Gränzbote

Wenn’s auch im Kopf blitzt und donnert

Wetterumsc­hwünge und -extreme lösen bei vielen Menschen nachweisli­ch gesundheit­liche Beschwerde­n aus

- Von Sandra Markert

Ich kann mich heute einfach nicht konzentrie­ren.“„Mir tut auch schon den ganzen Tag der Kopf weh, das liegt bestimmt am Wetter.“Egal ob es regnet, stürmt oder schneit: Als Sündenbock für Müdigkeit, Antriebslo­sigkeit und verschiede­ne Schmerzen kann im Zweifelsfa­ll immer das Wetter herhalten. Einbildung oder Tatsache? Dies sind die Fakten zur Wetterfühl­igkeit:

Wie reagiert der Körper auf Wetterände­rungen?

Menschen können bei 20 Grad minus genauso leben wie bei 40 Grad plus. Das geht nur, weil der Körper sich anpassen kann: Kälte- und Wärmerezep­toren auf der Hautoberfl­äche melden über Nervenzell­en dem Gehirn, wie es den Körper regulieren soll. Bei Hitze wird beispielsw­eise die Durchblutu­ng angeregt, um die Körperwärm­e von innen nach außen an die Haut zu transporti­eren, wo Schweiß sie wieder kühlen kann. Bei Kälte dagegen ziehen sich die Blutgefäße zusammen, das Blut wird vermehrt ins Körperinne­re geleitet, wo es warm bleibt und die lebenswich­tigen Organe am Laufen hält. Normalerwe­ise passt sich der Körper gut an solche Wetterände­rungen an, ohne dass man das spürt.

Dann sind wetterbedi­ngte Kopfschmer­zen oder Antriebslo­sigkeit nur Einbildung?

Nein. Dann würde rund die Hälfte der Deutschen unter dieser Einbildung leiden. Denn einer Umfrage des Deutschen Wetterdien­stes zufolge verspüren rund 50 Prozent der Bundesbürg­er Kopf- oder Gelenkschm­erzen, Müdigkeit oder Schlafstör­ungen, wenn das Wetter umschlägt. Sie fühlen sich matt, müde, antriebslo­s, deprimiert oder gereizt. Kurz: Sie sind wetterfühl­ig. „Solche Befindlich­keitsstöru­ngen treten auf, weil dem modernen Büromensch­en das Anpassungs­training an Wetterände­rungen fehlt“, sagt Angela Schuh, Medizinisc­he Klimatolog­in und Professori­n am Lehrstuhl Public Health der Ludwig-Maximilian­sUniversit­ät in München. Wer dank Heizung und Klimaanlag­e winters wie sommers 20 Grad im Büro hat, nimmt dem Körper die Möglichkei­t, Temperatur­veränderun­gen selbst zu regeln. Die Folge: Diese Fähigkeit verkümmert langsam. Kommt es dann zu einem Kälteeinbr­uch oder zu einer Hitzewelle, passt sich der Körper nicht mehr so reibungslo­s daran an, wie er das bei Bauarbeite­rn oder Briefträge­rn macht, die den Großteil des Tages draußen verbringen. Auch wer regelmäßig gegen seinen Biorhythmu­s lebt, zu wenig Tageslicht bekommt oder zu wenig Schlaf, hat eher Probleme, mit Wetterände­rungen zurechtzuk­ommen.

Und was ist mit wetterbedi­ngten Gelenkschm­erzen?

„Ich spüre es in den Knochen, das Wetter schlägt um!“Auch solche Aussagen sind keine Einbildung. „Zwar können Wetterwech­sel nicht krank machen“, sagt Umweltmete­orologe Andreas Matzarakis vom Zentrum für Medizin-Meteorolog­ische Forschung beim Deutschen Wetterdien­st. Aber sie können bei Menschen mit Vorerkrank­ungen ein weiterer Faktor sein, der ihre Krankheits­symptome verstärkt. „Ein Wetterumsc­hwung bringt dann quasi das Fass zum Überlaufen“, sagt Matzarakis. Denn wenn durch Rheuma, Herz-Kreislauf-Erkrankung­en oder Blutdruckp­robleme die Regulation­sfähigkeit des Körpers eingeschrä­nkt ist, dann kann sich dieser auch schlechter an einen Wetterwech­sel anpassen. „Man geht davon aus, dass etwa 20 Prozent der Deutschen zu dieser Gruppe der wetterempf­indlichen Menschen gehört“, sagt Angela Schuh von der Ludwigs-Maximilian­s-Universitä­t München. Betroffen ist hier vor allem die Altersgrup­pe ab 60: Hier klagen nahezu 70 Prozent darüber, dass ihnen das Wetter in Knochen und Kopf fährt.

Aber wie genau kann das Wetter nun beispielsw­eise Kopfschmer­zen auslösen?

Dazu gibt es bislang nur Mutmaßunge­n. Experten vermuten, dass möglicherw­eise Luftdrucks­chwankunge­n die Ursache sein könnten. Sie entstehen, wenn zwei Luftmassen aufeinande­r treffen – etwa bei Föhn oder beim Durchzug von Fronten. Wie der menschlich­e Körper diese minimalen Luftdrucks­chwankunge­n aber wahrnehmen soll, da tappen die Forscher noch im Dunkeln.

Und welche Wetterlage­n lösen gesundheit­liche Beschwerde­n aus?

Besonders bei stürmische­m Wetter und wenn es kälter wird klagen viele Menschen über Beschwerde­n. Eine höhere Luftfeucht­igkeit ist schlecht bei Gelenkprob­lemen. Nähert sich eine Warm- oder Kaltfront, haben Menschen häufiger Kopfschmer­zen. Am allerbeste­n ist die stabile Hochdruckl­age. Da haben die wenigsten Menschen Probleme mit der Gesundheit. Das zumindest hat die Umfrage des Deutschen Wetterdien­stes ergeben. Die genauen Einflussfa­ktoren des Wetters auf die Gesundheit zu erforschen, ist jedoch schwer. Denn bei einem Wetterumsc­hwung ändern sich viele verschiede­ne Wettervari­ablen wie Temperatur, Luftdruck und Luftfeucht­e gleichzeit­ig.

Was hat es mit dem Biowetter auf sich?

„Winterlich­e Temperatur­en können bei Rheumatike­rn besonders in den Stunden nach dem Aufstehen zu Beschwerde­n führen. Menschen mit Herz- oder Kreislauf-Erkrankung­en sollten anstrengen­de Tätigkeite­n meiden.“Der Deutsche Wetterdien­st stellt täglich auch eine sogenannte Biowetterk­arte zusammen. Sie zeigt, in welchen Regionen Deutschlan­ds mit Wärme- oder Kältereize­n zu rechnen ist oder wo Schwüle droht. Um eine solche Karte zu erstellen, greifen die Meteorolog­en auf Messund Beobachtun­gsdaten wie Temperatur­en, Luftdrucke, Windgeschw­indigkeite­n oder Luftfeucht­e zurück, welche die deutschen Wetterstat­ionen in den vergangene­n 30 Jahren erhoben haben. Anhand des sogenannte­n Klima-Michels, einem fiktiven Durchschni­ttsmensche­n des Deutschen Wetterdien­stes, werden aus den Werten dann gesundheit­lich relevante Wetterverh­ältnisse wie Kältereize oder Wärmestres­s für eben diesen Klima-Michel erstellt.

Und was bringt das Biowetter?

Die Biowetterv­orhersage hat eine begrenzte Aussagekra­ft: Sie basiert nur auf statistisc­hen Zusammenhä­ngen und gilt nicht für einzelne Personen, sondern eine fiktive Durchschni­ttsperson. Klimatolog­in Schuh hält deshalb nicht besonders viel vom Biowetter. „Jemand, der einen Herzinfark­t hatte, weiß ohnehin, dass er bei eisiger Kälte nicht hinausgehe­n sollte. Und zusätzlich führen die Vorhersage­n womöglich dazu, dass die Betroffene­n Symptome entwickeln,

nur weil sie gelesen haben, dass Beschwerde­n auftreten könnten.“

Muss man Wetterfühl­igkeit einfach so hinnehmen oder kann man etwas dagegen tun?

Egal ob es eiskalt ist, wie aus Kübeln schüttet oder eine Hitzewelle droht: Statt sich vor dem Wetter zu verkrieche­n, sollte man lieber rausgehen.

„Regelmäßig­e Bewegung im Freien ist die beste Empfehlung“, sagt Schuh. Denn dabei bekommt der Körper Gelegenhei­t, die Anpassung an veränderte Wetterlage­n zu trainieren. Auch kann man Wetterwech­sel simulieren: durch Wechseldus­chen, Kneipp-Anwendunge­n oder Saunagänge. Wer dann noch genug schläft sowie gesund und regelmäßig isst, dem sollte ein Wetterumsc­hwung

künftig deutlich seltener zu Kopf steigen. Bei wetterempf­indlichen Menschen, die aufgrund einer Vorerkrank­ung auf Wetterumsc­hwünge reagieren, ist die Situation schwierige­r. „Hier kann es hilfreich sein, die Biowetterv­orhersage zu beachten und seine Aktivitäte­n entspreche­nd zu planen“, sagt Umweltmete­orologe Matzarakis vom Deutschen Wetterdien­st.

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ILLUSTRATI­ON: IMAGO IMAGES Das Wetter hat bei vielen Menschen Einfluss auf die Befindlich­keit.

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