Immer mehr Frust und Wut
Einzelhandel wartet weiter auf Öffnungsperspektive – Vorwurf der Symbolpolitik
RAVENSBURG - Wenn Friedrich Kolesch, Inhaber des Modehauses Kolesch aus Biberach, über die Lage des Einzelhandels spricht, merkt man ihm den Frust an. Seit Mitte Dezember hat sein Geschäft geschlossen. Während es nun für Friseure und Gärtnereien in Baden-Württemberg mit dem 1. März einen Öffnungstermin gibt, steht der Einzelhandel noch ohne ein konkretes Datum da. Öffnungen des Handels sind laut Landesregierung erst bei einer stabilen Sieben-Tage-Inzidenz von unter 35 geplant.
FürKol es chi stdasun verständlich .„ Wennm anden Friseuren berechtigterweise zutraut, dass sieb ei einer solch körpernahen Dienstleistung die Hygienekonzepte einhalten, dann sollte man dieses Vertrauen auch in uns Händler haben“, sagte er am Mittwoch bei einer Konferenz des Handelsverbands Baden-Württemberg. Er habe den Eindruck, dass die geschlossenen Branchen für eine „Wir bleiben zu Hause!“-Symbolik herhalten müssten. Bilder von leeren Innenstädten ließen sich gut dafür nutzen.
In den Supermärkten würden sich die Kunden tummeln, während sein Einzelhandels geschäft mit 3000 Quadratmetern und ausreichend Platz geschlossen bliebe. Die Lebensmittelgeschäfte würden die Ware der lokalen Fachhändler – Kleidung beim Discounter Aldi oder Spielwaren beim Drogeriemarkt Müller – anbieten und damit riesige Umsätze machen. „Das ist staatliche Wettbewerbs verzerrung“, sagteKol es ch.
Gleichzeitig sei es selbst in den teilweise übervollen Lebensmittel einzelhandels geschäften bisher nicht zu nennenswerten Corona-Infektionen gekommen. Dies mache die Öffnungspolitik der Regierung umso unverständlicher, sagte auch Simon Bittel, Geschäftsführer der Ravensburger Parfümerie Bittel.
„Unsere Geschäfte sind sehr sicher“, sagte Handelsverband-Präsident Hermann Hutter. „Aber wir tragen trotzdem die Last, während andere offen haben.“Die finanzielle Lage sei dramatisch. Vor der nächsten Bund-Länder-Runde zur CoronaPandemie am kommenden Mittwoch fordern die Einzelhändler deshalb erneut vehement eine Öffnungsperspektive für ihre Branche.
Arne Braun, Sprecher der Landesregierung, sagte auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“: „Die Infektionszahlen gehen leider nach oben“, deswegen gelte weiterhin die Grundlage einer dauerhaften Sieben-TageInzidenz von 35, „um dann Perspektiven für den Einzelhandel zu eröffnen“. Dies sei bei der vergangenen Ministerpräsidentenkonferenz so festgelegt worden.
Dass die Landesregierung unfair bei der Bewertung der Öffnungen vorgehe, ließ er nicht gelten. „Bei den Gärtnereien ist die Ware verderblich. Wird das nicht verkauft, verrottet alles.“Außerdem finde der Verkauf hier an der frischen Luft statt. Was die Friseure angehe, sei dies ein „sensibler Bereich“der Hygiene. Vor allem für ältere Bevölkerungsgruppen seien Friseurbesuche sehr wichtig. Es seien Eins-zu-eins-Kontakte, die somit sehr gut nachvollziehbar seien. Das sei bei einem großen Kaufhaus nicht gegeben.
In Bezug auf den Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung sagte Braun: „Das ist nicht alles gerecht. Das ist uns auch klar.“Aber es mache keinen Sinn den Händlern vorzugeben, welche Produkte angeboten werden dürfen und welche weggesperrt werden müssen. „Da hat man einen Verwaltungsund Kontrollaufwand, der ist durch nichts zu rechtfertigen“, sagte Braun.
Das Wirtschaftsministerium verwies am Mittwoch auf Nachfrage darauf, dass man beim Lockdown im Frühjahr „nicht zuletzt angesichts massiver Proteste des Handelsverbands“Mischsortimente erlaubt hatte. Nach Tumulten und Polizeieinsätzen gegen renitente Kunden, die die gewohnte Bandbreite von Produkten vermisst hatten, hatte die Landesregierung entschieden, dass „eine solche Handhabung zumindest in vielen Fällen schwer bis gar nicht umsetzbar war“, sagte eine Sprecherin.
Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut sprang den Händlern aber ansonsten bei: „Die Einzelhändler brauchen dringend Klarheit. Die Ministerpräsidentenkonferenz muss am kommenden Mittwoch festlegen, unter welchen Voraussetzungen der Handel wann wieder öffnen darf “, sagte sie der „Schwäbischen Zeitung“. Das Konzept dürfe nicht allein von Sieben-Tage-Inzidenzen abhängig sein, sondern müsse auch andere Kriterien einbeziehen, mahnte sie. „Wir brauchen ein verlässliches und dem Infektionsgeschehen angemessenes Öffnungskonzept für alle Branchen.“