Thema Bildung nimmt breiten Raum ein
Landtagskandidaten bei Podiumskussion der Mittelstandsvereinigung in Aldingen
ALDINGEN/KREIS TUTTLINGEN Fast hätte man sich gewünscht, dass die vier Podiumsteilnehmer sich in der Lage wiederfinden würden, gemeinsam Lösungsstrategien für Zukunftsthemen wie Digitalisierung, (Verkehrs-)Infrastruktur, Bildung zu entwerfen. Bei der einzigen analogen Wahlveranstaltung im Kreis Tuttlingen zur Landtagswahl für die ganze Region waren die Kandidaten weit davon entfernt, mit Vorwürfen, Rückschauen, Härte oder großen Spitzen zu agieren.
Die Moderation mit klar wirtschaftspolitischen und angrenzenden Fragestellungen hatte Henriette Stanley, Geschäftsführerin der Wirtschaftsfördergesellschaft
SBH. Eingeladen hatte der Bundesverband mittelständische
Wirtschaft mit
Klaus Zeiler und Volker Goerz, der bundesweit 900 000 mittelständische Unternehmen vertrete und auch durch Beratungen und Dienstleistungen diesen zur
Seite stehe, so Zeiler. Rund 45 Unternehmer aus der ganzen Region waren der Einladung ins Aldinger Möbelhaus Fetzer gefolgt.
Heiko Fetzer, dem die Erleichterung anzumerken war, dass ab Montag wieder angemeldete Besuche von Kunden möglich sein werden, schilderte die Linie des Hauses: Flexibilität und auf die Stärken setzend. Etwa jetzt coronabedingt mit dem Beratungsmobil für die riesige Küchenauswahl oder Beratung und Dienstleistung für Senioren wie „Einfach mal einrichten lassen“.
Guido Wolf, MdL und Minister (CDU), gestand zu Beginn, dass er wohl nicht teilgenommen hätte, wenn nicht die Lockerungen bereits beschlossen worden seien, und zwar wegen der Wirkung auf die Menschen. In der Tat hatte das Möbelhaus zusätzlich zum Hygienekonzept von Masken, Abstand, Einbahnweg, Desinfektion mehrere Tage lang und während der Veranstaltung einen leistungsstarken Luftreiniger laufen lassen.
Niko Reith (FDP) hatte zum Thema Bürokratieabbau eine erfrischend profilierte Antwort: „One in, two out“, also für eine neue Regelung zwei weg plus regelmäßiger Überprüfung der anderen Regeln. Guido Wolf antwortete hier grundsätzlicher, aber auch allgemeiner: „Den Menschen mehr zutrauen.“Jens Metzger (Grüne) sah das Problem vor allem auf der EUEbene und schlug vor, die Digitalisierung für Vereinfachungen zu nutzen.
Großen Raum nahm das Thema Bildung – speziell das Problem der Ausbildungsabbrecher – ein. Niko Reith sagte, dass die Zielrichtung, möglichst viele Akademiker zu schaffen, „ein Irrweg“sei. Schwerpunkt mittlerer Bildungsabschluss, den Erhalt von Schulstandorten und auch den Spurwechsel von ausbildungswilligen Asylbewerbern schlage er vor.
Guido Wolf forderte wieder mehr Verbindlichkeit der Grundschulempfehlungen und eine dauerhafte Begleitung der Schüler zur Leistungsstandanalyse,
um zugeschnittener lernen und ausbilden zu können.
Christine Treublut (SPD), selber Lehrerin, plädierte für die Beibehaltung der Entscheidungsfreiheit der Eltern und sagte auch, dass es durchaus auch Fälle gebe, in denen der Umgang im Betrieb mit den jungen Leuten die Ursache für einen Abbruch sei. Jens Metzger schwärmte von den praktischen Möglichkeiten in Gemeinschaftsschulen und sagte, dass auf diese Weise Schüler vielleicht früher ihre handwerklichen Fähigkeiten entdecken würden. Er selbst macht momentan – nach Abitur und Masterstudium – eine Lehre als Schreiner, seine Leidenschaft, wie er sagte.
Niko Reith vermutete, dass die hohe Abbrecherquote auch daran liegen könne, „dass es uns gut geht, vielleicht zu gut“. Früher hätten die Familien auch die Erwartungshaltung gehabt, dass eine Lehre auch durchgezogen werden müsse. Er sei außerdem dafür, dass „auch Lehrer Praktika machen.“
Zweites breit diskutiertes Thema: Digitalisierung. Hier hinke Deutschland weltweit gewaltig nach. In dieser Analyse Stanleys stimmten auch die Podiumsteilnehmer überein, wenngleich sie das Beispiel China nicht als Vorbild nehmen wollten. Jens Metzger sagte, der Grund sei mit, dass das
Thema von CDU und FDP im privatwirtschaftlichen Raum angesiedelt worden sei, obwohl es eine Frage der Daseinsvorsorge, also staatlich, sei. Wolf stimmte dem zu, sagte aber auch, dass es große Vorbehalte in der Bevölkerung gebe, die Menschen nähmen „diese revolutionären Veränderungen mit gemischten Gefühlen wahr“. Christine Treublut meinte, dass im Thema Digitalisierung vielleicht auch eine Chance stecke, Lösungen gegen den Unterrichtsausfall – auch nach Corona – zu finden.
Bei der Frage des Öffentlichen Personennahverkehrs waren sich alle Diskutanten einig, hier stärker auszubauen. Mit Blick auf die einheimische Wirtschaft fügte Wolf aber an, den Verbrennermotor nicht vorschnell auszumustern, sondern synthetische Brennstoffe oder Wasserstofftechnologie weiter im Auge zu behalten.
Interessant ganz zum Schluss die Frage einer Zuhörerin: Was die Kandidaten denn an ihrer eigenen Partei kritisierten?: Metzger: zu wenige Handwerker in der Partei, zuviel Gewicht auf Großstadt und Akademiker. Wolf: zu starre Strukturen, zu wenig Durchlässigkeit in der Gesellschaft. Reith: zu kompliziert in der Kommunikation, zu männerlastig (aber keine Quote). Treublut: wenn Genossen plötzlich im Aufsichtsrat von Tönnies oder in Positionen von Gazprom säßen.