Landwirte warten auf Saisonkräfte
Bauern im Südwesten hoffen, dass ausländische Saisonkräfte trotz Corona-Krise ohne Probleme einreisen können
RAVENSBURG (ben) - Viele Landwirte im Südwesten bereiten zurzeit die Anreise ihrer ausländischen Saisonkräfte vor. Vor allem Hopfen-, Spargelund Erdbeerbauern hoffen, dass ihre Helfer aus Rumänien und Polen trotz Corona ohne Probleme einreisen können. „Gerade in Baden-Württemberg mit unseren vielen Sonderkulturbetrieben brauchen wir diese erfahrenen Mitarbeiter, damit wir auch künftig heimische hochwertige Lebensmittel liefern können“, sagt der Südwest-Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied der „Schwäbischen Zeitung“.
RAVENSBURG - Rund 2,5 Prozent des weltweit angebauten Hopfens kommen jedes Jahr aus Tettnang. Doch bevor die Bauern des oberschwäbischen Städtchens die Dolden im September ernten können, müssen im Frühjahr die Felder gepflegt werden: Die Drähte, an denen die Ranken emporwachsen, sind aufzuhängen, der Boden ist aufzulockern, und dann müssen in mühseliger Arbeit aus jedem Stock drei, vier gleichmäßig gewachsene Triebe im Uhrzeigersinn um den Draht gelegt – und die übrigen Triebe ausgerissen werden. „Da braucht man Ausdauer und ein gutes Kreuz“, sagt Jürgen Weishaupt, der Geschäftsführer des Hopfenpflanzerverbands Tettnang. „Ohne Erntehelfer geht das nicht.“
Nicht nur die Hopfenpflanzer aus Tettnang, sondern viele andere bäuerliche Betriebe sind auf Hilfskräfte angewiesen, die vor allem aus Polen und Rumänien nach Deutschland kommen, um auf den Höfen zu arbeiten. „Gerade in Baden-Württemberg mit unseren vielen Sonderkulturbetrieben brauchen wir diese erfahrenen Mitarbeiter, damit wir auch künftig heimische hochwertige Lebensmittel
liefern können“, sagt der Präsident des baden-württembergischen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, der „Schwäbischen Zeitung“. Die Bauern im Südwesten bauen Erdbeeren und Spargel an, Hopfen und Wein, in der Rhein-Neckar-Ebene liegen die Gemüsebetriebe, die gerade das Kraut setzen, am Bodensee sind die Landwirte zu Hause mit ihren Baumund Beerenobstplantagen.
Rund 53000 Saisonarbeitskräfte arbeiten nach Informationen des baden-württembergischen Bauernverbandes jedes Jahr auf Betrieben zwischen Mannheim, Lindau, Aalen und Freiburg – in normalen Jahren. Das Jahr 2021 ist aber kein normales Jahr. Es ist das Jahr eins nach dem HorrorFrühjahr, in der die Corona-Krise alle Planungen und Vorbereitungen der Bauern vollkommen über den Haufen warf. Geschlossene Grenzen verhinderten die Anreise von Saisonarbeitern, Hygiene-Konzepte gab es in den ersten Tagen der Pandemie noch nicht, und die Regelungen, die die Betriebe umsetzen mussten, änderten sich zum Teil stündlich.
„Es war Harakiri, fast jeden Tag, wir haben Charterflüge organisiert, um unsere Leute, die zum Teil seit 20 oder 30 Jahren kommen, zu uns zu holen“, erzählt Weishaupt. „Teilweise haben wir rund um die Uhr gearbeitet“. An der Erfüllung der Einreiseformalitäten, an der Umsetzung der Hygieneregeln und der richtigen Unterbringung der Mitarbeiter. „Dieser Erfahrungsschatz aus dem Vorjahr hilft uns nun sehr“, sagt der Vetreter der Tettnanger Hopfenbauern – und er ist optimistisch. „Ja, wir werden das stemmen, jetzt haben wir Spielregeln, kennen die Regelungen, auf die wir uns einstellen können.“
Rund 300 Kilometer nordwestlich von Tettnang, in Bad Schönborn, südlich von Heidelberg, blickt ein Kollege von Jürgen Weishaupt ähnlich optimistisch auf die kommenden Wochen. Simon Schumacher fügt dem optimistisch allerdings noch ein „vorsichtig“hinzu, er vertritt die Landwirte, die im Südwesten Erdbeeren und Spargel anbauen. „Im Vergleich zum vergangenen Frühjahr sind wir wesentlich besser vorbereitet, alles ist koordiniert und geregelt“, erklärt der Vorstandssprecher des Verbands der Süddeutschen Spargelund Erdbeeranbauer (VSSE). In der Regel sei es so organisiert, dass die Saisonarbeiter mit einem negativen Covid-19-Test in ihrer Heimat in einen Bus steigen, der auf dem Landweg
von Polen und Rumänien direkt zu den jeweiligen Betrieben fährt. „Da steigt keiner zu und keiner aus“, sagt Schumacher. „Und danach greift die sogenannte Arbeitsquarantäne.“Dabei dürfen sich die Saisonkräfte in kleinen Gruppen auf dem Hof und dem Feld bewegen und arbeiten. Diese Quarantäne dauert zehn Tage, sie kann frühestens nach fünf Tagen mit einem weiteren negativen Test beendet werden. Das Arbeiten und Wohnen in kleinen Gruppen hätte sich bewährt. „Das ist alles ein Mikrokosmos, der sehr sicher ist“, erklärt Schumacher weiter. „Und für die Betriebe ist das sehr gut umsetzbar.“
Dennoch könnte aus VSSE-Sicht der Infektionsschutz weiter verbessert werden – wenn Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine Regel aus dem vergangenen Jahr erneut anwenden würde. Damals hatte die Bundesregierung die Sozialversicherungspflicht bei Saisonarbeitskräften nicht nur für drei Monate, sondern für fünf Monate ausgesetzt. Die Folge war: Das Personal auf den Höfen musste weniger ausgewechselt werden. „Jeder Mitarbeiter, der in diesen Zeiten nicht kommt, ist ein Infektionsrisiko weniger“, erläutert Schumacher die Position der Bauern.
Doch bislang weigert sich Heil, dieser Verlängerung zuzustimmen. Da die Erntehelfer in der Regel durch eine private Krankenversicherung abgesichert sind, kann auch der Bauernverband die Blockadehaltung des Arbeitsministers nicht verstehen.
Dass sowohl Schumacher als auch Weishaupt nur „vorsichtig“optimistisch in die Zukunft schauen, hat einen weiteren Grund. Sollte sich die Infektionslage in Polen und Rumänien – insbesondere im Hinblick auf die Verbreitung von Mutationen des Coronavirus – verändern, könnte die fragile Organisation der Betriebe ins Wanken geraten. „Wir wissen nicht, wie die Länder reagieren, was an den Grenzen passiert und ob der Landweg wieder geschlossen wird“, sagt Schumacher. Und Weishaupt fügt an: „Charterflüge, das geht nicht noch mal, das müssen wir unbedingt vermeiden.“
Sollte es dazu kommen und sollten die Mitarbeiter, die in den nächsten Wochen in Tettnang die Hopfenranken auf die Drähte wickeln sollen, ausbleiben, ständen die Betriebe vor einem großen Problem. Im Bodenseeraum sind mehr als sechs Millionen Pflanzen zu bearbeiten. Schließlich kommen 2,5 Prozent des weltweiten Hopfens aus Tettnang.