Verlängerter Lockdown und viel Streit
Länder setzen sich bei Öffnungen durch – Impfungen in Arztpraxen sollen kommen
BERLIN (dpa) - Unter einem hohen Erwartungsdruck vieler Bürger und der Wirtschaft mit Blick auf Lockerungen des Lockdowns haben Bund und Länder am Mittwoch bis in den späten Abend hinein das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie beraten. Trotz weiter hoher Infektionszahlen waren dabei auch Erleichterungen für Regionen im Gespräch, in denen nur eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 stabil unterschritten wird. Es könnte dann eingeschränkte Öffnungen des Einzelhandels mit festen Einkaufsterminen geben. Das ging aus dem Beschlussentwurf für die Gespräche von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder hervor. Doch daran entzündete sich Streit.
Laut des Entwurfs soll der Lockdown grundsätzlich bis zum 28. März verlängert werden. Darauf konnte sich die Runde, dies berichteten am Mittwochabend mehrere Medien übereinstimmend, einigen. Auch sollen schon von kommender Woche an wieder Treffen des eigenen Haushalts mit einem weiteren Haushalt möglich sein – beschränkt auf fünf Teilnehmer, Kinder bis 14 Jahre nicht mitgezählt. Derzeit sind private Zusammenkünfte nur im Kreis des eigenen Hausstands mit einer weiteren Person gestattet.
Strittiger waren die in dem vom Kanzleramt verschickten Papier skizzierten Öffnungsmöglichkeiten je nach Infektionslage. Zwischenzeitlich wurde die Runde für gut eine Stunde unterbrochen. Die Länder berieten sich allein. Auslöser war die Debatte um die Inzidenzzahlen. Einige Länder plädierten für eine weitgehende Öffnung des Handels bereits ab einem Wert von 50, die vorsichtigere Merkel präferierte die 35. Nach Angaben des „Tagesspiegels“konnte sie sich damit nicht durchsetzen. Ein
Kompromissvorschlag, auf den sich die Deutschen Presse-Agentur berief, sehe landesweite oder regionale Öffnungen „des Einzelhandels mit einer Begrenzung von einer Kundin oder einem Kunden pro 10 Quadratmetern für die ersten 800 Quadratmeter Verkaufsfläche und einem weiteren für jede weiteren 20 Quadratmeter“vor.
Das ursprüngliche Papier des Kanzleramts sah als nächsten Öffnungsschritt vor, dass nun bundesweit Buchhandlungen, Blumengeschäfte und Gartenmärkte wieder aufmachen dürfen. Auch Fahr- und
Flugschulen sollten wieder loslegen dürfen. Vorgesehen war zudem eine Art Stufenplan für Öffnungen abhängig vom Infektionsgeschehen in einem Land oder einer Region sowie eine Notbremse bei einem Springen der Sieben-Tage-Inzidenz auf über 100 Neuinfektionen. Dann sollen alle Lockerungen automatisch wieder rückgängig gemacht werden. Bei einer stabilen Sieben-Tage-Inzidenz von unter 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner sollte der Einzelhandel mit einer begrenzten Kundenzahl wieder aufmachen können, ebenso Museen, Galerien, Zoos und botanische Gärten. Eingeschränkte Öffnungen könnte es schon in Regionen geben, in denen lediglich die 100er-Marke unterschritten wird.
Weitere Öffnungsschritte sollten die Außengastronomie, Theater sowie Kinos betreffen – bei Sieben-Tage-Inzidenzen bis 100. Liege die Inzidenz zwei Wochen nach dem vorherigen Öffnungsschritt unter 35, sollte es dafür keine Beschränkungen geben. Bei einer Inzidenz bis 100 sollten dagegen tagesaktuelle negative Corona-Tests zwingend sein. Ein fünfter Öffnungsschritt würde folgen, wenn weitere zwei Wochen nach diesen Lockerungen die Inzidenz stabil unter 35 bleibt. Am Prinzip änderte sich im Laufe der zähen Verhandlungen nichts, die 35 wurde jedoch durch die 50 ersetzt.
Ein weiteres zentrales Thema war die Impfstrategie. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte in der Onlinekonferenz eine Beschleunigung der Impfungen auch unter Einbeziehung von Ärzten in der Fläche. Man müsse aus der starren „Impfbürokratie“zu mehr Flexibilität kommen. Es seien so schnell wie irgend möglich alle Ärzte einzubeziehen. In der Schalte zeichnete sich am späten Abend Einigkeit darüber ab, dass ab Ende März oder Anfang April Haus- und Fachärzte in vielen Praxen umfassender gegen Corona impfen sollen.
Nach dem Entwurf soll zudem allen, die noch keine Symptome zeigen, mindestens ein kostenloser Schnelltest pro Woche inklusive einer Bescheinigung über das Ergebnis ermöglicht werden. Die Kosten solle der Bund übernehmen. Nach ARDInformationen soll hierfür eine Taskforce gegründet werden. Auch die weitere Öffnung der Schulen soll mithilfe von Schnelltests flankiert werden.
- Für die Eindämmung des Coronavirus ist die Kontaktnachverfolgung von Infizierten wesentlich – doch das ist kompliziert. Mitarbeiter der Gesundheitsämter müssen viel herumtelefonieren und Angaben abgleichen, die auf handschriftlich verfassten Listen stehen. Die Kapazitätsgrenzen sind schnell erreicht. Hier setzt die Luca-App, ein Programm für Handys und Computer, an. Allerdings ist sie derzeit noch nicht deutschlandweit in vollem Umfang nutzbar. Wir klären die wichtigsten Fragen zu der Anwendung.
Wie arbeitet die Luca-App?
Luca steht in den App-Stores von Google und Apple zur Verfügung, außerdem gibt es eine Variante, die direkt im Internetbrowser funktioniert. Nach dem Herunterladen muss der Nutzer sich mit Adresse, Handynummer und E-Mail-Adresse anmelden. Mit einer SMS wird die Telefonnummer verifiziert. Danach stellt die App QR-Codes bereit. Die können die Nutzer gegenseitig scannen. Wer sich zum Beispiel mit Freunden trifft, legt mit einem Klick einen Code in der App an, den scannen alle anderen. So ist der Kontakt in der App vermerkt. Das könnte auch in der Gastronomie funktionieren. Am Restauranteingang scannen die Gäste einen Code oder lassen den Code in ihrer App scannen, damit ist ihr Besuch in der App vermerkt. Das Ende des Treffens können die Nutzer entweder manuell einstellen oder sie geben der App die Berechtigung, auf den Telefonstandort zuzugreifen. Dann wird registriert, wann sie den Ort des Treffens verlassen haben.
Wofür werden die Kontaktdaten in der App genutzt?
Die in der App gespeicherten Informationen soll das zuständige örtliche Gesundheitsamt abrufen können, wenn an dem Treffen ein Infizierter teilgenommen hat. Dafür kontaktiert das Amt den Gastgeber über die App und bittet ihn, die Kontaktdaten, die die App gespeichert hat, freizugeben. Bei einem Restaurantbesuch kann Luca genau feststellen, wer gleichzeitig mit dem Infizierten anwesend war. Das funktioniert aber natürlich nur für die Personen, die die App ebenfalls nutzen und den Code gescannt haben. Durch die Code-Scans entsteht für jeden Nutzer eine persönliche Kontakthistorie, die zeigen kann, wen er angesteckt haben könnte. Am Ende soll Luca so die Kontaktnachverfolgung
nicht nur bei privaten Treffen oder in Restaurants möglich machen, auch bei größeren Veranstaltungen könnte die App die Kontakte aufzeichnen. So könnte das System ein wichtiger Bestandteil von Öffnungskonzepten sein.
Und der Datenschutz?
In der App sind mit der Adresse und der Telefonnummer persönliche Daten gespeichert. Laut den Betreibern der App sind die Daten auf „zertifizierten Servern in Deutschland verschlüsselt gespeichert“und werden nach spätestens 30 Tagen gelöscht. Der Datenaustausch beim Scan der QR-Codes geschehe ebenfalls nur verschlüsselt. Weder Gastgeber noch Gast, Dritte oder der Betreiber selbst könnten auf die Daten zugreifen. Nur das Gesundheitsamt könne die QR-Codes auslesen und die Daten dahinter entschlüsseln. Dass die App datenschutzkonform ist, bestätigt der Landesdatenschutzbeauftragte für Baden-Württemberg, Stefan Brink, der „Schwäbischen Zeitung“. „Wir haben die App rechtlich und technisch geprüft und haben bei beiden Seiten keine Bedenken.“Die App erfülle die Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung, technisch sei die Verschlüsselung auf einem sehr hohen Niveau. Brink befürwortet die Anwendung. „Wenn die App die bisherige Zettelwirtschaft bei der Kontaktverfolgung ablöst, ist das für den Datenschutz prima.“Die im vergangenen Sommer genutzten
Listen seien schwierig. „Auf denen kann man die Daten anderer Gäste sehen. Teilweise haben Leute das fotografiert und ins Netz gestellt“, bemängelt Brink.
Wer hat die App entwickelt?
Hinter Luca steht die Nexenio GmbH der drei Softwareentwickler Philipp Berger, Marcus Trojan und Patrick Hennig. Sie haben die App schon im November gemeinsam mit Kulturschaffenden entwickelt. Involviert sind auch die Stuttgarter HipHopper „Die Fantastischen Vier“. Bandmitglied Smudo alias Michael Bernd Schmidt sagte der „Schwäbischen Zeitung“im Januar: „Infektionsketten können so viel schneller verfolgt werden. Allein durch den
Zeitgewinn vermeidet man die Hälfte aller Infektionsfälle.“Die Band hat das Projekt mitfinanziert. Gemeinsam mit den Entwicklern glaubt man daran, dass mit Luca die Zuschauerzahlen bei Veranstaltungen höher angesetzt werden können. Man könne damit bei der Kontaktverfolgung viel schneller und exakter vorgehen. Neben der Luca-App sind mittlerweile zahlreiche ähnliche Programme auf dem Markt.
Was unterscheidet die App von der Corona-Warn-App?
Im Gegensatz zur Corona-App des Robert-Koch-Instituts kann Luca die händische Kontaktverfolgung vereinfachen. Denn die Corona-WarnApp funktioniert lediglich als Warnsystem
für den Einzelnen, sie klärt auf, wenn der Nutzer einem Infektionsrisiko ausgesetzt war, Behörden haben keinen Zugriff. Dafür erfasst sie die anonymisierten Daten der Nutzer passiv. Die Luca-App erfordert, dass die Nutzer die Kontaktdaten aktiv austauschen, dafür können diese Daten vom Gesundheitsamt genutzt werden, um Infektionsketten nachzuvollziehen und idealerweise zu unterbrechen.
Welche Probleme gibt es noch?
Der Sinn der Luca-App steht und fällt mit der Mitarbeit der Gesundheitsämter im Land. Nur, wenn diese mitmachen und sich an das System anbinden lassen, funktioniert die App. Das ist bisher nur in Modellregionen in Norddeutschland der Fall, dazu gehören Ferieninseln wie Sylt. Die Anbindung der Gesundheitsämter ist nicht einfach, da diese dezentral organisiert sind und je nach Kommune und Bundesland über unterschiedliche Schnittstellen und technische Ausstattung verfügen. Außerdem muss die rechtliche Situation geklärt sein.
Ist die App dennoch bald in Baden-Württemberg einsetzbar?
„Für den Einsatz in der Gastronomie müsste die Corona-Verordnung geändert werden“, erklärt Datenschützer Stefan Brink. Die verlangt von Wirten, dass sie sich selbst von der Richtigkeit der angegebenen Daten überzeugen. Die Regierung müsste zuerst eine Möglichkeit schaffen, die es den Wirten erlaubt, diese Verantwortung an die App abzugeben. Da hätten aber bereits Gespräche mit dem Gesundheitsministerium stattgefunden: Ein politischer Wille sei vorhanden. Bei privaten Treffen können Nutzer die App schon einsetzen, allerdings hat das erst dann einen Effekt, wenn sich auch das lokale Gesundheitsamt an die App anbinden lässt. Wann es dazu kommt, ist offen.
Kann ein Wirt Gäste zur Nutzung der App zwingen?
Das sei nicht möglich, sagt Stefan Brink. Die App könne lediglich ein Angebot für die Kunden sein. „Die können so dafür sorgen, dass ihre Daten nicht einfach so rumfliegen, sondern sicher bleiben“, sagt der Datenschützer. Am Ende würden aber alle profitieren. Der Wirt habe weniger Aufwand und Verantwortung, der Gast besser geschützte Daten und schnellere Check-ins. Das Gesundheitsamt freue sich über digitalisierte Daten, mit denen es Kontaktnachverfolgung einfacher bewerkstelligen könnte.