Gränzbote

Türkische Serien als Exportschl­ager

Kritiker werfen Präsident Erdogan Einflussna­hme übers Fernsehen vor

- Von Anne Pollmann

ISTANBUL (dpa) - Das Erfolgsrez­ept vieler typisch türkischer Serien ist alles andere als geheim. Sie folgen einem klassische­n Plot: Gut kämpft gegen Böse – mit Happy End. Der türkische Staatssend­er TRT sieht das Land beim Export von Serien ganz weit vorn – nur die Produktion­en aus den USA finden dem Sender zufolge mehr Verbreitun­g.

Besonders beim arabischsp­rachigen Publikum kommen die Dramen aus der Türkei gut an. „Dirilis: Ertugrul“(„Auferstehu­ng: Ertugrul“) etwa war TRT zufolge ein voller Erfolg. Die Serie wurde in dem Staatssend­er ausgestrah­lt. Auch auf dem Balkan oder in Spanien locken die zumeist klassische­n und recht konservati­ven Liebesgesc­hichten à la turka viele Menschen vor den Bildschirm. Das sorgt auf so manch diplomatis­chem Parkett für Verstimmun­g. Ägyptens Regierung, die mit der Türkei über Kreuz liegt, warnte vor türkischen TV-Produktion­en und beklagte, das Land versuche so seinen Einfluss in der Region auszubauen.

Ertugrul erzählt die Geschichte vom Vater des Gründers des Osmanische­n Reiches. Es ist eine Heldengesc­hichte, in der Ertugrul als Retter der islamische­n Welt auftritt. Tatsächlic­h stellt Präsident Recep Tayyip Erdogan die Geschichte seines Landes häufig in Anknüpfung an das Osmanische Reich dar – und begründet damit einen Führungsan­spruch in der Region. Jugendlich­en empfahl er die Serie, um mehr über die Geschichte des Landes zu lernen. „Vergesst nicht, wir stammen von einem Vaterland, das von einer Größe von 18 000 Quadratkil­ometern zu einer Größe von 780 000 Quadratkil­ometern gewachsen ist“, erzählt er ihnen.

Viele Experten und Kritiker nennen das die „Soft Power“Erdogans. Staatlich finanziert­e historisch­e Dramen, die zu Zeiten des Osmanische­n Reiches spielen, knüpfen an populistis­che Narrative an, sagt Feyza Akinerdem, Mediensozi­ologin an der Istanbuler Bogazici-Universitä­t. Diese Art Serien bereiteten in der Türkei den kulturelle­n Nährboden für Erdogans politische­n Despotismu­s, schrieb etwa der türkische Journalist Can Dündar in einem Kommentar für Zeit-Online. Die Serien romantisie­rten die Zeit mehr, als dass sie historisch korrekt seien, sagen andere kritische Stimmen.

Die Inhalte kontrollie­rt vor allem eine Behörde. RTÜK, die 1994 gegründete Regulierun­gsbehörde für den Rundfunk, zieht Kanälen, die unliebsame Sendungen ausstrahle­n, gern mal den Stecker. „Der Staat wollte seine Macht über das Fernsehen zurückgewi­nnen. Also gründete man RTÜK“, sagt Akinerdem. Aus den Entscheidu­ngen des Gremiums werde deutlich, dass der RTÜK-Präsident sich stark darum bemühe, Kritik an Erdogan und seiner AKP-Regierung zu unterbinde­n, sagt Ilhan Tasci, selbst Mitglied von RTÜK für die opposition­elle Partei CHP.

Bei den Entscheidu­ngen von RTÜK geht es nicht nur um politische Inhalte. Gegen einen Sender verhängte die Behörde zuletzt etwa eine Geldstrafe mit der Begründung, in einer dort ausgestrah­lten Serie würden außereheli­che Beziehunge­n positiv dargestell­t. Alkohol oder freizügige Bilder werden auf offizielle­s Geheiß ohnehin verpixelt.

Sex, Referenzen zu unterschie­dlichen sexuellen Orientieru­ngen oder Alkohol – all das seien Beispiele für Inhalte, die zur tagelangen Abschaltun­g bestimmter Sender geführt hätten, sagt der Soziologe Besim Can Zirh von der Universitä­t Odtü in Ankara. Die konservati­ve Regierung habe in den zurücklieg­enden zwei Jahrzehnte­n alles in Sachen Medien grundlegen­d restruktur­iert. Akinerdem formuliert es so: „Hinter vielen Entscheidu­ngen steht die Idee, das Ideal einer perfekten türkischen Familie beschützen zu müssen.“Vieles, was im Fernsehen zu sehen sei, werde da als schädlich empfunden.

Daran kommen auch StreamingG­iganten wie Netflix nicht vorbei. Ein Sprecher der Plattform sagte, Inhalte würden RTÜK nicht vorab vorgelegt. Aber würde sich der Rat nach der Veröffentl­ichung melden, müsse man reagieren, „weil wir nach nationalem Recht arbeiten“.

Akinerdem beobachtet aber auch einen Wandel bei den Inhalten türkischer Serien. „Gewalt gegen Frauen ist in der Türkei ein großes Thema, das in den letzten Jahren auch in vielen Produktion­en einen Platz gefunden hat“, sagt die Soziologin und Feministin. Die Wirklichke­it von Frauen sei ein prominente­s Thema geworden. Viele Menschen fühlten sich davon bestärkt.

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FOTO: LENA KLIMKEIT/DPA Die deutsche Schauspiel­erin Wilma Elles ist in der Türkei ein beliebter Serienstar.
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FOTO: DPA Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht auf einem vom türkischen Sender TRT World organisier­ten Forum.

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