„Am Ende vom Satz weiß man gar nicht mehr, wie er angefangen hat“
Die Regierung informiert in der Pandemie unverständlich, sagt Kommunikationsexperte Frank Brettschneider – das schadet der Akzeptanz
RAVENSBURG/STUTTGART - Wissenschaftler der Universität Hohenheim in Stuttgart haben über 1300 Pressemitteilungen untersucht mit der Frage: Informieren Bundesregierung und Landesministerien in der Corona-Krise verständlich? Im Interview mit Emanuel Hege erklärt Studienleiter Frank Brettschneider (Foto: Marijan Murat), warum die Ministerien so schlecht abschneiden, was es mit dem „Fluch des Wissens“auf sich hat und dass auch Parteien im derzeitigen Wahlkampf noch Verbesserungspotenzial haben.
Herr Brettschneider, Sie haben untersucht, ob die Regierung in der Corona-Krise für Bürger nachvollziehbar informiert – warum ist das überhaupt wichtig?
Verständliche Kommunikation der Regierung ist immer wichtig. Damit erklärt die Politik, wie sie handelt und warum sie so handelt. In Krisenzeiten ist das natürlich erst recht wichtig – warum? Weil die Akzeptanz der Maßnahmen davon abhängt, und mit der Akzeptanz hängt wiederum das Verhalten der Menschen zusammen. Wenn nicht verstanden wird, warum es bestimmte Regeln gibt, kann man sich erstens nicht an sie halten. Zweitens können Regeln als willkürlich wahrgenommen werden. Deswegen ist vor allem in Krisenzeiten, aber nicht nur, verständliche Information der Regierung so wichtig.
Sie stellen den Behörden ein schlechtes Zeugnis aus – warum?
Die Bundesregierung und die Ministerien haben es im vergangenen Jahr immer wieder versäumt, ihre Positionen für Laien verständlich zu erklären. Beispielsweise werden sehr viele Fachbegriffe verwendet, die nicht erläutert werden. Es werden Wortzusammensetzungen verwendet, richtige Wort-Ungetüme. Das ist einfach nicht nötig, es erschwert nur das Lesen. Das größte Problem sind aber die sehr langen Sätze – wir sprechen da von Monster- und Bandwurmsätzen. Die sind dann häufig auch noch verschachtelt, 40 oder 50 Wörter pro Satz sind keine Seltenheit. Da weiß man am Ende vom Satz gar nicht mehr, wie er angefangen hat.
Haben Behörden im Gegensatz zu anderen Organisationen oder Unternehmen besondere Probleme?
Wir untersuchen ganz viele Texte, auch Medienberichterstattung, Reden von Vorstandsvorsitzenden oder Informationsblätter. Das, was wir jetzt gefunden haben, ist zwar kein exklusives Problem der Behörden, im Vergleich lieben Ministerien die langen Sätze aber schon besonders. Wir messen die Verständlichkeit auf einer Skala von 0 bis 20. 0 steht für schwer verständlich, 20 für leicht verständlich. Die untersuchten Corona-Pressemitteilungen haben einen Durchschnittswert von 7,4. Zur Orientierung: Radionachrichten sind ziemlich verständlich mit einem Wert von 16. Politikwissenschaftliche Doktorarbeiten liegen bei 4,3 Punkten. Die Reden der Vorstandsvorsitzenden der DAX-30-Unternehmen landen bei 15,5 Punkten.
Warum haben Behörden denn diese Probleme mit der Kommunikation?
Unternehmen haben beispielsweise erkannt, dass nur der überzeugen kann, der verstanden wird – darauf wird in Unternehmen immer mehr Wert gelegt. Bei Behörden steht eine andere Anforderung im Mittelpunkt: Dort muss alles rechtlich und sachlich sicher sein. Deshalb gibt es auch längere Abstimmungsschleifen zwischen Presseabteilung und Fachabteilungen. Die machen das ein Stück weit unverständlicher, was für mich aber nicht wirklich nachvollziehbar ist. Nur weil es rechtssichere Sätze sein müssen, müssen es keine Schachtelsätze sein.
Sie sprechen in der Studie vom Fluch des Wissens – was bedeutet das genau?
Das ist das Phänomen, wenn Fachleute unter Zeitdruck Texte schreiben und in ihren Fachjargon verfallen. Die können sich dann nicht vorstellen, dass andere Menschen ihre Fachbegriffe nicht kennen. Für sie sind das ja ganz alltägliche Wörter. Je mehr man sich auskennt, desto schwerer fällt es, Fachbegriffe zu erkennen und zu übersetzen.
Haben die Presseabteilungen der Ministerien keinen Einfluss darauf?
Die haben durchaus Einfluss, am Ende sitzen die Fachabteilungen der Behörden aber häufig am längeren Hebel. Außer es geht um ganz wichtige Texte, wie beispielsweise die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin. Da gucken auch viele Redenschreiber drauf unter dem Aspekt der öffentlichen Wirkung.
Wie kommuniziert man überhaupt verständlich?
Bei unserer Forschung geht es um Wort- und Satzmerkmale. Wie lang sind Wörter? Wie häufig werden Fachbegriffe und Anglizismen genutzt? Werden diese erklärt? Bei den Merkmalen gilt beispielsweise – Sätze mit über 20 Wörtern sind deutlich zu lang. Es gibt eigentlich eine einfache Regel: Ein Gedanke pro Satz – dagegen wird häufig verstoßen. Ganz grundsätzlich sind Texte außerdem verständlich, wenn viel in aktiven Sätzen mit kraftvollen Verben geschrieben wird. Bei Behörden findet man aber oft Passivsätze, bei denen man gar nicht weiß, wer da eigentlich handelt. Das alles heißt aber nicht, dass der Text dann auch eine inhaltlich gute Botschaft enthält. Man kann auch den größten Quatsch verständlich schreiben.
Sie haben auch die Parteiprogramme für die kommende Landtagswahl untersucht, besonders schlecht schneiden die FDP und AfD ab – was machen diese Parteien falsch?
Auch hier gibt es viel zu lange Sätze und zu viele Fachbegriffe. Insgesamt ist die Verständlichkeit der Wahlprogramme im Vergleich zur vergangenen Landtagswahl jedoch gestiegen. Dieses Mal ist die SPD wirklich gut. Wenn im Wahlprogramm der SPD Fachbegriffe auftauchen, dann oft mit einer Sprechblase, in der die Fachbegriffe erläutert werden. Das finde ich einen guten Weg.
Wollen Parteien überhaupt verständlich für alle sein oder mit bestimmter Sprache bestimmte Milieus erreichen?
Dass eine Intention dahinter steckt, glaube ich nicht. Das Programm wird von Facharbeitskreisen geschrieben, einige Parteien überarbeiten die Texte dann nicht noch mal gründlich. Die AfD und FDP in BadenWürttemberg sehen es offenbar als nicht besonders notwendig an, ihre Programme für Wählerinnen und Wähler leicht lesbar zu machen – das ist eine verschenkte Chance.