Wegen Schulden mit Messer zugestochen
30-Jähriger rammt ehemaligem Freund Messer in den Rücken
30-Jähriger steht wegen versuchtem Totschlag vor Gericht.
ROTTWEIL/TUTTLINGEN – Wegen insgesamt sieben Straftaten, darunter versuchter Totschlag, muss sich ein 30-Jähriger aus Tuttlingen vor dem Landgericht Rottweil verantworten. Er war Teil der Gruppen und teilweise einer der führenden Figuren, die in den vergangenen Jahren Tuttlingen und Umgebung unsicher machten.
Vor Gericht steht ein junger Mann, dessen Anblick unwillkürlich die Frage aufwirft, ob die Friseursalons in den vergangenen Wochen wirklich geschlossen waren. Er betritt mit fein geschnittener Tonsur und langem, aber gepflegtem Kinnbart den Gerichtssaal. Allerdings auch mit Fußfesseln: Da er seit dem 29. Juni 2020 in Untersuchungshaft sitzt, muss es im Gefängnis entweder einen Friseur geben oder er hat sich die Haare selbst geschnitten.
Gelernt hat er jedenfalls weder das Friseurhandwerk noch etwas anderes. Ganz in Gegenteil: „Ich bin im Nordirak geboren und nur bis zur sechsten Klasse in die Schule gegangen und habe dann bei meinem Vater gearbeitet“, berichtet er zum Auftakt des Prozesses. Er könne weder lesen noch schreiben.
Mit 17 entschloss er sich 2008, nach Deutschland zu gehen. „Ich wollte etwas erreichen“, sagt er in schnell gesprochenem Deutsch. Mit Bussen sei er in die Türkei gefahren und dann mit Schleppern weiter nach Deutschland gekommen. Sein Vater habe dafür 16 000 Euro bezahlt. Er landete in Tuttlingen, zunächst bei Mutpol, dann auf dem Witthoh. Inzwischen sei er als Asylbewerber anerkannt, versichert er. Zwar fand er Arbeit als Aushilfskraft und Maschinenbediener, doch bald begannen die Probleme. Er wurde straffällig. „Ich habe Scheiß gebaut“, sagt er.
Er heiratete eine deutsche Frau und hat inzwischen zwei kleine Kinder mit ihr. Aber oft fühlte er sich ungerecht behandelt. „Warum immer ich?“, fragt er. Und plötzlich, als er mitten in seiner Aussage ist, versagt dem Mann, den viele ob seiner Drohungen und Brutalität fürchten, die Stimme. Er stockt, wischt sich Tränen aus dem Gesicht.
Der Anfang vom Ende kam, als er eine Sishabar in einer Tuttlinger Nachbargemeinde eröffnete. Sie wurde zum Treffpunkt von zwielichten Gestalten und zum Ausgangspunkt der schwersten Tat, die jetzt vor Gericht verhandelt wird.
Die Vorwürfe, die Staatsanwältin Isabel Gurski-Zepf in ihrer Anklageschrift vorbringt, zeugen von einer ungezügelten Brutalität, wenn sie stimmen: Am 28. Juni des vergangenen Jahres soll der Angeklagte einem vormaligen Freund ein zehn Zentimeter langes Messer in den Kopf und in den Rücken gestoßen haben. Grund: Der Kosovo-Albaner habe ihm Schulden von 180 Euro nicht zurückzahlen wollen. Es sei um Leben oder Tod gegangen, sagt die Staatsanwältin.
Der junge Mann habe eineinhalb bis zwei Luter Blut verloren, erklärt eine Anwohnerin, die zu dessen Glück zufällig als Rettungssanitäterin Schlimmeres verhindern konnte.
Der 19-Jährige beteuert, er habe dem Angeklagten gar kein Geld geschuldet, sondern der ihm.
Der Beschuldigte will sich zum Tatvorwurf nicht äußern. Bernhard Mussgnug, sein Verteidiger, regt eine „Verständigung“mit Gericht und Staatsanwaltschaft an, doch das scheitert, weil der Anwalt das geforderte „qualifizierte Geständnis“so nicht zusagen will.
An diesem ersten Verhandlungstag lässt Karlheinz Münzer, der Vorsitzende Richter, anklingen, dass der Angeklagte laut vorläufigem Gutachten an einer „dissozialen Persönlichkeitsstörung“leide. Im Mittelpunkt steht der versuchte Totschlag. Laut Anklage geht es noch um Diebstahl, versuchte Nötigung, versuchte räuberische Erpressung, Beleidigung von Polizeibeamten und gefährliche Körperverletzung.
Am Ende des Prozesstages zeigt das Gericht noch Videos, die der Angeklagte von sich selbst gedreht hat. Es ist eine Mischung zwischen wirr, vulgär und wilden Drohungen gegen das spätere Opfer.
Der Prozess wird am 1. März fortgesetzt.