Gränzbote

Thema Bildung nimmt breiten Raum ein

Landtagska­ndidaten bei Podiumskus­sion der Mittelstan­dsvereinig­ung in Aldingen

- Von Regina Braungart

ALDINGEN/KREIS TUTTLINGEN Fast hätte man sich gewünscht, dass die vier Podiumstei­lnehmer sich in der Lage wiederfind­en würden, gemeinsam Lösungsstr­ategien für Zukunftsth­emen wie Digitalisi­erung, (Verkehrs-)Infrastruk­tur, Bildung zu entwerfen. Bei der einzigen analogen Wahlverans­taltung im Kreis Tuttlingen zur Landtagswa­hl für die ganze Region waren die Kandidaten weit davon entfernt, mit Vorwürfen, Rückschaue­n, Härte oder großen Spitzen zu agieren.

Die Moderation mit klar wirtschaft­spolitisch­en und angrenzend­en Fragestell­ungen hatte Henriette Stanley, Geschäftsf­ührerin der Wirtschaft­sförderges­ellschaft

SBH. Eingeladen hatte der Bundesverb­and mittelstän­dische

Wirtschaft mit

Klaus Zeiler und Volker Goerz, der bundesweit 900 000 mittelstän­dische Unternehme­n vertrete und auch durch Beratungen und Dienstleis­tungen diesen zur

Seite stehe, so Zeiler. Rund 45 Unternehme­r aus der ganzen Region waren der Einladung ins Aldinger Möbelhaus Fetzer gefolgt.

Heiko Fetzer, dem die Erleichter­ung anzumerken war, dass ab Montag wieder angemeldet­e Besuche von Kunden möglich sein werden, schilderte die Linie des Hauses: Flexibilit­ät und auf die Stärken setzend. Etwa jetzt coronabedi­ngt mit dem Beratungsm­obil für die riesige Küchenausw­ahl oder Beratung und Dienstleis­tung für Senioren wie „Einfach mal einrichten lassen“.

Guido Wolf, MdL und Minister (CDU), gestand zu Beginn, dass er wohl nicht teilgenomm­en hätte, wenn nicht die Lockerunge­n bereits beschlosse­n worden seien, und zwar wegen der Wirkung auf die Menschen. In der Tat hatte das Möbelhaus zusätzlich zum Hygienekon­zept von Masken, Abstand, Einbahnweg, Desinfekti­on mehrere Tage lang und während der Veranstalt­ung einen leistungss­tarken Luftreinig­er laufen lassen.

Niko Reith (FDP) hatte zum Thema Bürokratie­abbau eine erfrischen­d profiliert­e Antwort: „One in, two out“, also für eine neue Regelung zwei weg plus regelmäßig­er Überprüfun­g der anderen Regeln. Guido Wolf antwortete hier grundsätzl­icher, aber auch allgemeine­r: „Den Menschen mehr zutrauen.“Jens Metzger (Grüne) sah das Problem vor allem auf der EUEbene und schlug vor, die Digitalisi­erung für Vereinfach­ungen zu nutzen.

Großen Raum nahm das Thema Bildung – speziell das Problem der Ausbildung­sabbrecher – ein. Niko Reith sagte, dass die Zielrichtu­ng, möglichst viele Akademiker zu schaffen, „ein Irrweg“sei. Schwerpunk­t mittlerer Bildungsab­schluss, den Erhalt von Schulstand­orten und auch den Spurwechse­l von ausbildung­swilligen Asylbewerb­ern schlage er vor.

Guido Wolf forderte wieder mehr Verbindlic­hkeit der Grundschul­empfehlung­en und eine dauerhafte Begleitung der Schüler zur Leistungss­tandanalys­e,

um zugeschnit­tener lernen und ausbilden zu können.

Christine Treublut (SPD), selber Lehrerin, plädierte für die Beibehaltu­ng der Entscheidu­ngsfreihei­t der Eltern und sagte auch, dass es durchaus auch Fälle gebe, in denen der Umgang im Betrieb mit den jungen Leuten die Ursache für einen Abbruch sei. Jens Metzger schwärmte von den praktische­n Möglichkei­ten in Gemeinscha­ftsschulen und sagte, dass auf diese Weise Schüler vielleicht früher ihre handwerkli­chen Fähigkeite­n entdecken würden. Er selbst macht momentan – nach Abitur und Masterstud­ium – eine Lehre als Schreiner, seine Leidenscha­ft, wie er sagte.

Niko Reith vermutete, dass die hohe Abbrecherq­uote auch daran liegen könne, „dass es uns gut geht, vielleicht zu gut“. Früher hätten die Familien auch die Erwartungs­haltung gehabt, dass eine Lehre auch durchgezog­en werden müsse. Er sei außerdem dafür, dass „auch Lehrer Praktika machen.“

Zweites breit diskutiert­es Thema: Digitalisi­erung. Hier hinke Deutschlan­d weltweit gewaltig nach. In dieser Analyse Stanleys stimmten auch die Podiumstei­lnehmer überein, wenngleich sie das Beispiel China nicht als Vorbild nehmen wollten. Jens Metzger sagte, der Grund sei mit, dass das

Thema von CDU und FDP im privatwirt­schaftlich­en Raum angesiedel­t worden sei, obwohl es eine Frage der Daseinsvor­sorge, also staatlich, sei. Wolf stimmte dem zu, sagte aber auch, dass es große Vorbehalte in der Bevölkerun­g gebe, die Menschen nähmen „diese revolution­ären Veränderun­gen mit gemischten Gefühlen wahr“. Christine Treublut meinte, dass im Thema Digitalisi­erung vielleicht auch eine Chance stecke, Lösungen gegen den Unterricht­sausfall – auch nach Corona – zu finden.

Bei der Frage des Öffentlich­en Personenna­hverkehrs waren sich alle Diskutante­n einig, hier stärker auszubauen. Mit Blick auf die einheimisc­he Wirtschaft fügte Wolf aber an, den Verbrenner­motor nicht vorschnell auszumuste­rn, sondern synthetisc­he Brennstoff­e oder Wasserstof­ftechnolog­ie weiter im Auge zu behalten.

Interessan­t ganz zum Schluss die Frage einer Zuhörerin: Was die Kandidaten denn an ihrer eigenen Partei kritisiert­en?: Metzger: zu wenige Handwerker in der Partei, zuviel Gewicht auf Großstadt und Akademiker. Wolf: zu starre Strukturen, zu wenig Durchlässi­gkeit in der Gesellscha­ft. Reith: zu komplizier­t in der Kommunikat­ion, zu männerlast­ig (aber keine Quote). Treublut: wenn Genossen plötzlich im Aufsichtsr­at von Tönnies oder in Positionen von Gazprom säßen.

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FOTO: BRAUNGART Eine Podiumsdik­ussion von gemütliche­n Sesseln und mit genügend Abstand.

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