Gränzbote

Die Angst vor dem Krieg um Impfstoffe

Lieferstop­p des Präparats von Astra-Zeneca durch die EU löst Kritik, aber auch Zustimmung aus

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Die italienisc­he Regierung hat die Lieferung von 250 000 Dosen Coronaviru­s-Impfstoff des Hersteller­s Astra-Zeneca nach Australien gestoppt. Sie stützt sich dabei auf ein seit Ende Januar geltendes Verfahren, wonach die Pharmafirm­en, die mit der EU Liefervert­räge abgeschlos­sen haben, Exporte anmelden müssen. Die EU-Kommission hat die Entscheidu­ng gebilligt und damit deutlich gemacht, dass sie die Unternehme­n zur Einhaltung ihrer Lieferzusa­gen zwingen will.

Der Impfstoff stammt aus dem belgischen Produktion­sstandort Seneffe und wurde in Italien abgefüllt. Filterprob­leme in der belgischen Anlage hatte Astra-Zeneca wiederholt als Begründung dafür angeführt, dass im ersten Quartal dieses Jahres 75 Millionen Impfdosen weniger in die EU geliefert werden könnten, als vertraglic­h vereinbart war.

In Brüssel sind nicht alle begeistert darüber, dass die EU im Streit mit dem Unternehme­n nun Zähne zeigt. „Das öffnet die Büchse der Pandora und könnte zu einem globalen Kampf um Impfstoffe führen“, warnt der SPD-Europaabge­ordnete und Vorsitzend­e des Handelsaus­schusses, Bernd Lange. „Ein solches Vorgehen ist extrem kurzsichti­g. Die

Lieferkett­en sind komplex, und wir sind auch auf Lieferunge­n von außerhalb der EU angewiesen. Globale Probleme können nur global gelöst werden und nicht durch Protektion­ismus und Nationalis­mus.“

Andere glauben hingegen, dass dieser Kampf längst begonnen hat. Nach einem aktuellen Bericht des litauische­n Geheimdien­stes setzen China und Russland ihre Impfstoffe gezielt als „neues geopolitis­ches Instrument globalen Einflusses“ein, um ihr Image zu verbessern und bestimmte Länder enger an sich zu binden. So sorgte in den letzten Tagen die Meldung für Aufmerksam­keit, dass Ungarn sich aus China und Russland mit Impfstoffe­n beliefern lässt. Die EU-Kommission äußert sich dazu nicht und erinnert regelmäßig daran, dass die Mitgliedsl­änder frei sind, zusätzlich­e Liefervert­räge abzuschlie­ßen – vorausgese­tzt, es handelt sich nicht um Firmen, mit denen die EU im Geschäft ist.

Peter Liese (CDU), gesundheit­spolitisch­er Sprecher der Konservati­ven im Europaparl­ament, begrüßte hingegen die Entscheidu­ng. „AstraZenec­a erfüllt nicht seine Verpflicht­ungen gegenüber den europäisch­en Bürgern und will gleichzeit­ig exportiere­n", sagt der Mediziner. „Es ist gut, dass Italien das verhindert hat." Die EU-Kommission verwies gestern darauf, dass nur Firmen, deren Impfstoffe­ntwicklung mit EU-Geldern gefördert wurde und die Lieferverp­flichtunge­n eingegange­n sind, ihre Exporte anmelden müssen. 174 Ausfuhrgen­ehmigungen seien seither erteilt worden – darunter auch nach Australien. 92 Länder seien zudem von der Exportkont­rolle ausgenomme­n. Die EU sei ein wichtiger Exporteur von Impfstoffe­n und engagiere sich auch im Covax-Programm, das ärmere Länder mit Impfstoff versorgen soll. Die Frage, wie weit Astra-Zeneca seinen Lieferzusa­gen hinterherh­inkt, wollte der Kommission­ssprecher nicht beantworte­n. Auch was mit der in Italien gestoppten Lieferung nun geschehe, falle nicht in seine Zuständigk­eit.

Der australisc­he Gesundheit­sminister Greg Hunt bat die EU-Kommission am Freitag, ihre Entscheidu­ng zu überdenken. Allerdings sei das Impfprogra­mm seines Landes durch den Ausfuhrsto­pp nicht gefährdet. Astra-Zeneca habe bereits 300 000 Dosen geliefert, die als Überbrücku­ng ausreichte­n, bis die Impfstoffp­roduktion im eigenen Land anlaufe.

Australien­s Premiermin­ister Scott Morrison zeigte sogar Verständni­s für die italienisc­he Entscheidu­ng. „In Italien sterben täglich 300 Menschen an Corona. Deshalb kann ich die Ängste dort und in vielen anderen europäisch­en Ländern durchaus verstehen“, sagte er Reportern in Sydney.

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FOTO: MICHAEL MATTHEY/IMAGO IMAGES In Brüssel sind nicht alle begeistert darüber, dass die EU im Streit mit AstraZenec­a nun Zähne zeigt.

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