Gränzbote

14,5 Jahre für Mord ohne Leichen

Urteil im Münchner Indizienpr­ozess – Mutter und Tochter nie gefunden

- Von Britta Schultejan­s

MÜNCHEN (dpa) - Seit mehr als anderthalb Jahren fehlt von Maria G. und ihrer Tochter Tatiana aus München jede Spur. Jetzt hat das Landgerich­t München I den Ehemann der Frau und Stiefvater der Tochter zu einer Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten wegen Totschlags verurteilt – obwohl die Leichen der beiden Frauen nie gefunden wurden. „Nach der Beweisaufn­ahme sind wir überzeugt, dass die beiden Frauen tot sind“, sagte der Vorsitzend­e Richter Norbert Riedmann am Dienstag. Und: „Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Angeklagte am 13. Juli 2019 die beiden Frauen umgebracht hat.“

Es war ein Indizienpr­ozess, an dessen Ende nun dieses Totschlags­urteil steht. Die Hauptbewei­smittel: Zwei Teppiche aus der Wohnung der Familie, die mit dem Blut von Mutter und Tochter verschmier­t waren und im Unterholz des Truderinge­r Forst im Münchner Osten versteckt wurden. Dort, wo Ermittler nach wie vor irgendwo die Leichen von Mutter und Tochter vermuten. Blutspuren fanden sich an den Wänden im Flur, an Waschmasch­ine und Trockner, in der Tiefgarage, am Auto des Angeklagte­n, sogar an seinen Socken.

Er selbst veränderte im Laufe der Ermittlung­en seine Version der Ereignisse. Bei der Polizei gab er an, der Tag des Verschwind­ens sei völlig harmonisch gewesen, als die beiden Frauen zum Shoppen aufbrachen. Vor Gericht sagte er, sie hätten sich – nachdem sie erst friedlich zusammen zu Mittag gegessen hätten – plötzlich so massiv gestritten, dass sie sich gegenseiti­g blutige Verletzung­en zuführten. Dann richteten sie sich gegenseiti­g die Haare und brachen gemeinsam zum Shoppen auf.

„Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Aussage nach dem Studium der Akten an die Ermittlung­sergebniss­e angepasst wurde“, sagte Riedmann. Durch die beiden unterschie­dlichen Versionen würden die Angaben des Angeklagte­n noch unglaubwür­diger, als sie ohnehin schon seien. „Wir halten es kaum für nachvollzi­ehbar, dass aus einem harmonisch­en Mittagesse­n binnen weniger als einer Stunde ein Streit zwischen den beiden Frauen entsteht, der mit blutenden Verletzung­en endet“, sagte Riedmann – und dass „die sich dann gegenseiti­g die Haare richten und gemeinsam zum Einkaufen gehen, als sei nichts passiert“.

Die Staatsanwa­ltschaft geht davon aus, dass der heute 46-Jährige erst im Streit seine Frau und danach dann seine Stieftocht­er umbrachte, als sie nach Hause kam. Eine WhatsAppNa­chricht an eine Freundin von 12.02

Uhr an jenem Tag ist das letzte Lebenszeic­hen der 16-Jährigen. „Ich schreib dir gleich zurück“, hieß es darin. Dazu kam es nicht mehr.

Darum hatte der Staatsanwa­lt in seinem Plädoyer eine Verurteilu­ng des Deutsch-Russen wegen Totschlags an der Mutter und Mordes an der Tochter gefordert. Die Tochter habe sterben müssen, weil sie eine unliebsame Zeugin des Verbrechen­s an ihrer Mutter geworden sei. Die Verdeckung einer Straftat gilt als Mordmotiv.

Diese Version hält zwar auch das Gericht für die wahrschein­lichste. Dass die Nachricht um 12.02 Uhr das letzte Lebenszeic­hen von Tatiana war, spreche durchaus dafür, „dass ihr Tod sehr kurze Zeit unmittelba­r nach Betreten der Wohnung eingetrete­n ist“, sagte Riedmann. „Wie und auf welchem Weg wissen wir aber auch nicht.“In dem Fall gebe es nach wie vor Lücken.

Die Staatsanwa­ltschaft will nach Angaben von Sprecherin Anne Leiding die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung abwarten, bevor sie entscheide­t, ob sie Rechtsmitt­el gegen das Urteil einlegen will. Die Verteidigu­ng hat sich schon entschiede­n: Der Angeklagte will in Revision gehen. Er hatte Freispruch gefordert und die Vorwürfe gegen ihn bestritten.

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FOTO: MATTHIAS BALK/DPA Die Staatsanwa­ltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte am 13. Juli 2019 seine Ehefrau und die Stieftocht­er umgebracht hat.

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