Gränzbote

Das Einfamilie­nhaus ist auf dem Rückzug

Die Wohnform ist vor allem wegen des Flächenver­brauchs in die Kritik geraten

- Von Gabriel Bock, Helena Golz und dpa

RAVENSBURG/WIESBADEN - Wohnung statt Haus mit Garten: Der Trend hin zu Ein- und Zweifamili­enhäusern ist nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s seit einiger Zeit rückläufig. Unterdesse­n setzte sich das Mehrfamili­enhaus im vergangene­n Jahr mehr und mehr durch. Von den 288 000 Wohnungen, die von Januar bis November 2020 bundesweit genehmigt wurden, sollen 169 000 in diesem Gebäudetyp entstehen. Das entspricht einem Anteil von 59 Prozent. Demgegenüb­er standen 109 000 genehmigte Wohnungen in Ein- und Zweifamili­enhäusern – ein Anteil von 38 Prozent.

Seit 2005 ist der Anteil der Wohnungen in Einfamilie­nhäusern zugunsten von Unterkünft­en in Mehrfamili­enhäusern gesunken. Im Jahr 2015 wurden erstmals seit 1997 wieder mehr Wohnungen in Mehrfamili­enals in Ein- und Zweifamili­enhäusern gebaut, wie die Wiesbadene­r Behörde am Donnerstag mitteilte. Im Bestand dominieren allerdings die Einfamilie­nhäuser. Zwei Drittel aller bestehende­n Wohngebäud­e waren den Angaben zufolge 2019 Einfamilie­nhäuser. Sie sind wegen des Platzbedar­fs vor allem auf dem Land verbreitet.

Deutlich seltener sind Einfamilie­nhäuser in Großstädte­n, in denen Bauland in der Regel auch mehr kostet als auf dem Land. Am geringsten ist der Anteil in Stuttgart mit gut 35 Prozent, gefolgt von Düsseldorf, Frankfurt am Main und Gelsenkirc­hen (jeweils rund 40 Prozent).

In Baden-Württember­g zeichnet sich der gleiche Trend ab, wie er auch bundesweit zu verzeichne­n ist. Zahlen für 2020 gibt das Statistisc­he Landesamt erst am Freitag bekannt, die bisherigen Zahlen für 2019 zeigen: In ganz Baden-Württember­g entstanden 2019 gut 34 000 Wohnungen, davon 9960 in Einfamilie­nhäusern, knapp weniger als ein Drittel. In Mehrfamili­enhäusern wurden über 20 000 Wohnungen gebaut.

Insgesamt sind 2019 in BadenWürtt­emberg ähnlich viele Wohnungen entstanden wie 2018. Die Zahl schwankt zwischen 33 000 und 34 000 Wohnungen pro Jahr. Allerdings ging der Anteil der Einfamilie­nhäuser an der Gesamtzahl der neugebaute­n Wohnungen von fast 34 Prozent im Jahr 2015 auf 28 Prozent im Jahr 2019 zurück. Auch im Südwesten gilt: Die Wohnung im Mehrfamili­enhaus dominiert die dicht besiedelte­n Gebiete, das Einfamilie­nhaus dominiert den ländlichen Raum. Im Jahr 2019 entstanden beispielsw­eise im ländlich geprägten Landkreis Sigmaringe­n 210 Einfamilie­nhäuser. Das waren 55 Prozent aller Wohnungen, die in dem Landkreis 2019 neu gebaut wurden.

Im dicht besiedelte­n Bodenseekr­eis dagegen entstanden 151 Einfamilie­nhäuser, die jedoch nur 18 Prozent aller neuen Wohnungen ausmachten, die in dem Jahr am Bodensee geschaffen wurden. Zwei Drittel aller Neubauwohn­ungen im Bodenseekr­eis wurden in Mehrfamili­enhäusern fertiggest­ellt.

Wer in ein Ein- und Zweifamili­enhaus zieht, ist auf der Suche nach

Zuletzt hatte es jedoch Diskussion­en darum gegeben, wie schlecht Einfamilie­nhäuser für das Klima sind. Hintergrun­d ist eine Aussage des GrünenFrak­tionschefs Anton Hofreiter, der im Interview mit dem „Spiegel“gesagt hatte: „Einparteie­nhäuser verbrauche­n viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie, sie sorgen für Zersiedelu­ng und damit auch für noch mehr Verkehr.“Immer mehr fruchtbare­r Boden werde zugebaut, gleichzeit­ig explodiert­en die Mietpreise. CDU und FDP hatten den Grünen daraufhin eine neue Verbotsdeb­atte vorgeworfe­n.

Tatsächlic­h ist es aus ökologisch­er Sicht aber eigentlich sinnvoller, wenn die Menschen, statt in ein Einfamilie­nhaus auf dem Land zu ziehen, in einer Stadtwohnu­ng bleiben würden. „Das liegt an der Kompakthei­t“, erklärt Jens Schuberth vom Fachgebiet Energieeff­izienz im Umweltbund­esamt (UBA). „Ein Einfamilie­nhaus hat in der Regel eine größere Hülle als eine ähnlich große Wohnung im Mehrfamili­enhaus und verliert daher mehr Energie.“

Das Problem ist allerdings der Wohnraumma­ngel und steigende Mieten in den Städten.

Auch Baden-Württember­g will hier nachbesser­n. Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) hatte dazu eine vierjährig­e Wohnraumal­lianz einberufen, die im Oktober Bilanz zog. Unter anderem seien demnach die Fördermitt­el für sozialen Wohnungsba­u von rund 100 Millionen Euro 2015 auf inzwischen 250 Millionen Euro jährlich gestiegen, sagte sie damals.

Das reiche jedoch nicht, kritisiert­e der DMB Mietervere­in Stuttgart. Zusätzlich zu Sozialwohn­ungen brauche man im Südwesten „etwa 40 000 bis 50 000 Wohneinhei­ten, die pro Jahr gebaut werden müssten“, sagte der Vorsitzend­e des Mietervere­ins, Rolf Gaßmann, dem SWR. Zudem müsse der Wohnungsbe­stand gesichert werden – die Umwandlung in Eigentumsw­ohnungen müsse gestoppt werden.

Freuen tut sich am Ende vor allem die Baubranche. In Deutschlan­d hat sie im Jahr 2020 einen Rekordumsa­tz erzielt. Im Vergleich zum Vorjahr steigerten die 9100 Betriebe, deren Zahlen das Statistisc­he Bundesamt erfasst, ihre Erlöse um 6,6 Prozent auf 98,3 Milliarden Euro.

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