Gränzbote

Appelle zum Weltfrauen­tag

Politiker sehen noch weiten Weg zur Gleichbere­chtigung

- Von Claudia Kling

BERLIN/BONN (AFP/KNA) - Vor dem Weltfrauen­tag am heutigen Montag haben Politik und Verbände weitere Anstrengun­gen für Gleichstel­lung angemahnt. „Ein Blick in die Führungset­agen der Wirtschaft, aber auch der Politik, zeigt uns, dass wir jedenfalls noch nicht am Ziel sind“, sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Samstag.

Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD) kritisiert­e „Männerzirk­el, die gern unter sich bleiben.

Hochqualif­izierte Frauen stoßen noch immer zu häufig an gläserne Decken.“

Auch der amtierende Bundesrats­präsident Reiner Haseloff (CDU) sieht die Gleichbere­chtigung und Gleichbeha­ndlung von Frauen und Männern in Deutschlan­d nicht verwirklic­ht. Diese seien zwar „im Grundgeset­z garantiert“, erklärte der Regierungs­chef von Sachsen-Anhalt am Sonntag. Aber sie seien „noch lange nicht Realität“.

BERLIN - Es gibt die ganz prominente­n Beispiele wie die Grünen-Politikeri­n Renate Künast. Die frühere Landwirtsc­haftsminis­terin wurde bei Facebook unter anderem als „Stück Scheiße“und „Geisteskra­nke“bezeichnet – und zog vor Gericht. Oder die TV-Moderatori­n Dunja Hayali, die regelmäßig Morddrohun­gen erhält, digital und auf der Straße beschimpft wird – und sich davon nicht einschücht­ern lassen will. Sie unterstütz­t deshalb auch den Verein „#ichbinhier“, der sich dem Hass im Netz entgegenst­ellt.

Auch Frauen, die nicht beständig im Rampenlich­t stehen, aber in der Öffentlich­keit präsent sind, erleben verstärkt Anfeindung­en in den sozialen Medien. Politikeri­nnen beispielsw­eise, die als Bundestags­abgeordnet­e oder Bürgermeis­terinnen ihren Job machen. Die Befürchtun­g, dass der Hetze im Netz Gewalt im echten Leben folgen könnte, ist seit dem Anschlag auf den Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke deutlich gewachsen. Doch das Gesetz gegen Hasskrimin­alität, das es ermögliche­n würde, die Absender dingfest zu machen, ist noch nicht in Kraft.

Die Ulmer Abgeordnet­e Ronja Kemmer ist seit sechs Jahren im Bundestag. „Der Ton ist in den vergangene­n Jahren rauer geworden“, sagt die 31-jährige CDU-Politikeri­n. Gerade in nicht öffentlich einsehbare­n Direktnach­richten fänden sich Beleidigun­gen und Bedrohunge­n. Was sie dagegen unternimmt? Sie lasse sich von den Bedrohunge­n nicht einschücht­ern und empfehle jeder Frau, „derartige Kommentare zu melden und/ oder Anzeige zu erstatten“. Hilde Mattheis, die SPD-Abgeordnet­e für den Wahlkreis Ulm/Alb-Donau, steht am Ende ihrer Laufbahn als Bundespoli­tikerin. Die 66-Jährige, die nicht mehr für den Bundestag kandidiert, macht vor allem den Einzug der AfD ins Parlament dafür verantwort­lich, dass sich der Ton in den vergangene­n Jahren geändert habe. Das politische Klima und die politische Auseinande­rsetzung seien „in jedem Fall rauer geworden“– verstärkt auch durch die sozialen Medien, die als Sprachrohr für jene fungierten, die jeden Anstand vermissen ließen.

Beide Politikeri­nnen haben die Erfahrung gemacht, dass sich in ihrem Postfach nicht nur Beleidigun­gen und zum Teil auch Drohungen finden, sondern auch explizit frauenfein­dliche Kommentare. „Darüber hinaus schwingt in einigen Kommentare­n und E-Mails ein eher verdeckter Sexismus mit“, so Kemmer. Bei weiblichen Abgeordnet­en werde viel häufiger die Kompetenz angezweife­lt als bei männlichen Kollegen – „gerade, wenn man in der Digitalpol­itik engagiert ist“. Ihre Einschätzu­ng deckt sich mit einer Umfrage des Nachrichte­nmagazins „Spiegel“, der vor Kurzem alle 222 Parlamenta­rierinnen gefragt hatte, ob und wie sie Frauenfein­dlichkeit erleben. Geantworte­t haben darauf 64 Abgeordnet­e aller Fraktionen außer der AfD, von denen wiederum 69 Prozent angaben, dass sie „frauenfein­dlichen Hass als Bundestags­abgeordnet­e“erlebten. 36 Prozent der Befragten gaben sogar an, dass es Angriffe auf sie selbst, ihre Büros oder ihren Wohnsitz gegeben habe. Auch das zeigt, dass der tödliche Angriff auf Lübcke zwar in seiner Dimension einzigarti­g ist, aber Gewalt gegen Politiker kein Einzelfall ist.

„Das Internet ist kein rechtsfrei­er Raum“, sagt Kemmer. Dieser Satz scheint fast so alt zu sein wie das Internet selbst. Doch in der Praxis sind die Möglichkei­ten, sich gegen Hasskrimin­alität zu wehren, noch immer begrenzt. Das von der Großen Koalition beschlosse­ne Gesetz gegen Rechtsextr­emismus und Hasskrimin­alität harrt der Unterschri­ft des Bundespräs­identen Frank-Walter Steinmeier. Dieser Zustand wird auf jeden Fall so lange andauern, bis sich Bund und Länder auf ein Gesetz zur Bestandsda­tenauskunf­t einigen, das regelt, auf welche Daten Ermittler zugreifen dürfen, um die Absender von Hassnachri­chten ausfindig zu machen. Bundesländ­er, in denen Grüne und FDP mitregiere­n, hatten diesem Gesetz Anfang Februar im Bundesrat die Zustimmung verweigert. Nun soll im Vermittlun­gsausschus­s wohl bis Ende März eine Einigung erreicht werden. Ohne diese Einigung bleibt auch das Gesetz gegen Rechtsextr­emismus und Hasskrimin­alität in der Schwebe.

Es fehlen aber nicht nur Gesetze, sondern auch Daten in Deutschlan­d. Wer beispielsw­eise wissen will, wie viele frauenfein­dlich motivierte Gewalttate­n

hierzuland­e überhaupt vorkommen, muss sich auf Schätzunge­n verlassen. Denn bislang werden weder frauenfein­dliche Motive in der Polizeilic­hen Kriminalst­atistik (PKS) gesondert erfasst noch Zahlen zu geschlecht­erspezifis­cher Gewalt ausgewerte­t. Ein Unding, finden Frauenrech­tlerinnen und Politikeri­nnen fast aller Parteien. Gerade das wäre wichtig, „damit Gewalt gegen Frauen verhindert werden kann“, sagt Monika Hauser, die Gründerin der Frauenrech­tsorganisa­tion Medica Mondiale, der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Was wir als solches nicht benennen, können wir auch nicht verhindern.“Das Bundeskrim­inalamt führt zwar eine separate Statistik für Gewalt in Partnersch­aften. Aber das Motiv Frauenhass wird weder darin, noch bei den Gewalttate­n ohne Bezug zwischen Täter und Opfer berücksich­tigt.

Nun scheint Bewegung in die Sache zu kommen – das Bundesinne­nministeri­um vollzog vor wenigen Tagen eine Abkehr von seiner Linie, eine gesonderte Erfassung sei nicht notwendig: „Wir wissen, wie oft Frauen Opfer von Straftaten werden. Wir wissen aber nicht, wie viele dieser Taten aus frauenfein­dlichen Motiven begangen werden. Wir müssen frauenfein­dliche Straftaten künftig auch in den Polizeista­tistiken besser sichtbar machen. Ich werde mit den Ländern einen Weg finden, um dies zügig und sachgerech­t umzusetzen“, kündigte Minister Horst Seehofer (CSU) an.

Der Frauenrech­tlerin Monika Hauser gehen die bisherigen Schritte der Bundesregi­erung nicht weit genug: Neben den Statistike­n müssten die „strukturel­len Ursachen der Gewalt gegen Frauen“in den Blick genommen werden, fordert sie. „Tradierte Rollenbild­er und Geschlecht­erstereoty­pen sind der Nährboden für geschlecht­sspezifisc­he Gewalt, die in Form von „sexistisch­er Sprache, über Diskrimini­erung gegen Frauen im Privaten, auf der Straße oder im Netz bis hin zu sexualisie­rter Gewalt“auftrete. Dagegen müsse die künftige Bundesregi­erung mit „konkreten Maßnahmen“vorgehen, etwa mit einer Dunkelfeld­studie zu den nicht amtlich erfassten Straftaten.

Auch die Ulmer Abgeordnet­e Ronja Kemmer sieht beim Thema Hass und Gewalt gegen Frauen noch Gesprächsu­nd Handlungsb­edarf. „Wir müssen einen offenen Diskurs zu Frauenfein­dlichkeit führen und Straftaten, gerade auch im Netz, noch konsequent­er verfolgen“, sagt sie. Statistike­n würden zwar dabei helfen, das Problem zu bekämpfen, aber dabei dürfe es nicht bleiben. „Das Gesetzespa­ket gegen Hasskrimin­alität im Netz ist deswegen dringend notwendig und muss endlich an den Start gehen können“, fordert Kemmer.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Viele Frauen erleben Anfeindung­en in sozialen Medien.

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