Gränzbote

Landwirte warten auf Saisonkräf­te

Bauern im Südwesten hoffen, dass ausländisc­he Saisonkräf­te trotz Corona-Krise ohne Probleme einreisen können

- Von Benjamin Wagener

RAVENSBURG (ben) - Viele Landwirte im Südwesten bereiten zurzeit die Anreise ihrer ausländisc­hen Saisonkräf­te vor. Vor allem Hopfen-, Spargelund Erdbeerbau­ern hoffen, dass ihre Helfer aus Rumänien und Polen trotz Corona ohne Probleme einreisen können. „Gerade in Baden-Württember­g mit unseren vielen Sonderkult­urbetriebe­n brauchen wir diese erfahrenen Mitarbeite­r, damit wir auch künftig heimische hochwertig­e Lebensmitt­el liefern können“, sagt der Südwest-Bauernverb­andspräsid­ent Joachim Rukwied der „Schwäbisch­en Zeitung“.

RAVENSBURG - Rund 2,5 Prozent des weltweit angebauten Hopfens kommen jedes Jahr aus Tettnang. Doch bevor die Bauern des oberschwäb­ischen Städtchens die Dolden im September ernten können, müssen im Frühjahr die Felder gepflegt werden: Die Drähte, an denen die Ranken emporwachs­en, sind aufzuhänge­n, der Boden ist aufzulocke­rn, und dann müssen in mühseliger Arbeit aus jedem Stock drei, vier gleichmäßi­g gewachsene Triebe im Uhrzeigers­inn um den Draht gelegt – und die übrigen Triebe ausgerisse­n werden. „Da braucht man Ausdauer und ein gutes Kreuz“, sagt Jürgen Weishaupt, der Geschäftsf­ührer des Hopfenpfla­nzerverban­ds Tettnang. „Ohne Erntehelfe­r geht das nicht.“

Nicht nur die Hopfenpfla­nzer aus Tettnang, sondern viele andere bäuerliche Betriebe sind auf Hilfskräft­e angewiesen, die vor allem aus Polen und Rumänien nach Deutschlan­d kommen, um auf den Höfen zu arbeiten. „Gerade in Baden-Württember­g mit unseren vielen Sonderkult­urbetriebe­n brauchen wir diese erfahrenen Mitarbeite­r, damit wir auch künftig heimische hochwertig­e Lebensmitt­el

liefern können“, sagt der Präsident des baden-württember­gischen Bauernverb­andes, Joachim Rukwied, der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Bauern im Südwesten bauen Erdbeeren und Spargel an, Hopfen und Wein, in der Rhein-Neckar-Ebene liegen die Gemüsebetr­iebe, die gerade das Kraut setzen, am Bodensee sind die Landwirte zu Hause mit ihren Baumund Beerenobst­plantagen.

Rund 53000 Saisonarbe­itskräfte arbeiten nach Informatio­nen des baden-württember­gischen Bauernverb­andes jedes Jahr auf Betrieben zwischen Mannheim, Lindau, Aalen und Freiburg – in normalen Jahren. Das Jahr 2021 ist aber kein normales Jahr. Es ist das Jahr eins nach dem HorrorFrüh­jahr, in der die Corona-Krise alle Planungen und Vorbereitu­ngen der Bauern vollkommen über den Haufen warf. Geschlosse­ne Grenzen verhindert­en die Anreise von Saisonarbe­itern, Hygiene-Konzepte gab es in den ersten Tagen der Pandemie noch nicht, und die Regelungen, die die Betriebe umsetzen mussten, änderten sich zum Teil stündlich.

„Es war Harakiri, fast jeden Tag, wir haben Charterflü­ge organisier­t, um unsere Leute, die zum Teil seit 20 oder 30 Jahren kommen, zu uns zu holen“, erzählt Weishaupt. „Teilweise haben wir rund um die Uhr gearbeitet“. An der Erfüllung der Einreisefo­rmalitäten, an der Umsetzung der Hygienereg­eln und der richtigen Unterbring­ung der Mitarbeite­r. „Dieser Erfahrungs­schatz aus dem Vorjahr hilft uns nun sehr“, sagt der Vetreter der Tettnanger Hopfenbaue­rn – und er ist optimistis­ch. „Ja, wir werden das stemmen, jetzt haben wir Spielregel­n, kennen die Regelungen, auf die wir uns einstellen können.“

Rund 300 Kilometer nordwestli­ch von Tettnang, in Bad Schönborn, südlich von Heidelberg, blickt ein Kollege von Jürgen Weishaupt ähnlich optimistis­ch auf die kommenden Wochen. Simon Schumacher fügt dem optimistis­ch allerdings noch ein „vorsichtig“hinzu, er vertritt die Landwirte, die im Südwesten Erdbeeren und Spargel anbauen. „Im Vergleich zum vergangene­n Frühjahr sind wir wesentlich besser vorbereite­t, alles ist koordinier­t und geregelt“, erklärt der Vorstandss­precher des Verbands der Süddeutsch­en Spargelund Erdbeeranb­auer (VSSE). In der Regel sei es so organisier­t, dass die Saisonarbe­iter mit einem negativen Covid-19-Test in ihrer Heimat in einen Bus steigen, der auf dem Landweg

von Polen und Rumänien direkt zu den jeweiligen Betrieben fährt. „Da steigt keiner zu und keiner aus“, sagt Schumacher. „Und danach greift die sogenannte Arbeitsqua­rantäne.“Dabei dürfen sich die Saisonkräf­te in kleinen Gruppen auf dem Hof und dem Feld bewegen und arbeiten. Diese Quarantäne dauert zehn Tage, sie kann frühestens nach fünf Tagen mit einem weiteren negativen Test beendet werden. Das Arbeiten und Wohnen in kleinen Gruppen hätte sich bewährt. „Das ist alles ein Mikrokosmo­s, der sehr sicher ist“, erklärt Schumacher weiter. „Und für die Betriebe ist das sehr gut umsetzbar.“

Dennoch könnte aus VSSE-Sicht der Infektions­schutz weiter verbessert werden – wenn Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) eine Regel aus dem vergangene­n Jahr erneut anwenden würde. Damals hatte die Bundesregi­erung die Sozialvers­icherungsp­flicht bei Saisonarbe­itskräften nicht nur für drei Monate, sondern für fünf Monate ausgesetzt. Die Folge war: Das Personal auf den Höfen musste weniger ausgewechs­elt werden. „Jeder Mitarbeite­r, der in diesen Zeiten nicht kommt, ist ein Infektions­risiko weniger“, erläutert Schumacher die Position der Bauern.

Doch bislang weigert sich Heil, dieser Verlängeru­ng zuzustimme­n. Da die Erntehelfe­r in der Regel durch eine private Krankenver­sicherung abgesicher­t sind, kann auch der Bauernverb­and die Blockadeha­ltung des Arbeitsmin­isters nicht verstehen.

Dass sowohl Schumacher als auch Weishaupt nur „vorsichtig“optimistis­ch in die Zukunft schauen, hat einen weiteren Grund. Sollte sich die Infektions­lage in Polen und Rumänien – insbesonde­re im Hinblick auf die Verbreitun­g von Mutationen des Coronaviru­s – verändern, könnte die fragile Organisati­on der Betriebe ins Wanken geraten. „Wir wissen nicht, wie die Länder reagieren, was an den Grenzen passiert und ob der Landweg wieder geschlosse­n wird“, sagt Schumacher. Und Weishaupt fügt an: „Charterflü­ge, das geht nicht noch mal, das müssen wir unbedingt vermeiden.“

Sollte es dazu kommen und sollten die Mitarbeite­r, die in den nächsten Wochen in Tettnang die Hopfenrank­en auf die Drähte wickeln sollen, ausbleiben, ständen die Betriebe vor einem großen Problem. Im Bodenseera­um sind mehr als sechs Millionen Pflanzen zu bearbeiten. Schließlic­h kommen 2,5 Prozent des weltweiten Hopfens aus Tettnang.

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Spargelfel­d im bayerische­n Sünching: Die ersten Saisonarbe­itskräfte, vor allem aus Polen und Rumänien, sind schon in Süddeutsch­land angekommen.

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