Die Angst vor dem Krieg um Impfstoffe
Lieferstopp des Präparats von Astra-Zeneca durch die EU löst Kritik, aber auch Zustimmung aus
BRÜSSEL - Die italienische Regierung hat die Lieferung von 250 000 Dosen Coronavirus-Impfstoff des Herstellers Astra-Zeneca nach Australien gestoppt. Sie stützt sich dabei auf ein seit Ende Januar geltendes Verfahren, wonach die Pharmafirmen, die mit der EU Lieferverträge abgeschlossen haben, Exporte anmelden müssen. Die EU-Kommission hat die Entscheidung gebilligt und damit deutlich gemacht, dass sie die Unternehmen zur Einhaltung ihrer Lieferzusagen zwingen will.
Der Impfstoff stammt aus dem belgischen Produktionsstandort Seneffe und wurde in Italien abgefüllt. Filterprobleme in der belgischen Anlage hatte Astra-Zeneca wiederholt als Begründung dafür angeführt, dass im ersten Quartal dieses Jahres 75 Millionen Impfdosen weniger in die EU geliefert werden könnten, als vertraglich vereinbart war.
In Brüssel sind nicht alle begeistert darüber, dass die EU im Streit mit dem Unternehmen nun Zähne zeigt. „Das öffnet die Büchse der Pandora und könnte zu einem globalen Kampf um Impfstoffe führen“, warnt der SPD-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Handelsausschusses, Bernd Lange. „Ein solches Vorgehen ist extrem kurzsichtig. Die
Lieferketten sind komplex, und wir sind auch auf Lieferungen von außerhalb der EU angewiesen. Globale Probleme können nur global gelöst werden und nicht durch Protektionismus und Nationalismus.“
Andere glauben hingegen, dass dieser Kampf längst begonnen hat. Nach einem aktuellen Bericht des litauischen Geheimdienstes setzen China und Russland ihre Impfstoffe gezielt als „neues geopolitisches Instrument globalen Einflusses“ein, um ihr Image zu verbessern und bestimmte Länder enger an sich zu binden. So sorgte in den letzten Tagen die Meldung für Aufmerksamkeit, dass Ungarn sich aus China und Russland mit Impfstoffen beliefern lässt. Die EU-Kommission äußert sich dazu nicht und erinnert regelmäßig daran, dass die Mitgliedsländer frei sind, zusätzliche Lieferverträge abzuschließen – vorausgesetzt, es handelt sich nicht um Firmen, mit denen die EU im Geschäft ist.
Peter Liese (CDU), gesundheitspolitischer Sprecher der Konservativen im Europaparlament, begrüßte hingegen die Entscheidung. „AstraZeneca erfüllt nicht seine Verpflichtungen gegenüber den europäischen Bürgern und will gleichzeitig exportieren", sagt der Mediziner. „Es ist gut, dass Italien das verhindert hat." Die EU-Kommission verwies gestern darauf, dass nur Firmen, deren Impfstoffentwicklung mit EU-Geldern gefördert wurde und die Lieferverpflichtungen eingegangen sind, ihre Exporte anmelden müssen. 174 Ausfuhrgenehmigungen seien seither erteilt worden – darunter auch nach Australien. 92 Länder seien zudem von der Exportkontrolle ausgenommen. Die EU sei ein wichtiger Exporteur von Impfstoffen und engagiere sich auch im Covax-Programm, das ärmere Länder mit Impfstoff versorgen soll. Die Frage, wie weit Astra-Zeneca seinen Lieferzusagen hinterherhinkt, wollte der Kommissionssprecher nicht beantworten. Auch was mit der in Italien gestoppten Lieferung nun geschehe, falle nicht in seine Zuständigkeit.
Der australische Gesundheitsminister Greg Hunt bat die EU-Kommission am Freitag, ihre Entscheidung zu überdenken. Allerdings sei das Impfprogramm seines Landes durch den Ausfuhrstopp nicht gefährdet. Astra-Zeneca habe bereits 300 000 Dosen geliefert, die als Überbrückung ausreichten, bis die Impfstoffproduktion im eigenen Land anlaufe.
Australiens Premierminister Scott Morrison zeigte sogar Verständnis für die italienische Entscheidung. „In Italien sterben täglich 300 Menschen an Corona. Deshalb kann ich die Ängste dort und in vielen anderen europäischen Ländern durchaus verstehen“, sagte er Reportern in Sydney.