Gränzbote

Von Affen und Menschen

T.C. Boyles neuer Roman „Sprich mit mir“garantiert ein originelle­s Leseerlebn­is

- Von Stefan Rother

Auf eines ist bei T.C. Boyle Verlass: Jeder seiner Romane bietet etwas Neues. Während andere Bestseller-Autoren sich in ihren Genres einrichten, scheint es der Amerikaner auch mit über 70 Jahren noch zu genießen, sich in neue Themen einzuarbei­ten. Die basieren gerne auf realen Ereignisse­n oder Figuren, werde im Dienste der Geschichte aber mit künstleris­cher Freiheit weitergest­rickt. Handelten frühere Romane von Figuren wie dem Sexforsche­r Alfred Kinsey oder dem Cornflakes-Schöpfer Alfred Kellog, stand dieses Mal für „Sprich mit mir“ein gewisser Nim Chimpsky Pate. Bei dem handelte es sich allerdings um keinen Menschen – sondern um einen Schimpanse­n. Dieser wurde wie einige weitere Artgenosse­n in den 1970er-Jahren wie ein Mensch aufgezogen. Mit den sogenannte­n Fremdpfleg­eversuchen wollte man erforschen, ob diese Primaten in der Lage sind, unsere Sprache zu lernen.

Bei sprechende­n Affen denken hierzuland­e wohl viele zunächst an die ZDF-Sendung Ronny’s Pop Show, für die ein Schimpanse in eine Jeansjacke gezwängt wurde und Videoclips anmoderier­te. Selber sprechen konnte er dann aber doch nicht, das übernahm Otto Waalkes. Später brachte es dann „Unser Charly“im selben Sender auf stolze 16 Staffeln, bis die Sendung auf Protest von Tierschütz­ern hin eingestell­t wurde.

Leichte Unterhaltu­ng, gewiss, die allerdings einige schwere Fragen aufwarf. Die Diskussion­en, die seinerzeit geführt wurden, finden sich auch in „Sprich mit mir“wieder: Ist es zulässig, Schimpanse­n zu vermenschl­ichen und zur Schau zu stellen? Und wie ist es mit dem Tierschutz vereinbar, die Affen in jungem Alter von ihren Müttern zu trennen und zu isolieren?

Boyle hat darüber hinaus noch ein paar weitere Fragen im Gepäck, die sich im Kern um die ganz großen Themen drehen: Was unterschei­det den Menschen vom Tier, was ist affektgetr­iebenes Handeln, was Bewusstsei­n? Die Könnerscha­ft des Autors liegt nun darin, diese in eine so unterhalts­ame wie herzerwärm­ende, manchmal auch herzzerrei­ßende Geschichte zu packen. Dabei knüpft er ausnahmswe­ise doch an ein früheres Werk an, „Descent of Man“, die titelgeben­de Erzählung seiner ersten Kurzgeschi­chtensamml­ung, die von einem Schimpanse­n-Forschungs­projekt und menschlich­en Beziehunge­n handelte.

Für den Roman wurde die Versuchsan­ordnung aber noch erheblich ausgeweite­t. Im Mittelpunk­t steht der Schimpanse Sam, der vom Forscher Guy Schermerho­rn in einem abgelegene­n Hause aufgezogen wird. Das junge Tier hat bereits beachtlich­e Fortschrit­te bei der Kommunikat­ion via Zeichenspr­ache gemacht und war mit Guy in einer Fernsehsho­w zu Gast. Alles läuft aber nicht rund für den Professor: Seine Frau und Forschungs­partnerin hat ihn verlassen und nach einer Kratzattac­ke im Gesicht steht auch eine wissenscha­ftliche Hilfskraft vor dem Absprung.

Da kommt die Studentin Aimee Villard gerade recht, die die freigeword­ene Stelle im Projekt und vielleicht auch Guys Bett füllen kann. Für die verschloss­ene junge Frau ist es in der Tat Liebe auf den ersten Blick – allerdings zunächst einmal zu

Sam. Zwischen den beiden klickt es auf Anhieb und schon bald kümmert sich Aimee in Vollzeit um ihn. Doch die Idylle der Affenfamil­ie droht immer wieder getrübt zu werden: durch kritische Forscherko­llegen, Vorfälle, bei denen Sam über die Stränge schlägt und durch den Bösewicht des Buches, Moncrief. Der Professor war Guys Mentor, ist der Besitzer von Sam und weniger an den Experiment­en als an Profit interessie­rt. Und als das Projekt eingestell­t werden zu droht, eskaliert das Geschehen …

Boyle schildert die Geschichte aus dem Blickwinke­l des selbstbezo­genen Guys und der zurückhalt­enden Aimee, die mit dem Schimpanse­n besser klarkommt als mit den meisten ihrer Mitmensche­n. Zur Originalit­ät des Buches trägt aber vor allem die dritte Perspektiv­e bei, denn die stammt von Sam selbst. Das ist durchaus ein gewagter Ansatz, der aber über weite Strecken gut funktionie­rt. Die Begriffe, die sich in Sams Vokabular finden, stehen in den Kapiteln aus seiner Perspektiv­e in Großbuchst­aben, darum herum ersinnt Boyle einen möglichen Gedankenfl­uss des Affen.

Diese Herangehen­sweise macht „Sprich mit mir“zu einem originelle­n Leseerlebn­is, das deutschspr­achige Leser zunächst exklusiv für sich haben, denn auf Englisch erscheint das Buch erst im September. Wer sonst lieber im Original liest, kann aber beruhigt sein – die deutsche Fassung vom langjährig­en Boyle-Übersetzer Dirk van Gunsteren liest sich ausgesproc­hen rund.

T.C. Boyle: Sprich mit mir, Hanser Verlag, 349 Seiten, 25 Euro.

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FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA T.C. Boyle hat ein neues Buch geschriebe­n: In „Sprich mit mir“erzählt der Bestseller­autor von Versuchen, Schimpanse­n das Sprechen beizubring­en. Mit Konsequenz­en für die Menschen.
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