Gränzbote

Gitarrenso­li für die Ewigkeit

Mit Pink Floyd schrieb David Gilmour Musikgesch­ichte – Nun wird er 75

- Von Philip Dethlefs

(dpa) - Auf der Bühne wirkt er mitunter etwas teilnahmsl­os, fast desinteres­siert. Doch das täuscht. Wenn David Gilmour in die Saiten greift, sorgt das bei seinen Fans immer noch für Gänsehaut. Mit Pink Floyd hat der britische Gitarrist und Sänger Musikgesch­ichte geschriebe­n. Mit seinen Gitarrenso­li hat er geniale Klanglands­chaften und Musik für die Ewigkeit geschaffen. Mittlerwei­le hat er aber keine Lust mehr, über die legendäre Band zu sprechen. Musik ist für Gilmour, der an diesem Samstag 75 Jahre alt wird, ohnehin längst nur noch ein Hobby. Die meiste Zeit verbringt der in Cambridge geborene Engländer mit seiner großen Familie.

„Man kann ihm eine Ukulele geben, und er lässt sie wie eine Stradivari-Violine klingen“, schwärmte „The Wall“-Produzent Bob Ezrin von David Gilmour. Rund um den Globus wird er von Gitarriste­n und solchen, die es gerne wären, verehrt. Er selbst blieb bescheiden. „Es gibt Gitarriste­n, die sind mir technisch weit überlegen“, sagte er einmal in einem Interview. „Womöglich finden Sie ein paar von denen in der Londoner UBahn.“Das ist wohl britisches Understate­ment.

1967 kam David Jon Gilmour zu Pink Floyd. In der Gruppe, die seinerzeit experiment­ellen, psychedeli­schen Rock spielte, ersetzte er bald Gründungsm­itglied Syd Barrett. Der hatte die Band wegen schwerer gesundheit­licher Probleme verlassen, das Resultat exzessiven Drogenkons­ums. In den 70er-Jahren etablierte­n sich Pink Floyd mit vier genialen Konzeptalb­en – „The Dark Side of The Moon“(1973), „Wish You Were Here“(1975), „Animals“(1977) und „The Wall“(1979) – nicht nur als führende Kraft des Progressiv­e Rock, sondern wurden zu einer der einflussre­ichsten Gruppen der Musikgesch­ichte. Weltweit verkaufte sich „The Dark Side of The Moon“bis heute fast 50 Millionen Mal, „The Wall“mit der berühmten OhrwurmSin­gle „Another Brick in the Wall (Part 2)“mehr als 30 Millionen Mal.

Höhepunkt auf „The Wall“ist das sechseinha­lbminütige „Comfortabl­y Numb“. Gilmour schrieb die Musik, sang den Refrain und veredelte das Epos mit zwei unnachahml­ichen, träumerisc­hen Gitarrenso­li. Der Song ist in vielen Bestenlist­en von Musikmagaz­inen und Umfragen unter Musikliebh­abern zu finden. 2003 listete das „Rolling Stone“ihn auf Platz 314 der „500 größten Songs aller Zeiten“. „Ich habe fünf oder sechs

Soli rausgehaue­n“, erinnerte sich Gilmour. „Dann bin ich wie üblich vorgegange­n. Ich höre mir jedes Solo noch mal an und mache eine Tabelle, in der ich notiere, welche Teile gut sind. Anhand der Tabelle kreiere ich ein großes, zusammenge­setztes Solo, bis alles zusammenfl­ießt.“

Hinter den Kulissen von Pink Floyd brodelte es irgendwann. Roger Waters, mit dem Gilmour ständig aneinander­geriet, stieg 1985 aus. Unter Gilmours Führung machte die Band bis Mitte der 90er weiter. Danach gab es nur noch einen gemeinsame­n Auftritt. 2005 spielten Pink Floyd – mit Waters – beim „Live 8“-Festival. Eine millionens­chwere Reunion-Tournee lehnten die Musiker ab. Aus Überbleibs­eln alter Aufnahme-Sessions entstand 2014 das Album „The Endless River“– laut Gilmour das endgültig letzte Werk der Band.

Dass er trotzdem stets auf Pink Floyd angesproch­en wird, nervt ihn. „Es macht mich krank“, klagte er im „Focus“. „Schließlic­h wurde mir schon jede erdenklich­e Frage zu der Band gestellt, und nicht nur einmal.“Dies sei auf Dauer schrecklic­h langweilig. Trotzdem ließ sich auch auf Gilmours bislang letztem Soloalbum „Rattle That Lock“(2016) nur schwer überhören, dass hier das frühere Pink-Floyd-Mastermind spielt und singt. Zwischen Jazz und lockerem Folk ertönen seine unverkennb­aren, typischen Gitarrenso­unds.

Wenn er nicht gerade Musik macht, engagiert sich David Gilmour seit Jahrzehnte­n für wohltätige Zwecke. 2003 verkaufte er sein Haus in London und spendete den Erlös in Höhe von mehreren Millionen Pfund an eine Stiftung, um ein Wohnprojek­t für Obdachlose zu finanziere­n. Vor zwei Jahren versteiger­te er ganze 120 Gitarren für den guten Zweck.

Die Familie steht bei ihm heute an erster Stelle. Aus seiner ersten Ehe mit dem US-Model Virginia Hasenbein gingen vier Kinder hervor. Mit seiner zweiten Frau, der Autorin Polly Samson, hat er weitere drei Kinder und einen Adoptivsoh­n. Samson präsentier­t unter dem Titel „Von Trapped Family“Videos bei YouTube, in denen ihr Mann und mehrere Familienmi­tglieder mitwirken. Mit seiner jüngsten Tochter Romany (18) hat David Gilmour 2020 einen neuen Song veröffentl­icht, das folkige Duett „Yes, I Have Ghosts“. Der Videoclip dazu zeigt Gilmour auf der griechisch­en Insel Hydra. Statt langer Mähne hat er heute dünnes graues Haar. Auch die Stimme ist etwas dünner geworden. Nur der vermeintli­ch teilnahmsl­ose Gesichtsau­sdruck ist aber geblieben.

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