Appelle zum Weltfrauentag
Politiker sehen noch weiten Weg zur Gleichberechtigung
BERLIN/BONN (AFP/KNA) - Vor dem Weltfrauentag am heutigen Montag haben Politik und Verbände weitere Anstrengungen für Gleichstellung angemahnt. „Ein Blick in die Führungsetagen der Wirtschaft, aber auch der Politik, zeigt uns, dass wir jedenfalls noch nicht am Ziel sind“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Samstag.
Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) kritisierte „Männerzirkel, die gern unter sich bleiben.
Hochqualifizierte Frauen stoßen noch immer zu häufig an gläserne Decken.“
Auch der amtierende Bundesratspräsident Reiner Haseloff (CDU) sieht die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung von Frauen und Männern in Deutschland nicht verwirklicht. Diese seien zwar „im Grundgesetz garantiert“, erklärte der Regierungschef von Sachsen-Anhalt am Sonntag. Aber sie seien „noch lange nicht Realität“.
BERLIN - Es gibt die ganz prominenten Beispiele wie die Grünen-Politikerin Renate Künast. Die frühere Landwirtschaftsministerin wurde bei Facebook unter anderem als „Stück Scheiße“und „Geisteskranke“bezeichnet – und zog vor Gericht. Oder die TV-Moderatorin Dunja Hayali, die regelmäßig Morddrohungen erhält, digital und auf der Straße beschimpft wird – und sich davon nicht einschüchtern lassen will. Sie unterstützt deshalb auch den Verein „#ichbinhier“, der sich dem Hass im Netz entgegenstellt.
Auch Frauen, die nicht beständig im Rampenlicht stehen, aber in der Öffentlichkeit präsent sind, erleben verstärkt Anfeindungen in den sozialen Medien. Politikerinnen beispielsweise, die als Bundestagsabgeordnete oder Bürgermeisterinnen ihren Job machen. Die Befürchtung, dass der Hetze im Netz Gewalt im echten Leben folgen könnte, ist seit dem Anschlag auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke deutlich gewachsen. Doch das Gesetz gegen Hasskriminalität, das es ermöglichen würde, die Absender dingfest zu machen, ist noch nicht in Kraft.
Die Ulmer Abgeordnete Ronja Kemmer ist seit sechs Jahren im Bundestag. „Der Ton ist in den vergangenen Jahren rauer geworden“, sagt die 31-jährige CDU-Politikerin. Gerade in nicht öffentlich einsehbaren Direktnachrichten fänden sich Beleidigungen und Bedrohungen. Was sie dagegen unternimmt? Sie lasse sich von den Bedrohungen nicht einschüchtern und empfehle jeder Frau, „derartige Kommentare zu melden und/ oder Anzeige zu erstatten“. Hilde Mattheis, die SPD-Abgeordnete für den Wahlkreis Ulm/Alb-Donau, steht am Ende ihrer Laufbahn als Bundespolitikerin. Die 66-Jährige, die nicht mehr für den Bundestag kandidiert, macht vor allem den Einzug der AfD ins Parlament dafür verantwortlich, dass sich der Ton in den vergangenen Jahren geändert habe. Das politische Klima und die politische Auseinandersetzung seien „in jedem Fall rauer geworden“– verstärkt auch durch die sozialen Medien, die als Sprachrohr für jene fungierten, die jeden Anstand vermissen ließen.
Beide Politikerinnen haben die Erfahrung gemacht, dass sich in ihrem Postfach nicht nur Beleidigungen und zum Teil auch Drohungen finden, sondern auch explizit frauenfeindliche Kommentare. „Darüber hinaus schwingt in einigen Kommentaren und E-Mails ein eher verdeckter Sexismus mit“, so Kemmer. Bei weiblichen Abgeordneten werde viel häufiger die Kompetenz angezweifelt als bei männlichen Kollegen – „gerade, wenn man in der Digitalpolitik engagiert ist“. Ihre Einschätzung deckt sich mit einer Umfrage des Nachrichtenmagazins „Spiegel“, der vor Kurzem alle 222 Parlamentarierinnen gefragt hatte, ob und wie sie Frauenfeindlichkeit erleben. Geantwortet haben darauf 64 Abgeordnete aller Fraktionen außer der AfD, von denen wiederum 69 Prozent angaben, dass sie „frauenfeindlichen Hass als Bundestagsabgeordnete“erlebten. 36 Prozent der Befragten gaben sogar an, dass es Angriffe auf sie selbst, ihre Büros oder ihren Wohnsitz gegeben habe. Auch das zeigt, dass der tödliche Angriff auf Lübcke zwar in seiner Dimension einzigartig ist, aber Gewalt gegen Politiker kein Einzelfall ist.
„Das Internet ist kein rechtsfreier Raum“, sagt Kemmer. Dieser Satz scheint fast so alt zu sein wie das Internet selbst. Doch in der Praxis sind die Möglichkeiten, sich gegen Hasskriminalität zu wehren, noch immer begrenzt. Das von der Großen Koalition beschlossene Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität harrt der Unterschrift des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Dieser Zustand wird auf jeden Fall so lange andauern, bis sich Bund und Länder auf ein Gesetz zur Bestandsdatenauskunft einigen, das regelt, auf welche Daten Ermittler zugreifen dürfen, um die Absender von Hassnachrichten ausfindig zu machen. Bundesländer, in denen Grüne und FDP mitregieren, hatten diesem Gesetz Anfang Februar im Bundesrat die Zustimmung verweigert. Nun soll im Vermittlungsausschuss wohl bis Ende März eine Einigung erreicht werden. Ohne diese Einigung bleibt auch das Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität in der Schwebe.
Es fehlen aber nicht nur Gesetze, sondern auch Daten in Deutschland. Wer beispielsweise wissen will, wie viele frauenfeindlich motivierte Gewalttaten
hierzulande überhaupt vorkommen, muss sich auf Schätzungen verlassen. Denn bislang werden weder frauenfeindliche Motive in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) gesondert erfasst noch Zahlen zu geschlechterspezifischer Gewalt ausgewertet. Ein Unding, finden Frauenrechtlerinnen und Politikerinnen fast aller Parteien. Gerade das wäre wichtig, „damit Gewalt gegen Frauen verhindert werden kann“, sagt Monika Hauser, die Gründerin der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale, der „Schwäbischen Zeitung“. „Was wir als solches nicht benennen, können wir auch nicht verhindern.“Das Bundeskriminalamt führt zwar eine separate Statistik für Gewalt in Partnerschaften. Aber das Motiv Frauenhass wird weder darin, noch bei den Gewalttaten ohne Bezug zwischen Täter und Opfer berücksichtigt.
Nun scheint Bewegung in die Sache zu kommen – das Bundesinnenministerium vollzog vor wenigen Tagen eine Abkehr von seiner Linie, eine gesonderte Erfassung sei nicht notwendig: „Wir wissen, wie oft Frauen Opfer von Straftaten werden. Wir wissen aber nicht, wie viele dieser Taten aus frauenfeindlichen Motiven begangen werden. Wir müssen frauenfeindliche Straftaten künftig auch in den Polizeistatistiken besser sichtbar machen. Ich werde mit den Ländern einen Weg finden, um dies zügig und sachgerecht umzusetzen“, kündigte Minister Horst Seehofer (CSU) an.
Der Frauenrechtlerin Monika Hauser gehen die bisherigen Schritte der Bundesregierung nicht weit genug: Neben den Statistiken müssten die „strukturellen Ursachen der Gewalt gegen Frauen“in den Blick genommen werden, fordert sie. „Tradierte Rollenbilder und Geschlechterstereotypen sind der Nährboden für geschlechtsspezifische Gewalt, die in Form von „sexistischer Sprache, über Diskriminierung gegen Frauen im Privaten, auf der Straße oder im Netz bis hin zu sexualisierter Gewalt“auftrete. Dagegen müsse die künftige Bundesregierung mit „konkreten Maßnahmen“vorgehen, etwa mit einer Dunkelfeldstudie zu den nicht amtlich erfassten Straftaten.
Auch die Ulmer Abgeordnete Ronja Kemmer sieht beim Thema Hass und Gewalt gegen Frauen noch Gesprächsund Handlungsbedarf. „Wir müssen einen offenen Diskurs zu Frauenfeindlichkeit führen und Straftaten, gerade auch im Netz, noch konsequenter verfolgen“, sagt sie. Statistiken würden zwar dabei helfen, das Problem zu bekämpfen, aber dabei dürfe es nicht bleiben. „Das Gesetzespaket gegen Hasskriminalität im Netz ist deswegen dringend notwendig und muss endlich an den Start gehen können“, fordert Kemmer.