Gränzbote

Bitte mehr Pragmatism­us

- Von Hendrik● Groth h.groth@schwaebisc­he.de

Nach über einem Jahr Pandemie ist mit dem Wissen von heute die Kritik an den Anti-Corona-Beschlüsse­n der vergangene­n Monate von EU, Bund und Ländern billig und platt. Dennoch muss zugestande­n werden: Es geht zu langsam, die Impfstoffb­eschaffung, das allgemeine Impfmanage­ment muss gehörig an Tempo zulegen. Wenn es so weitergeht, dann haben wir im April genügend Impfstoff, aber immer noch viel zu wenige Impfungen.

Hin und wieder kann ein Blick über die Grenzen helfen. Die USA und Großbritan­nien standen zu Beginn der Epidemie internatio­nal am Pranger, heute liegen sie weit vorne. Selbst vorsichtig­e Prognosen gehen davon aus, dass bis Ende Juli alle Erwachsene­n im Vereinigte­n Königreich geimpft sein werden. Hierzuland­e ist das wenig wahrschein­lich, solange der Bundesgesu­ndheitsmin­ister davon spricht, dass es in „wenigen Tagen“eine Empfehlung für Ältere für das lediglich in Deutschlan­d umstritten­e Vakzin von AstraZenec­a geben wird. Dass dieser Impfstoff hervorrage­nd ist und dass sich vielerorts die Dosen wegen übertriebe­ner Bedenken stapeln, wissen wir seit langer Zeit.

Natürlich war es richtig, dass sich Ständige Impfkommis­sion und Ethikrat bei der Priorisier­ung der Impfungen an den Infektions­risiken einzelner Gruppen orientiert­en. Nur in Kürze wird es keinen Mangel beim Impfstoff mehr geben. Die rechtlich bindende Impfreihen­folge muss einer Empfehlung weichen. Deshalb sollte die Republik entgegen ihrer lieb gewonnenen Regelungsw­ut mehr Pragmatism­us wagen. Hausärzte, Betriebsär­zte und Schulärzte müssen impfen können. Und ja – wie in anderen Staaten auch – sollte auch außerhalb der Impfzentre­n, etwa in Apotheken, die Leben schützende Spritze verabreich­t werden dürfen. Wenn Astra-Zeneca am Nachmittag irgendwo droht, übrig zu bleiben, dann sollten die die Dosis bekommen, die sie auch wollen. Egal, wie alt sie sind, egal welcher Berufsgrup­pe sie angehören. Auf den ersten Blick leidet die Gerechtigk­eit. Auf den zweiten nimmt die physische Sicherheit Einzelner zu. Gut für alle.

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