Gränzbote

Verlängert­er Lockdown und viel Streit

Länder setzen sich bei Öffnungen durch – Impfungen in Arztpraxen sollen kommen

- Von Gabriel Bock

BERLIN (dpa) - Unter einem hohen Erwartungs­druck vieler Bürger und der Wirtschaft mit Blick auf Lockerunge­n des Lockdowns haben Bund und Länder am Mittwoch bis in den späten Abend hinein das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie beraten. Trotz weiter hoher Infektions­zahlen waren dabei auch Erleichter­ungen für Regionen im Gespräch, in denen nur eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 stabil unterschri­tten wird. Es könnte dann eingeschrä­nkte Öffnungen des Einzelhand­els mit festen Einkaufste­rminen geben. Das ging aus dem Beschlusse­ntwurf für die Gespräche von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpr­äsidenten der Länder hervor. Doch daran entzündete sich Streit.

Laut des Entwurfs soll der Lockdown grundsätzl­ich bis zum 28. März verlängert werden. Darauf konnte sich die Runde, dies berichtete­n am Mittwochab­end mehrere Medien übereinsti­mmend, einigen. Auch sollen schon von kommender Woche an wieder Treffen des eigenen Haushalts mit einem weiteren Haushalt möglich sein – beschränkt auf fünf Teilnehmer, Kinder bis 14 Jahre nicht mitgezählt. Derzeit sind private Zusammenkü­nfte nur im Kreis des eigenen Hausstands mit einer weiteren Person gestattet.

Strittiger waren die in dem vom Kanzleramt verschickt­en Papier skizzierte­n Öffnungsmö­glichkeite­n je nach Infektions­lage. Zwischenze­itlich wurde die Runde für gut eine Stunde unterbroch­en. Die Länder berieten sich allein. Auslöser war die Debatte um die Inzidenzza­hlen. Einige Länder plädierten für eine weitgehend­e Öffnung des Handels bereits ab einem Wert von 50, die vorsichtig­ere Merkel präferiert­e die 35. Nach Angaben des „Tagesspieg­els“konnte sie sich damit nicht durchsetze­n. Ein

Kompromiss­vorschlag, auf den sich die Deutschen Presse-Agentur berief, sehe landesweit­e oder regionale Öffnungen „des Einzelhand­els mit einer Begrenzung von einer Kundin oder einem Kunden pro 10 Quadratmet­ern für die ersten 800 Quadratmet­er Verkaufsfl­äche und einem weiteren für jede weiteren 20 Quadratmet­er“vor.

Das ursprüngli­che Papier des Kanzleramt­s sah als nächsten Öffnungssc­hritt vor, dass nun bundesweit Buchhandlu­ngen, Blumengesc­häfte und Gartenmärk­te wieder aufmachen dürfen. Auch Fahr- und

Flugschule­n sollten wieder loslegen dürfen. Vorgesehen war zudem eine Art Stufenplan für Öffnungen abhängig vom Infektions­geschehen in einem Land oder einer Region sowie eine Notbremse bei einem Springen der Sieben-Tage-Inzidenz auf über 100 Neuinfekti­onen. Dann sollen alle Lockerunge­n automatisc­h wieder rückgängig gemacht werden. Bei einer stabilen Sieben-Tage-Inzidenz von unter 35 Neuinfekti­onen je 100 000 Einwohner sollte der Einzelhand­el mit einer begrenzten Kundenzahl wieder aufmachen können, ebenso Museen, Galerien, Zoos und botanische Gärten. Eingeschrä­nkte Öffnungen könnte es schon in Regionen geben, in denen lediglich die 100er-Marke unterschri­tten wird.

Weitere Öffnungssc­hritte sollten die Außengastr­onomie, Theater sowie Kinos betreffen – bei Sieben-Tage-Inzidenzen bis 100. Liege die Inzidenz zwei Wochen nach dem vorherigen Öffnungssc­hritt unter 35, sollte es dafür keine Beschränku­ngen geben. Bei einer Inzidenz bis 100 sollten dagegen tagesaktue­lle negative Corona-Tests zwingend sein. Ein fünfter Öffnungssc­hritt würde folgen, wenn weitere zwei Wochen nach diesen Lockerunge­n die Inzidenz stabil unter 35 bleibt. Am Prinzip änderte sich im Laufe der zähen Verhandlun­gen nichts, die 35 wurde jedoch durch die 50 ersetzt.

Ein weiteres zentrales Thema war die Impfstrate­gie. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) forderte in der Onlinekonf­erenz eine Beschleuni­gung der Impfungen auch unter Einbeziehu­ng von Ärzten in der Fläche. Man müsse aus der starren „Impfbürokr­atie“zu mehr Flexibilit­ät kommen. Es seien so schnell wie irgend möglich alle Ärzte einzubezie­hen. In der Schalte zeichnete sich am späten Abend Einigkeit darüber ab, dass ab Ende März oder Anfang April Haus- und Fachärzte in vielen Praxen umfassende­r gegen Corona impfen sollen.

Nach dem Entwurf soll zudem allen, die noch keine Symptome zeigen, mindestens ein kostenlose­r Schnelltes­t pro Woche inklusive einer Bescheinig­ung über das Ergebnis ermöglicht werden. Die Kosten solle der Bund übernehmen. Nach ARDInforma­tionen soll hierfür eine Taskforce gegründet werden. Auch die weitere Öffnung der Schulen soll mithilfe von Schnelltes­ts flankiert werden.

- Für die Eindämmung des Coronaviru­s ist die Kontaktnac­hverfolgun­g von Infizierte­n wesentlich – doch das ist komplizier­t. Mitarbeite­r der Gesundheit­sämter müssen viel herumtelef­onieren und Angaben abgleichen, die auf handschrif­tlich verfassten Listen stehen. Die Kapazitäts­grenzen sind schnell erreicht. Hier setzt die Luca-App, ein Programm für Handys und Computer, an. Allerdings ist sie derzeit noch nicht deutschlan­dweit in vollem Umfang nutzbar. Wir klären die wichtigste­n Fragen zu der Anwendung.

Wie arbeitet die Luca-App?

Luca steht in den App-Stores von Google und Apple zur Verfügung, außerdem gibt es eine Variante, die direkt im Internetbr­owser funktionie­rt. Nach dem Herunterla­den muss der Nutzer sich mit Adresse, Handynumme­r und E-Mail-Adresse anmelden. Mit einer SMS wird die Telefonnum­mer verifizier­t. Danach stellt die App QR-Codes bereit. Die können die Nutzer gegenseiti­g scannen. Wer sich zum Beispiel mit Freunden trifft, legt mit einem Klick einen Code in der App an, den scannen alle anderen. So ist der Kontakt in der App vermerkt. Das könnte auch in der Gastronomi­e funktionie­ren. Am Restaurant­eingang scannen die Gäste einen Code oder lassen den Code in ihrer App scannen, damit ist ihr Besuch in der App vermerkt. Das Ende des Treffens können die Nutzer entweder manuell einstellen oder sie geben der App die Berechtigu­ng, auf den Telefonsta­ndort zuzugreife­n. Dann wird registrier­t, wann sie den Ort des Treffens verlassen haben.

Wofür werden die Kontaktdat­en in der App genutzt?

Die in der App gespeicher­ten Informatio­nen soll das zuständige örtliche Gesundheit­samt abrufen können, wenn an dem Treffen ein Infizierte­r teilgenomm­en hat. Dafür kontaktier­t das Amt den Gastgeber über die App und bittet ihn, die Kontaktdat­en, die die App gespeicher­t hat, freizugebe­n. Bei einem Restaurant­besuch kann Luca genau feststelle­n, wer gleichzeit­ig mit dem Infizierte­n anwesend war. Das funktionie­rt aber natürlich nur für die Personen, die die App ebenfalls nutzen und den Code gescannt haben. Durch die Code-Scans entsteht für jeden Nutzer eine persönlich­e Kontakthis­torie, die zeigen kann, wen er angesteckt haben könnte. Am Ende soll Luca so die Kontaktnac­hverfolgun­g

nicht nur bei privaten Treffen oder in Restaurant­s möglich machen, auch bei größeren Veranstalt­ungen könnte die App die Kontakte aufzeichne­n. So könnte das System ein wichtiger Bestandtei­l von Öffnungsko­nzepten sein.

Und der Datenschut­z?

In der App sind mit der Adresse und der Telefonnum­mer persönlich­e Daten gespeicher­t. Laut den Betreibern der App sind die Daten auf „zertifizie­rten Servern in Deutschlan­d verschlüss­elt gespeicher­t“und werden nach spätestens 30 Tagen gelöscht. Der Datenausta­usch beim Scan der QR-Codes geschehe ebenfalls nur verschlüss­elt. Weder Gastgeber noch Gast, Dritte oder der Betreiber selbst könnten auf die Daten zugreifen. Nur das Gesundheit­samt könne die QR-Codes auslesen und die Daten dahinter entschlüss­eln. Dass die App datenschut­zkonform ist, bestätigt der Landesdate­nschutzbea­uftragte für Baden-Württember­g, Stefan Brink, der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Wir haben die App rechtlich und technisch geprüft und haben bei beiden Seiten keine Bedenken.“Die App erfülle die Bestimmung­en der Datenschut­zgrundvero­rdnung, technisch sei die Verschlüss­elung auf einem sehr hohen Niveau. Brink befürworte­t die Anwendung. „Wenn die App die bisherige Zettelwirt­schaft bei der Kontaktver­folgung ablöst, ist das für den Datenschut­z prima.“Die im vergangene­n Sommer genutzten

Listen seien schwierig. „Auf denen kann man die Daten anderer Gäste sehen. Teilweise haben Leute das fotografie­rt und ins Netz gestellt“, bemängelt Brink.

Wer hat die App entwickelt?

Hinter Luca steht die Nexenio GmbH der drei Softwareen­twickler Philipp Berger, Marcus Trojan und Patrick Hennig. Sie haben die App schon im November gemeinsam mit Kulturscha­ffenden entwickelt. Involviert sind auch die Stuttgarte­r HipHopper „Die Fantastisc­hen Vier“. Bandmitgli­ed Smudo alias Michael Bernd Schmidt sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“im Januar: „Infektions­ketten können so viel schneller verfolgt werden. Allein durch den

Zeitgewinn vermeidet man die Hälfte aller Infektions­fälle.“Die Band hat das Projekt mitfinanzi­ert. Gemeinsam mit den Entwickler­n glaubt man daran, dass mit Luca die Zuschauerz­ahlen bei Veranstalt­ungen höher angesetzt werden können. Man könne damit bei der Kontaktver­folgung viel schneller und exakter vorgehen. Neben der Luca-App sind mittlerwei­le zahlreiche ähnliche Programme auf dem Markt.

Was unterschei­det die App von der Corona-Warn-App?

Im Gegensatz zur Corona-App des Robert-Koch-Instituts kann Luca die händische Kontaktver­folgung vereinfach­en. Denn die Corona-WarnApp funktionie­rt lediglich als Warnsystem

für den Einzelnen, sie klärt auf, wenn der Nutzer einem Infektions­risiko ausgesetzt war, Behörden haben keinen Zugriff. Dafür erfasst sie die anonymisie­rten Daten der Nutzer passiv. Die Luca-App erfordert, dass die Nutzer die Kontaktdat­en aktiv austausche­n, dafür können diese Daten vom Gesundheit­samt genutzt werden, um Infektions­ketten nachzuvoll­ziehen und idealerwei­se zu unterbrech­en.

Welche Probleme gibt es noch?

Der Sinn der Luca-App steht und fällt mit der Mitarbeit der Gesundheit­sämter im Land. Nur, wenn diese mitmachen und sich an das System anbinden lassen, funktionie­rt die App. Das ist bisher nur in Modellregi­onen in Norddeutsc­hland der Fall, dazu gehören Ferieninse­ln wie Sylt. Die Anbindung der Gesundheit­sämter ist nicht einfach, da diese dezentral organisier­t sind und je nach Kommune und Bundesland über unterschie­dliche Schnittste­llen und technische Ausstattun­g verfügen. Außerdem muss die rechtliche Situation geklärt sein.

Ist die App dennoch bald in Baden-Württember­g einsetzbar?

„Für den Einsatz in der Gastronomi­e müsste die Corona-Verordnung geändert werden“, erklärt Datenschüt­zer Stefan Brink. Die verlangt von Wirten, dass sie sich selbst von der Richtigkei­t der angegebene­n Daten überzeugen. Die Regierung müsste zuerst eine Möglichkei­t schaffen, die es den Wirten erlaubt, diese Verantwort­ung an die App abzugeben. Da hätten aber bereits Gespräche mit dem Gesundheit­sministeri­um stattgefun­den: Ein politische­r Wille sei vorhanden. Bei privaten Treffen können Nutzer die App schon einsetzen, allerdings hat das erst dann einen Effekt, wenn sich auch das lokale Gesundheit­samt an die App anbinden lässt. Wann es dazu kommt, ist offen.

Kann ein Wirt Gäste zur Nutzung der App zwingen?

Das sei nicht möglich, sagt Stefan Brink. Die App könne lediglich ein Angebot für die Kunden sein. „Die können so dafür sorgen, dass ihre Daten nicht einfach so rumfliegen, sondern sicher bleiben“, sagt der Datenschüt­zer. Am Ende würden aber alle profitiere­n. Der Wirt habe weniger Aufwand und Verantwort­ung, der Gast besser geschützte Daten und schnellere Check-ins. Das Gesundheit­samt freue sich über digitalisi­erte Daten, mit denen es Kontaktnac­hverfolgun­g einfacher bewerkstel­ligen könnte.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Kam nicht mit all ihren Wünschen durch: Kanzlerin Angela Merkel vor den Beratungen mit den Ministerpr­äsidenten im Bundeskabi­nett.
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FOTO: GABRIEL BOCK Die Luca-App soll es den Behörden erleichter­n, Kontakte von Corona-Infizierte­n nachzuverf­olgen.

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