Ärger um Impf-Warteliste
30 Senioren der evangelischen Nachbarschaftshilfe warten vergeblich auf ihren Pieks
Tuttlinger Senioren warten seit Wochen auf den Rückruf der Termin-Hotline.
TUTTLINGEN - Der Frust und die Verzweiflung bei 30 Tuttlinger Senioren steigt: Seit knapp vier Wochen stehen ihre Namen auf der Warteliste für einen Impftermin am Kreisimpfzentrum Tuttlingen. Die evangelische Nachbarschaftshilfe hatte sie dort eintragen lassen, nachdem das Land Baden-Württemberg zur Optimierung der Terminvergabe das sogenannten Recall-System eingeführt hatte. Doch: Vier Wochen später ist noch immer ist kein einziger Rückruf erfolgt.
„Die Leute sind verzweifelt, sie warten sehnsüchtig auf ihre Impfung, weil sie einfach Angst vor einer Infektion haben“, berichtet Brigitte Morlock, Leiterin der evangelischen Nachbarschaftshilfe in Tuttlingen. Es war Anfang Februar kurz nach dem Start des Recall-Systems, als sie die Daten der 30 Personen auf der landesweiten Warteliste eintragen ließ. Allesamt Senioren über 80 Jahre, die sich mit der Bitte an die Nachbarschaftshilfe gewandt hatten, ihnen beim Beschaffen eines Impftermins behilflich zu sein. „Viele von ihnen haben auch keine Angehörigen, die ihnen helfen könnten“, sagt Morlock. Das Recall-System erschien ihr als die perfekte Lösung: Unter der Telefonnummer 116 117 können sich Impfberechtigte auf eine Warteliste eintragen lassen und sollen später per Telefon oder Mail einen Impftermin mitgeteilt bekommen.
Vor dem Start des Recall-Systems habe sie selbst versucht, für die Senioren Impftermine zu organisieren, berichtet die Leiterin der Nachbarschaftshilfe. Doch egal ob per Telefon oder per Internet: „Nie waren freie Termine verfügbar“, sagt sie. Dann erhielt sie den Tipp, es direkt um Mitternacht zu versuchen, da die neuen Termine in allen Impfzentren immer zu dieser Uhrzeit freigeschaltet werden. „Das habe ich einmal gemacht, aber habe es nur für eine Person geschafft. Danach war schon wieder alles vergeben“, erzählt sie.
Für Landrat Stefan Bär sind die Beschwerden, wie sie von der evangelischen Nachbarschaftshilfe in puncto Recall-System geäußert werden, nicht neu. „Ich höre die Klagen auch“, sagt er. Schließlich hätten auch Gemeindeverwaltungen versucht, Impftermine für Senioren zu organisieren. Einblick in das System der Terminvergabe hat er allerdings nicht. „Wir haben nur den Auftrag vom Land bekommen, zu impfen“, sagt er. Er hoffe, dass die Warteliste durch die Zunahme der Impfstoff-Dosen abgearbeitet werden würde. „Ansonsten ergibt die neue Servicefunktion der Hotline keinen Sinn.“
Bernhard Flad, Leiter des Kreisimpfzentrums Tuttlingen, weiß: Wer sich auf der Warteliste befindet, müsse oft viele Wochen warten, bis er tatsächlich einen Termin bekäme. Verwunderlich ist das nicht: Rund 76 600 Menschen über 80 Jahren stehen nach Auskunft des Sozialministeriums Baden-Württemberg derzeit auf der Warteliste für einen Impftermin. Das Ministerium bat am Freitag in einer Pressemitteilung, „von Nachfragen bei der Hotline zur Warteliste abzusehen“. Jede Anfrage binde zusätzliche Kapazitäten, die angesichts der großen Nachfrage für die Terminvergabe und für die Abarbeitung benötigt würden, hieß es aus Stuttgart. Ferner wies das Ministerium darauf hin, dass über das Recall-System bereits 45 000 Bürger einen Impftermin zugeteilt bekommen hätten.
Für die baldige Impfung der Senioren der evangelischen Nachbarschaftshilfe besteht dennoch Hoffnung: Gesundheitsminister Manne Lucha kündigte am Freitag an, dass das Land im März rund 52 000 zusätzliche Impfstoff-Dosen von Biontech/Pfizer erhalte. „Dieser soll vor allem dafür genutzt werden, die Warteliste schneller abzuarbeiten“, erklärt Lucha.
Flad vom KIZ in Tuttlingen rät jedenfalls davon ab, dass sich auf der Warteliste stehende Personen aus Ungeduld nun doch eigenständig Impftermine über das Internet buchen. „Wenn das dann klappt, hat man plötzlich zwei Termine – und wenn man dann einen davon nicht absagt, stehen wir im Impfzentrum mit dem eingeplanten Impfstoff da und die angemeldete Person erscheint nicht“, sagt er.
So heißt es für die Senioren der evangelischen Nachbarschaftshilfe weiter warten. Abgesehen von der Angst vor einer Infektion, sind es auch die sozialen Kontake, wegen denen sie so sehnsüchtig auf ihre Impfung warten. Morlock weiß: „Viele von ihnen wollen einfach mal wieder ihre Enkel treffen, die sie über längere Zeit gar nicht oder nur mit Abstand gesehen haben.“