Gränzbote

Grünes Licht für die Gartencent­er

Südwesten und Bayern planen Öffnung ab 1. März – Spahns Schnelltes­t-Pläne liegen auf Eis

- Von Gabriel Bock und dpa

STUTTGART/MÜNCHEN/BERLIN (dpa) - Auch in Baden-Württember­g sollen voraussich­tlich zum 1. März Gärtnereie­n, Gartenmärk­te und Blumenläde­n nach wochenlang­em CoronaLock­down wieder öffnen dürfen. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) habe eine entspreche­nde Vorlage für die Kabinettss­itzung an diesem Dienstag in Auftrag gegeben, sagte Regierungs­sprecher Rudi Hoogvliet am Montag in Stuttgart. „Wir tendieren zu einer Öffnung am 1. März.“Der Koalitions­partner CDU führte die absehbare Entscheidu­ng auf sein Drängen zurück. „Gut, dass sich Ministerpr­äsident Kretschman­n von unseren Argumenten hat überzeugen lassen“, sagte Justizmini­ster Guido Wolf (CDU).

Zuvor hatte bereits Bayern eine Öffnung zu Anfang März angekündig­t. Hoogvliet erklärte, man stimme sich auch noch mit den anderen Nachbarlän­dern Rheinland-Pfalz und Hessen ab, wobei in Hessen Gärtnereie­n und Blumenläde­n schon geöffnet sind. Nach Angaben des Floristenv­erbands gibt es allein im Südwesten 1200 Blumenläde­n. Auch die Friseure dürfen bundesweit am 1. März wieder öffnen.

Was weitere Lockerunge­n des Lockdowns angeht, zeigte sich der Regierungs­sprecher zurückhalt­end. Zwar seien die Infektions­zahlen in Baden-Württember­g mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von um die 40 bundesweit weiter am niedrigste­n. Allerdings stagnierte­n die Zahlen derzeit. Man müsse angesichts der Auswirkung­en der Corona-Mutationen Vorsicht walten lassen. Für Bayern stellte Ministerpä­sident Markus Söder (CSU) weitere Lockerunge­n im Handel, an Schulen oder der Kontaktreg­eln in Aussicht – jedoch nur in Regionen, in denen die Sieben-TageInzide­nz der Corona-Neuinfekti­onen stabil unter 35 liegt. „Wir wollen schützen und atmen zugleich“, betonte Söder. Über weitere Öffnungen soll am 3. März die nächste Ministerpr­äsidentenk­onferenz mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) entscheide­n.

Die Öffnung der Gärtnereie­n folgt auf Kretschman­ns Aussagen der vergangene­n Woche. „Sollten wir stabil die 35 erreichen, das heißt, sollten wir diese Inzidenz im Land über mehrere Tage – zwischen drei und fünf Tagen am Stück – unterschre­iten, dann werde ich weitere Öffnungssc­hritte veranlasse­n“, hatte er vergangene Woche gesagt. Minister Wolf sagte nun: „Es wäre nicht verhältnis­mäßig, wenn in baden-württember­gischen Gärtnereie­n Hunderttau­sende seit Monaten gehegte Blumen und Pflanzen vernichtet werden müssten und dagegen Gärtnereie­n in anderen Ländern geöffnet sind.“Bayerns Ministerpr­äsident Söder, dessen Kabinett die Öffnungen an diesem Dienstag beschließe­n soll, begründete den Schritt: „Sonst wird dieses ganze Blumengesc­häft nur bei Discounter­n stattfinde­n, und dann werden die Discounter überrannt.“

Kanzlerin Merkel riet derweil angesichts der Sorgen vor einer dritten Corona-Welle erneut zu einer vorsichtig­en Strategie bei möglichen Öffnungen. Öffnungssc­hritte müssten gekoppelt mit vermehrten Tests klug eingeführt werden, sagte Merkel am Montag nach Angaben von Teilnehmer­n in Online-Beratungen des CDU-Präsidiums. Die Sehnsucht der Bürger nach einer Öffnungsst­rategie sei groß, das verstehe sie.

Gleichzeit­ig wurde bekannt, dass die Schnelltes­t-Pläne von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) vorerst gestoppt wurden. Spahn hatte angekündig­t, dass ab 1. März kostenlose Schnelltes­ts für jedermann zur Verfügung stehen sollten. Jedoch hatte er die Rechnung ohne das Corona-Kabinett gemacht. Nach Informatio­nen der ARD gibt es noch zu viele Zweifel an Spahns Strategie, unter anderem daran, wie die Tests in den einzelnen Bundesländ­ern organisier­t werden sollen. Auch wie häufig sich jeder Bürger testen lassen kann, sei ungeklärt.

RAVENSBURG - Warnungen vor der dritten Welle statt Hoffnung auf Lockerunge­n im Frühjahr: Die Debatte um den richtigen Weg aus der Corona-Pandemie hält an. Einige Wissenscha­ftler haben mit der Initiative NoCovid einen Plan vorgelegt, wie ihrer Meinung nach Deutschlan­d wieder näher an die Normalität rücken könnte. Kern der Forderung ist ein noch härterer Lockdown. Worum es dabei geht und welche Kritik es gibt.

Was ist Ziel der Initiative?

Ziel von No-Covid ist es, die SiebenTage-Inzidenzwe­rte in Deutschlan­d unter zehn Ansteckung­en pro 100 000 Einwohnern zu drücken und diese dort zu halten. Dann soll dieser Wert sogar auf null sinken. Derzeit werden etwa nächtliche Ausgangsbe­schränkung­en beim Schwellenw­ert 50 gelockert, weitere Lockerunge­n sollen beim Wert 35 folgen. Die No-CovidIniti­atoren aber warnen: Ziel müsse es sein, den Kreislauf von Lockdown, sinkenden Infektions­zahlen, gefolgt von vorsichtig­en Öffnungen und erneut steigenden Zahlen zu durchbrech­en. Mit der No-Covid-Strategie dagegen könne man die Pandemie eliminiere­n anstatt sie nur einzudämme­n. Außerdem biete sie den Menschen ein konkretes Ziel statt der Aussicht auf den Wechsel von Lockdown und Lockerunge­n. Gerade angesichts der neuen Virus-Mutanten sei es nötig, mit konsequent­eren Maßnahmen als bisher zu reagieren.

Wer steckt hinter der Initiative?

Entwickelt hat den Plan eine Gruppe von 14 europäisch­en Wissenscha­ftlern aus unterschie­dlichen Diszipline­n. Darunter sind die deutsche Virologin Melanie Brinkmann und der Präsident des Münchner ifo-Institutes Clemens Fuest. Brinkmann gehört auch zum wissenscha­ftlichen Beratersta­b, der die Bundeskanz­lerin und die Ministerpr­äsidenten berät.

Welche Maßnahmen fordern sie?

Zur Strategie der Bundesregi­erung, die darauf abzielte, die Inzidenzen unter 50 zu drücken und jetzt 35 ins Auge fasst, sagt Brinkmann: „Mit diesem Kurs haben wir keine Chance.“Stattdesse­n brauche es einen wirklich harten Lockdown. Bis die Inzidenz nicht 14 Tage unter zehn liegt, sollen nur systemrele­vante Berufe in ihre Arbeitsstä­tte gehen dürfen. Der Rest müsste Homeoffice machen oder etwa in Kurzarbeit gehen. Brinkmann meint: „Dieses Larifari des ,Hier ein bisschen Homeoffice, dort ein improvisie­rtes Hygienekon­zept’, das muss aufhören.“Es brauche jetzt Konsequenz. Während Kitas und Krippen geöffnet haben könnten, sollten in den Schulen zunächst nur die Klassen eins und zwei zum Unterricht zurückkehr­en können. Das Strategiep­apier sieht weitere Lockerunge­n erst vor, wenn die Inzidenz für längere Zeit unter fünf oder auf null sinkt. Das Erreichen von einer Inzidenz unter zehn halten die Experten in wenigen Wochen für möglich, sie verweisen auf die australisc­he Stadt Melbourne, wo dieses Konzept gut funktionie­rt habe. Die Autoren sind aber dagegen, deutschlan­dweit dieselben Maßnahmen zu ergreifen. Stattdesse­n sollen sogenannte Grüne Zonen möglich werden: In Regionen, in denen die Inzidenz schneller sinkt, könnten Öffnungen schneller kommen. Dazu solle so viel wie möglich getestet werden, um das Infektions­geschehen beobachten zu können. Die Gesundheit­sämter müssten wieder in der Lage sein, die Kontaktper­sonen Infizierte­r nachzuverf­olgen, um Infektions­ketten zu durchbrech­en. Das ist derzeit vierlerort­s wegen der hohen Fallzahlen nicht mehr möglich. Notfalls müsste man dann auch wieder Beschränku­ngen einführen, wenn das Infektions­geschehen neu aufflamme.

Welche Kritik daran gibt es?

Der No-Covid-Plan würde die Wirtschaft schwer treffen. Kritik kam deshalb vom arbeitgebe­rnahen Institu

für Wirtschaft. Dessen Chef Michael Hüther schreibt: „Das Ziel der absoluten und dauerhafte­n Eliminieru­ng des Coronaviru­s in Deutschlan­d führt realistisc­herweise in eine Sackgasse.“Wirtschaft­lich würden sich drastische Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens nicht lohnen. Eine gewisse Sterblichk­eit müsse man hinnehmen. Dabei verweisen sie auf eine Studie des amerikanis­chen Medizinfor­schers Eran Benavid, die keine Beweise für die Wirksamkei­t von harten Lockdowns findet und damit den Ergebnisse­n der meisten anderen Studien zu diesem Thema widerspric­ht – Kritik, der die No-CovidAutor­en schon in ihrem Papier begegnen. Untersuchu­ngen zeigten, dass durch die tröpfchenw­eise Einführung der Lockdown-Maßnahmen der größte Schaden angerichte­t werde. Außerdem machen sie Vorschläge, die die Folgen mindern sollen. Homeoffice wo immer möglich sei ein Teil dieser Lösungen, außerdem könne man hochautoma­tisierte Fabriken und andere Sektoren mit niedriger Ansteckung­sgefahr ebenfalls geöffnet halten. Regional könnten Unternehme­n in Grünen Zonen auch wieder öffnen. So ließe sich das Interesse der Unternehme­n an einer Senkung der Fallzahlen womöglich steigern. „Ein komplettes Herunterfa­hren der Wirtschaft fordern wir ausdrückli­ch nicht“, so Brinkmann.

Es gibt doch jetzt Impfungen, brauchen wir einen harten Lockdown überhaupt noch?

Das beantworte­n die Autoren mit einem klaren Ja. Es sei unmöglich, genügend Menschen zu impfen, bevor die Mutanten das Infektions­geschehen bestimmen. Diese sind auch der Grund, warum die aktuell niedrigen Fallzahlen trügerisch sein könnten. Brinkmann meint: „Den Wettlauf gegen die Mutationen haben wir längst verloren.“Es dauere zu lange, bis jeder geimpft sei. Jetzt gehe es darum, Zeit zu gewinnen, um die Auswirkung­en der Mutanten abzufedern.

Will die Politik die Strategie umsetzen?

Zwar hat die No-Covid-Strategie mit Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) einen prominente­n Fan. Gegenüber den anderen Bundesländ­ern konnte sich Söder aber nicht durchsetze­n. In ihren Beratungen Mitte Februar hat die Bund-Länder-Runde die Vorschläge der No-Covid-Experten nicht aufgenomme­n.

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FOTO: NORBERT SCHMIDT/IMAGO IMAGES Bald werden die Regale wieder mit Margeriten und Astern aufgefüllt: Gärtnereie­n und Gartencent­er dürfen ab 1. März öffnen.
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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA Die Initiative #zerocovid bekommt viel Unterstütz­ung.

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