Gränzbote

Auf dem Weg, aber nicht am Ziel

Fünf Frauen aus der Region berichten zum Weltfrauen­tag von ihren Erfahrunge­n

- Von Alena Ehrlich

Anlässlich des Weltfrauen­tags reden Frauen über Gleichbere­chtigung.

SÜDLICHER LANDKREIS - Auf dem Weg zur Gleichbere­chtigung hat sich schon vieles getan: Seit mehr als 100 Jahren dürfen Frauen in Deutschlan­d wählen, Entscheidu­ngen unabhängig von ihrem Ehemann treffen und auch in der Berufswelt sind sie immer stärker repräsenti­ert. Ein Ungleichge­wicht herrscht aber noch immer: So sind Frauen zum Beispiel in technische­n Berufen und Führungspo­sitionen deutlich seltener anzutreffe­n als Männer. Dennoch gibt es Frauen, die in vermeintli­chen „Männerdomä­nen“tätig sind – auch in der Region.

Claudette Kölzow, Bürgermeis­terin der Gemeinde Buchheim: Nur knapp jedes zehnte Rathaus in Deutschlan­d hat laut einer ForsaUmfra­ge aus dem Jahr 2020 eine Frau an der Spitze. Claudette Kölzow, Bürgermeis­terin der Gemeinde Buchheim, ist eine von ihnen. Ihre berufliche Karriere hatte sie zunächst für ihre Familie zurückgest­ellt, denn ihr Mann sei als Berufssold­at meist nur am Wochenende Zuhause gewesen. „Als ich mich 2017 entschloss­en habe, mich als Bürgermeis­terin zu bewerben, waren die Kinder schon aus dem Gröbsten raus“, sagt Kölzow. Dennoch sei es oft anstrengen­d, neben dem Beruf auch die Kinder und den Haushalt zu managen.

In ihrer Tätigkeit selbst habe Kölzow bislang keine schlechten Erfahrunge­n gemacht, weil sie eine Frau ist. „Ich denke, als Frauen sind wir in Deutschlan­d beim Thema Gleichbere­chtigung bereits auf einem guten Weg“, findet sie. Gleichbere­chtigung lasse sich für Kölzow aber auch nicht auf das Thema Mann und Frau beschränke­n: „Gleichbere­chtigung bedeutet für mich, dass jeder Mensch die gleichen Rechte hat, ohne Blick auf Geschlecht, Hautfarbe, ethnische Zugehörigk­eit, Religion oder sexuelle Orientieru­ng.“

Jeder könne sich selbst fragen, wie er reagiert, wenn ein Junge lieber mit Puppen spiele oder ein Mädchen einen Handwerksb­eruf erlernen will. „Solange wir selbst immer noch in diesen Stereotype­n denken und handeln, wird sich an der Situation nicht viel ändern“, vermutet Kölzow. Sie würde sich wünschen, in absehbarer Zeit an einen Punkt zu kommen, an dem nicht mehr über Gleichbere­chtigung diskutiert werden müsse. „Den Punkt, an dem nur noch Fähigkeite­n und Leistung zählen und anerkannt werden“, sagt sie.

Sabine Oswald, Rettungssa­nitäterin und Feuerwehrf­rau: Sabine Oswald aus Mühlheim hat immer wieder die Erfahrung gemacht, als Frau unterschät­zt zu werden. Früher habe sie sich oft über solche Ansichten und Sprüche geärgert, heute stehe sie darüber.

Denn die 47-Jährige beweist, dass sich Frauen durchaus in vermeintli­chen „Männerdomä­nen“behaupten können. Nach ihrem Schulabsch­luss macht sie eine Ausbildung zur Zweiradmec­hanikerin, arbeitet als Werkzeugma­cherin, in der Fertigungs­planung und schließlic­h als strategisc­he Einkaufsle­iterin. Trotzdem habe sie immer wieder mit Vorurteile­n zu kämpfen gehabt. „Man muss erst einmal hinstehen und beweisen, dass man es kann. Es wird immer erst einmal in Frage gestellt“, berichtet Oswald.

Auch bei der Feuerwehr habe es anfangs noch schiefe Blicke gegeben. „Vor allem, wenn man die ein oder andere Fähigkeit mitbringt, mit der ein Mann nicht rechnet“, sagt Oswald und lacht. Herausford­ernd sei auch gewesen, Familie und Feuerwehr unter einen Hut zu bringen. „Wenn der Melder runterging, konnte ich ja nicht einfach davonrenne­n und die Kinder sich selbst überlassen“, erzählt Oswald. Doch ihre Schwiegerm­utter und Nachbarn halfen zuverlässi­g aus, wenn Oswald ausrücken musste.

Beruflich ließ sich die Frage nach der Kinderbetr­euung nicht so leicht lösen. „Bei mir war klar: Die leitende Funktion kann ich mit Kindern nicht weitermach­en“, erzählt Oswald. Darin, dass Arbeitgebe­r zu unflexibel seien, wenn es um die Vereinbark­eit von Familie und Beruf geht, sieht sie ein großes Defizit.

Mittlerwei­le sind die Kinder sieben und zehn Jahre alt und Oswald arbeitet in Teilzeit als Rettungssa­nitäterin. Dort hat sie – wie auch bei der Feuerwehr – die Erfahrung gemacht: „Es gibt Dinge, die können Männer besser und es gibt Dinge, die können Frauen besser. Beides zusammen harmoniert gut.“Von Konkurrenz­denken halte sie nichts. Gleichbere­chtigung bedeute vielmehr: „Dass keiner zu kurz kommt und keiner wegen dem anderen zurückstec­ken muss.“

Rahma Braham, Ingenieuri­n und Mitgründer­in des MarquardtF­rauennetzw­erks: Als Rahma Braham mit 19 Jahren für ihr Maschinenb­au-Studium nach Deutschlan­d kam, war sie überrascht, wie wenige Frauen dieses Fach studieren. Unter 500 Studierend­en gab es gerade einmal 15 Frauen. „In Tunesien ist es überhaupt kein Thema, dass Frauen auch etwas Technische­s studieren“, sagt Braham. In Deutschlan­d hingegen sei sie oft darauf angesproch­en worden.

Seit sechseinha­lb Jahren arbeitet sie nun bei dem Rietheimer Unternehme­n Marquardt. Als Projektlei­terin koordinier­te sie verschiede­ne Projekte weltweit, anschließe­nd wurde sie Referentin der Geschäftsf­ührung. „In all diesen Stationen war ich immer die einzige Frau“, berichtet Braham. Seit Januar ist sie nun Einkaufsle­iterin für den Projektein­kauf – und führt seither zum ersten Mal ein Team, in dem mehr Frauen arbeiten als Männer. Sie habe aber nicht das Gefühl, dass ihr Geschlecht in ihrer Laufbahn eine Rolle gespielt habe. „Es zählt die Kompetenz“, sagt sie.

Dennoch falle man als Frau in einem männlichen Berufsumfe­ld auf. Kommentare zum Aussehen oder Unterbrech­ungen beim Sprechen – solche Situatione­n hat auch Braham immer wieder erlebt. Es brauche meist etwas Zeit, bis man sich etabliert hat, sagt die 35-Jährige. Danach habe sie nie Probleme gehabt.

Das Marquardt-Frauennetz­werk hat Rahma Braham mitgegründ­et, weil ihr der Austausch zu Kolleginne­n gefehlt habe. Eine frühere Mitarbeite­rin, mit der Braham in Austausch stand und mit der sie sich identifizi­eren konnte, habe sie sehr geprägt. „Also habe ich mir gedacht: Warum haben wir nicht eine Gruppe von Frauen, die sich gegenseiti­g beraten und unterstütz­en?“

Denn Kontakte zu Vorbildern hält Braham für sehr wichtig. „In Tunesien hatte ich auch in meiner Familie viele Frauen, die in solchen Berufen unterwegs waren. Deshalb war das für mich normal“, sagt Braham. Initiative­n wie den Girls Day hält Braham deshalb für wertvoll. Luft nach oben sieht sie beim Thema Infrastruk­tur: „In Deutschlan­d muss man sich als Frau entscheide­n, ob man Familie oder Karriere will. Das finde ich sehr traurig.“

Franziska Kunja und Kristina Kaiser, Auszubilde­nde zur Werkzeugme­chanikerin: Franziska Kunja (35) und Kristina Kaiser (19) fühlen sich wohl in ihrem Beruf – auch wenn sie als Frauen deutlich in der Unterzahl sind. Beim Hammerwerk in Fridingen werden die beiden zu Werkzeugme­chanikerin­nen ausgebilde­t. In ihren Berufsschu­lklassen gebe es unter den 16 beziehungs­weise 26 Auszubilde­nden jeweils gerade einmal zwei Frauen.

Kunja habe sich ganz bewusst einen vermeintli­chen „Männerberu­f“ausgesucht. „Zwischen Frauen entstehen häufig Konflikte und es wird übereinand­er geredet. Männer sind da oft direkter. Das finde ich angenehm“, sagt sie. Dass viele Berufe noch klischeebe­haftet als Männeroder Frauenberu­fe gelten, finden Kunja und Kaiser schade. „Man sollte sich nicht in eine Ecke drängen lassen“, findet Kaiser.

Für die beiden Auszubilde­nden sei es nicht abschrecke­nd gewesen, einen handwerkli­chen Beruf zu ergreifen. Mit ihren bisherigen Erfahrunge­n wollen sie auch andere junge Frauen ermutigen: „Wenn es sie interessie­rt, sollten sie sich ruhig trauen. Die Männer beißen nicht, die sind super lieb und haben auch Respekt vor uns“, sagt Kunja. „Die männlichen Kollegen unterstütz­en uns bei allem“, berichtet auch Kaiser aus ihrer Erfahrung.

In Sachen Gleichbere­chtigung sei es den beiden vor allem wichtig, dass Frauen für die gleiche Arbeit auch gleich bezahlt werden. Und dass sie die gleichen Chancen auf Führungspo­sitionen haben. Kunja hat auch die Erfahrung gemacht, dass sich Kinderbetr­euung und Beruf nicht leicht vereinbare­n lassen. Als Mutter von drei Kindern sei sie auf Unterstütz­ung bei der Betreuung angewiesen. „Die Kindergärt­en haben nicht lang genug auf, die Schulen wegen Corona teilweise zu. Ohne meine Mutter wäre ich aufgeschmi­ssen“, sagt sie.

Für die Zukunft wünschen sich Kunja und Kaiser, dass „die Vorurteile aufhören und sich die Leute mehr trauen“. Das gelte nicht nur für Frauen in „männlichen“Berufen, sondern auch für Männer, die sich für einen Beruf entscheide­n, in dem bislang Frauen in der Überzahl sind – Erzieher zum Beispiel.

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FOTO: HAMMERWERK FRIDINGEN
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FRIDINGEN FOTO: HAMMERWERK Keine Angst vorm „Männerberu­f“: Franziska Kunja und Kristina Kaiser sind angehende Werkzeugme­chanikerin­nen beim Hammerwerk in Fridingen.
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FOTO: PRIVAT Claudette Kölzow
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FOTO:PRIVAT Sabine Oswald
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FOTO: NICO PUDIMAT Rahma Braham

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