Papst auf gefährlicher Mission
Franziskus reist am Freitag in den Irak – Christen erhoffen sich Ermutigung und Beistand
RAVENSBURG - Die erste Auslandsreise seit Beginn der Corona-Pandemie führt Papst Franziskus von Freitag bis Montag in den Irak, einen der komplexesten Krisenherde der Welt. Franziskus will vor allem der christlichen Minderheit Mut machen und Christen besuchen, die unter der Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) gelitten haben. Von den einst rund einer Million Christen sind seit 2003 mehr als zwei Drittel vor islamistischem Terror geflohen oder vom IS vertrieben worden, ebenso wie Jesiden. Franziskus setzt auch den Dialog mit Vertretern des Islam fort: Großajatollah Ali al-Sistani wird Papst Franziskus in der heiligen Stadt Nadschaf empfangen. Erstmals sprechen das Oberhaupt der katholischen Kirche und der angesehenste Repräsentant des schiitischen Islam persönlich miteinander.
Der Papst hält an den Reiseplänen trotz der angespannten Sicherheitslage in dem Land fest. Auf einer Luftwaffenbasis im Westen des Iraks waren am Mittwochmorgen Raketen eingeschlagen. Der Stützpunkt Ain al-Assad wird von Truppen des westlichen Bündnisses genutzt, das gegen den IS vorgeht. Daran sind auch Soldaten der Bundeswehr beteiligt, sie blieben unverletzt. Ein Zivilist soll an einem Herzinfarkt während der Attacke gestorben sein.
Franziskus selbst sagte am Mittwoch, er wolle mit anderen Religionsführern „einen weiteren Schritt in Richtung Brüderlichkeit“gehen. Der Papst sprach mit Blick auf die Christen im Irak von einer „Märtyrerkirche im Lande Abrahams“.
„Dass der Papst am Sonntag in meine Heimatstadt kommt, bewegt mich besonders und stärkt mich in meiner Arbeit.“Das sagt Georges Jahola, syrisch-katholischer Priester und Pfarrer der Kirche Benam und Sarah in Karakosch in der NiniveEbene. Im Jahr 2014 hatte der IS die fast 60 000 Christen aus Karakosch vertrieben, viele von ihnen getötet. Die Terroristen hatten die Kirche in Brand gesteckt, Heiligenfiguren bei Schießübungen zerstört. Viele religiöse Minderheiten, darunter Christen und Jesiden, sind auch nach Ende der Gewaltherrschaft des IS nicht in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt: „Mittlerweile sind zwar 24 000
Christen wieder hier, aber in der Ninive-Ebene, der historischen Heimat, leiden die Menschen noch immer unter Diskriminierung und Gewalt.“Jahola hofft, dass Franziskus die Christen nicht nur zum Bleiben auffordert: „Hier, in der Wiege der Christenheit, wo seit 2000 Jahren Christen leben, erwarten wir viel vom Heiligen Vater: Gebet, Ermutigung, Begleitung“, berichtet Jahola der „Schwäbischen Zeitung“. „Wir erwarten, dass der Papst mit seiner Autorität, die ja durchaus auch bei Muslimen anerkannt ist, unsere Interessen artikuliert.“Auch die Aufarbeitung der ISVerbrechen und die Versöhnung zwischen Ethnien und Religionen bleibe eine Herausforderung.
Es ist der erste Besuch eines römischen Kirchenoberhaupts in dem von Kriegen sowie religiösen und ethnischen Rivalitäten zerrütteten Staat, der zudem stark unter Gewalt und der Corona-Pandemie leidet. Am Freitag wird Franziskus von Staatspräsident Barham Salih in Bagdad empfangen. Nach dem Gespräch mit Großajatollah Ali al-Sistani am Samstag ist ein Besuch an den 4000 Jahre alten Ruinen der Stadt Ur im Südirak mit einem interreligiösen Treffen geplant. Ur gilt als Heimat des biblischen Stammvaters Abraham, der von Juden, Christen und Muslimen gleichermaßen verehrt wird. Zum Abschluss am Sonntag will Franziskus die einstige Hochburg des sogenannten „Islamischen Staats“in Mossul besuchen und dann über Karakosch in die Hauptstadt der Kurdenregion Erbil fahren, um dort eine große Messe zu feiern. Dazu sind 10 000 Teilnehmer zugelassen. Am Montag wird der Papst in Rom zurückerwartet.
In Erbil laufen derweil die Vorbereitungen für den Besuch auf Hochtouren. „Die Christen sind froh, dass der Papst endlich kommt, ihnen neue Perspektiven aufzeigt, sich für ihren Schutz und mehr Rechte einsetzt“, sagt Thomas Shairzid. Er ist chaldäisch-katholischer Christ, floh in den 1990er-Jahren vor dem Regime des damaligen Diktators Saddam Hussein nach Deutschland und engagiert sich heute bei der Caritas-Flüchtlingshilfe Essen auch für Christen im Irak. Er ist Ansprechpartner der Weihnachtsspendenaktion „Helfen bringt Freude“der „Schwäbischen Zeitung“, die in der Ninive-Ebene ebenfalls einige Projekte in christlichen Dörfern unterstützt: „Hilfe aus dem Ausland und jetzt der Papstbesuch ermutigen die Menschen, hierzubleiben und nicht zu fliehen“, sagt Shairzid. Dass Franziskus fünf irakische Provinzen besuche, „beweist, wie wichtig ihm unser Volk ist“.
Im Irak wie in der gesamten islamischen Welt gilt Franziskus als glaubwürdiger Brückenbauer. Nachdem die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Islam unter seinem Vorgänger Benedikt XVI. stark abgekühlt waren, setzte der Argentinier das Thema ganz oben auf seine Agenda. Vorläufiger Höhepunkt der Annäherungspolitik war das Treffen mit dem Großscheich der Kairoer Al-Azhar-Universität, Ahmad al-Tayyeb, im Februar 2019 in Abu Dhabi, wo beide das „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“unterzeichneten.
Wichtigste Stimme des Ausgleichs im Zwei-Strom-Land ist Großayatollah Ali al-Sistani. Der 90-jährige al-Sistani tritt für den Schutz religiöser Minderheiten und einen pluralen irakischen Staat ein. Ihn wird Papst Franziskus in der heiligen Stadt Nadschaf, der für Schiiten drittheiligsten Stadt nach Mekka und Medina, treffen. Schon jetzt gilt die Begegnung zwischen dem Kirchenoberhaupt und dem hoch angesehenen schiitischen Geistlichen als starkes Symbol für den Dialog zwischen Christen und Muslimen. Beobachter erwarten von dem als persönlich deklarierten Treffen einen weiteren Impuls für den katholisch-schiitischen Dialog.