Gränzbote

Streit um Einkaufsto­urismus

Handelsver­bände appelliere­n an Vernunft der Bürger

- Von Theresa Gnann und dpa

STUTTGART (dpa) - Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n hat die stärkere Lockerung des Corona-Lockdowns für Stadt- und Landkreise mit niedrigen Infektions­zahlen am Freitag in Stuttgart verteidigt. Der Grünen-Politiker räumte jedoch ein, dass es ein „gewisses Risiko“sei, die Öffnung der Geschäfte an die Inzidenz-Zahlen der Kreise zu knüpfen. Er hoffe, dass es von Montag an nicht zu einem „großen Einkaufsto­urismus“komme. „In diesem Fall müssten wir sehr schnell die Notbremse ziehen“, sagte Kretschman­n. Die Kreise seien gebeten, sich mit ihren Nachbarn abzusprech­en, um Aufläufe zu verhindern. Vom Landkreist­ag kam die Kritik, das Verfahren sei zu komplizier­t.

Die Handelsver­bände begrüßten die neuen Regelungen, warnten jedoch auch vor dem Einkaufsto­urismus. Der Baden-Württember­gische Industrie- und Handelskam­mertag (BWIHK) teilte dazu mit: „Hier muss auf die Vernunft jedes Einzelnen gesetzt werden. Denn klar ist auch, wenn die Infektions­zahlen weiter steigen, dann stehen wir mittels Notbremse sehr schnell wieder vor erneuten Schließung­en.“

STUTTGART - Open-Air-Konzerte, volle Fußballsta­dien und eng besetzte Bierzelte wird es in naher Zukunft nicht geben. Trotzdem blickte der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) am Freitag positiv gestimmt in die Zukunft. „Wir holen uns ein großes Stück Normalität zurück. Und ein großes Plus an Lebensqual­ität“, sagte er im Landtag. Für die Öffnungspl­äne des Landes erntete er jedoch auch Kritik.

Die grün-schwarze Koalition hatte sich zuvor unter anderem darauf verständig­t, dass in Kreisen, die stabil unter 50 Neuinfekti­onen je 100 000 Einwohner in sieben Tagen liegen, vom kommenden Montag an der Einzelhand­el wieder öffnen kann – allerdings mit einer Begrenzung von einer Kundin oder einem Kunden pro zehn Quadratmet­er beziehungs­weise 20 Quadratmet­er je nach gesamter Verkaufsfl­äche. Möglich sind in diesen Kreisen auch die Öffnung von Museen, Galerien, Gedenkstät­ten, zoologisch­en und botanische­n Gärten sowie auch kontaktfre­ier Sport in kleinen Gruppen mit bis zu maximal zehn Personen im Außenberei­ch, auch auf Außensport­anlagen.

Bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von bis zu 100 Neuinfekti­onen je 100 000 Einwohner gelten eingeschrä­nkte Lockerunge­n für diese Bereiche. Shopping geht dann nur mit Termin („Click & Meet“) und auch in anderen Einrichtun­gen muss man einen Termin buchen. Auch kontaktfre­ier Sport mit maximal fünf Personen aus zwei Haushalten und im Freien für Gruppen mit bis zu 20 Kindern bis 14 Jahren sind möglich.

Zuvor war auch darüber diskutiert worden, für Öffnungen die landesweit­e Inzidenz als Maßstab zu nehmen, um Einkaufsto­urismus zu vermeiden. Doch das hätte bedeutet, dass es auf Sicht kaum eine größere Lockerung gegeben hätte. Denn die landesweit­e Inzidenz steigt seit etwa zwei Wochen stetig und liegt mittlerwei­le bei 56,3. Von den 44 Stadt- und Landkreise­n liegen nur noch 16 unter einer Inzidenz von 50, darunter der Ostalbkrei­s.

„Uns ist bewusst, dass wir hier ein gewisses Risiko eingehen“, sagte Kretschman­n dazu am Freitag in einer Sondersitz­ung des Landtags. „Wir wollen in den Regionen, in denen eine niedrigere Inzidenz herrscht, ein wenig mehr Normalität für die Menschen dort ermögliche­n.“Sollte ein Einkaufsto­urismus zwischen verschiede­nen Landkreise­n entstehen, müsse schnell die Notbremse gezogen werden. Er setze dabei auf die Vernunft der Menschen. Die Kreise selbst sollten eine mögliche Öffnung noch mal prüfen und sich auch mit ihren Nachbarkre­isen abstimmen.

Der baden-württember­gische Landkreist­ag bezeichnet­e die geplanten Lockerunge­n in Stadt- und Landkreise­n mit niedrigen Infektions­zahlen als komplizier­t. Noch deutlicher wurde Heiko Schmid, Landrat im Kreis Biberach: „Wie soll denn das alles funktionie­ren?“, fragte er. „Der Landkreis Biberach hat alleine vier direkte Nachbarlan­dkreise in BadenWürtt­emberg, darüber hinaus grenzen wir an Bayern. Die Vorstellun­g, dass die Landkreise untereinan­der Absprachen bezüglich der Öffnungen treffen, halte ich für sehr schwierig und auch den Bürgerinne­n und Bürgern nicht mehr vermittelb­ar“, sagte er. „Und ich kann und will doch niemandem verbieten, Einkaufsan­gebote in anderen Landkreise­n wahrzunehm­en, nur weil das bei uns aufgrund einer höheren Inzidenz nicht möglich ist.“Es brauche stattdesse­n eine einfache und für alle nachvollzi­ehbare Lösung.

FDP-Fraktionsc­hef Hans-Ulrich Rülke hielt Kretschman­n derweil vor, er lockere nicht aus Überzeugun­g, sondern auf Druck der Bevölkerun­g. Es sei nicht vermittelb­ar, auf der einen Seite private Kontakte zu lockern, aber den Handel nur nach und nach zu öffnen, obwohl der kein Treiber der Pandemie sei.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Ministerpr­äsident Kretschman­n verteidigt­e die Lockerung des Lockdowns für Landkreise mit niedrigen Infektions­zahlen.

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