Weil wir nichts verdienen, müssen wir Zukunftsinvestitionen in den Umbau der Filialen und die Expansion verschieben. Die Modernisierung wäre aber dringend nötig, um gegen die Onlinehändler wettbewerbsfähig zu bleiben. Die verdienen sich nun eine goldene Nase, und wir können nichts tun.
Wie läuft es bei Ihrem eigenen Internetverkauf?
Eine deutliche Steigerung ist zu verzeichnen, wobei der Onlineanteil am Kik-Umsatz in Deutschland nur 2,5 Prozent beträgt. Das liegt vor allem daran, dass bei uns viele Leute mit sehr kleinem Geldbeutel einkaufen. Die haben vielleicht zehn Euro in der Tasche und suchen Produkte für 1,99 Euro. Solche günstigen Kleidungsstücke gibt es im Onlinehandel oft nicht. Denn ihr Versand verursacht zu hohe Kosten im Vergleich zum minimalen Gewinn. Menschen, die sparen müssen, kaufen nicht online, sondern im Geschäft. Hinzu kommt, dass rund sechs Millionen Menschen Schufa-Einträge oder andere Probleme haben, die den Besitz einer Kreditkarte – als Voraussetzung für die Teilnahme am Onlinehandel – verhindern.
So werden Sie keine Filialen zugunsten des Onlinehandels schließen?
Für einen überschaubaren Zeitraum von etwa fünf Jahren ist das keine Option.
Sie lassen die meisten Produkte in Entwicklungsländern fertigen, unter anderem in Bangladesch. Was bedeutet die Krise für die dortigen Fabriken und ihre Beschäftigten?
Nichts Gutes. Weil unsere Lager voll sind, müssen wir jetzt auch Aufträge stornieren – obwohl wir dies zu vermeiden suchen. Aber gleichgültig, ob stornieren oder schieben: Für manche Lieferanten in Asien ist das eine Katastrophe. Und es wirft uns zurück, was die Verbesserung der Arbeitssituation betrifft. Seit elf Monaten wird die Fertigung in Bangladesch nicht mehr überprüft. Ich kann ja selbst auch nicht hinfliegen. Außerdem fehlt dort das Geld, um die Fabriken sicherer zu machen, etwa um mehr Feuerschutztüren einzubauen.
Gerade hat die Bundesregierung den Entwurf des Lieferkettengesetzes veröffentlicht. Es soll hiesige Firmen verpflichten, die Menschenrechte der Beschäftigten in den weltweiten Fabriken zu schützen. Früher haben Sie dieses Vorhaben unterstützt, finden Sie das Ergebnis jetzt in Ordnung?
Grundsätzlich kann ich damit leben. Bedenklich finde ich allerdings, dass kleine und mittlere Händler mit weniger als 1000 Beschäftigten ausgespart bleiben. Außerdem halte ich die Ausweitung des Klagerechts von Nicht-Regierungsorganisationen gegen Unternehmen für bedenklich, denn hier geht es mehr um Instrumentalisierung von Gerichten als um tatsächliche Rechtsfindung. Und besser als ein nur deutsches Gesetz wäre eine europäische Lösung.