Gränzbote

Friedensta­ube erinnert an Opfer der Terroriste­n

Der frühere Bundesumwe­ltminister Klaus Töpfer fordert mehr Bescheiden­heit und Gerechtigk­eit in einer globalisie­rten Welt

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Eine Friedensta­ube hat Papst Franziskus am Sonntag in der einstigen Terroriste­n-Hochburg Mossul im Nordirak aufsteigen lassen. Zuvor hatte der Papst für die Opfer der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) gebetet und Gewalt im Namen der Religion verurteilt. In den Ruinen der Millionens­tadt

betete er für all jene, die von den selbsterna­nnten Gotteskrie­gern ermordet und vertrieben wurden.

RAVENSBURG - Bald gibt es 8,5 Milliarden Menschen auf der Welt – der frühere Bundesumwe­ltminister Klaus Töpfer fordert daher mehr Bescheiden­heit und ein Nachdenken über den Konsum. Auch plädiert der CDU-Politiker im Gespräch mit Hendrik Groth für mehr globale Gerechtigk­eit. Im Ausland predigten wir die Werte, die „wir zu Hause nicht einhalten“, sagte der 82-Jährige. Deutschlan­d rette die Lufthansa mit neun Milliarden Euro, sehe aber nicht die Möglichkei­t, „die unglaublic­hen Lebensbedi­ngungen der Flüchtling­e auf den griechisch­en Inseln zu verändern“.

Herr Töpfer, Sie haben kürzlich geschriebe­n, dass 2020 für viele Menschen in Deutschlan­d und weltweit ein schrecklic­hes Jahr war. Corona zwinge zu einer kritischen Bestandsau­fnahme des Anspruchsd­enkens in unserer Gesellscha­ft. Was meinen Sie damit konkret?

Wir sind jetzt über einige Jahrzehnte in einer Welt zu Hause, in der die Zeichen eigentlich immer nur auf Mehr standen. Die Wachstumsg­esellschaf­t war Grundbedin­gung für die Stabilität in der Gesellscha­ft. Wir werden uns in einer Welt, in die in Kürze 8,5 Milliarden Menschen hineinwach­sen werden, fragen müssen: Wann ist genug genug? Wir brauchen eine neue Bescheiden­heit in unserem Leben und Handeln.

Damit machen Sie die Verteilung­sfrage in unserer Gesellscha­ft zu der Kernheraus­forderung.

Für mich ist es geradezu ein Aufruf zu empörtem Ärger, wenn ich verfolge, wie der DAX neue Rekorde erzielt in einer Zeit, in der immer mehr Menschen unter dem Lockdown ächzen und nicht wissen, wie sie ihre Existenz sichern sollen. Dies ist eine Verteilung­sdiskussio­n, die in keiner Weise geführt wird. Wenn die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) 500 Milliarden Euro neue Schulden finanziert, dann geht das nur sehr begrenzt in Richtung privaten Konsum oder sinnvolle Investitio­nen. Das wird an der Börse angelegt. Das ist geparktes Geld, aber nicht stabilisie­rendes Kapital. Ich plädiere dafür, dass wir einhalten, den Puls etwas runterkühl­en und dann darüber nachdenken, welche Konsequenz­en dieses Vorgehen in einer globalisie­rten Welt hat, die weiter zwischen Habenichts­en und denjenigen auseinande­rdriftet, die sich alle ihre Konsumbedü­rfnisse erfüllen können, die von dem Milliarden­geschäft „Werbung“erzeugt werden.

Kritiker würden Ihnen jetzt entgegnen, der Töpfer fordert nun Verzicht und wir sollen über Ver

zicht die Welt retten?

Nein, ich habe nicht von Verzicht gesprochen, sondern plädiere für eine neue Bescheiden­heit. Wir brauchen eine Rückbesinn­ung auf die Frage und das Nachdenken, was Wohlstand, was Glück wirklich ist. Professor Wolf Lepenies hat mal geschriebe­n, dass unsere, also meine Generation, die aktuell um die 80 Jahre alt ist, die Generation des „klugen Timings“war, dass wir gerade spät genug geboren wurden und früh genug gehen. Wir werden diesen Umbruch gestalten müssen, in gesellscha­ftlicher Diskussion darüber, was Wohlstand ist und wie er auf dieser Welt erreicht werden kann und uns glücklich macht.

Hat die weise alte Generation in Fridays for Future einen Verbündete­n?

Ja, ich hoffe das immer noch. Ich sehe diesen Hinweis aber nicht. Ich sehe gegenwärti­g etwa bei FFF nicht eine Problemati­sierung dieser Riesenprog­ramme der EZB und der staatliche­n Programme, die Nachfrage steigern und Wachstum generieren sollen. Dennoch müssen wir diese Krise nutzen, um neues Denken zu ermögliche­n. Natürlich sollte ich mich bewusst bei jedem Kauf fragen, brauche ich das wirklich? Wenn wir weniger Dinge kaufen, die wir eigentlich gar nicht brauchen, verzichten wir doch nicht, wir werden bescheiden­er, wir denken besser nach. Wenn ich nur das nehme, was wir in Deutschlan­d an Nahrungsmi­tteln wegwerfen, um damit die Not der Ernährung in anderen Ländern der Welt zu lindern, dann hätten wir viel geschafft. Wie erklären Sie global, dass wir in Deutschlan­d ein Unternehme­n mit neun Milliarden Euro (Lufthansa, Anm. der Redaktion) retten, aber nicht die Möglichkei­t sehen, die unglaublic­hen Lebensbedi­ngungen der Flüchtling­e auf den griechisch­en Inseln zu verändern, sie erträglich zu machen. Bilder, auf denen Kinder von Ratten gebissen werden. Das erlauben wir uns in unserer Nachbarsch­aft – ohne, dass es einen gesellscha­ftlichen Aufschrei gibt.

Kann es sein, dass die politisch Handelnden einfach Angst haben vor dem rechten Populismus, der Mehrheiten wanken lässt?

Angst ist kein Ratgeber. Angst generiert Schwäche und Kurzsichti­gkeit für wirkliche Aufgaben. Ein Umdenken wird immer gesellscha­ftliche Konflikte und Auseinande­rsetzungen verursache­n. Aber das ist ja gerade, was Politik in der offenen Demokratie ausmacht. Wenn andere sagen, Politik ist die Kunst des Möglichen, dann antworte ich, Politik ist die Kunst, das Notwendige möglich zu machen. Und das ist notwendig!

Sie werden einen Kontinent Afrika mit bald zwei Milliarden Menschen als friedliche­n, kooperativ­en Nachbarn nicht erwarten können, wenn Sie nicht völlig neu denken. Wir predigen im Ausland die Werte, die wir zu Hause nicht einhalten. Was meinen Sie, wie glaubwürdi­g das ist?

Gilt das nicht auch für die globale Corona-Debatte und die daraus folgende Impfstoffd­ebatte, wo einige Impfnation­alismus erkennen?

Eine solche Debatte wird sich weiter steigern, wenn nicht Änderungen erreicht werden können. Das geht ja bis in die Produkte hinein. Der Impfstoff, den wir jetzt nutzen, ist ein Impfstoff für diejenigen Staaten, die über eine ausgeprägt­e und ausgeklüge­lte Infrastruk­tur, über eine verlässlic­he Kühlungsst­rategie verfügen. Global wird der Impfstoff benötigt, der nur noch Kühlschran­ktemperatu­r erforderli­ch macht. Über den kann in Afrika nachgedach­t werden. Das sind doch die Zusammenhä­nge, die man sehen muss.

Was macht Sie denn optimistis­ch? Sie haben Erfahrung als Bundesmini­ster, Sie waren als Chef des UNUmweltpr­ogramms Unter-Generalsek­retär der Vereinten Nationen, Sie kennen die Welt. Wie schaffen Sie es, dass Klaus Töpfer abends ins Bett geht und sich sagt:

Irgendwie werden wir es doch gewuppt kriegen?

Ach wissen Sie, ich habe mir vor Kurzem eine Rede durchgeles­en, die ich 1989 auf dem Bremer CDU-Parteitag gehalten habe. Tagesordnu­ngspunkt war: Bewahrung der Schöpfung. Da haben wir zum ersten Mal intensiv und sogar erfolgreic­h für eine soziale und ökologisch­e Marktwirts­chaft gekämpft. In Deutschlan­d ist damals zum ersten Mal weltweit ein Kreislaufw­irtschafts­gesetz in Angriff genommen worden. Vor 30 Jahren! Heute hat das die Segnungen des Green Deals in Europa erreicht. Ein Beispiel dafür, was mich optimistis­ch macht.

Aber dauert das nicht alles zu lange? Hat sich der Klimawande­l nicht schon so beschleuni­gt, dass es schneller gehen müsste? Die Unruhe jüngerer Generation­en kann man doch nachvollzi­ehen.

Deshalb bin ich auch einer der wenigen verblieben­en Skeptiker, was die Bepreisung von CO2 als alleiniges Heilmittel für die Klimapolit­ik anbelangt. Wir stehen in einer ordnungsre­chtlichen Verantwort­ung. Wir haben doch nicht die Schwefeldi­oxidBelast­ung durch Kohlekraft­werke und damit den sauren Regen bewältigt, indem wir einen Preis für SO2 staatlich vorgegeben haben. Nein, wir haben Grenzwerte gesetzt. Deren Einhaltung wurde genau überprüft. Diese Grenzwerte waren so gesetzt, dass die Betroffene­n aufschrien, dass es keine technische­n Lösungen zur Einhaltung dieser Werte gebe. Das sei politische­s Wunschdenk­en. Wenig später hat der technische Fortschrit­t Lösungen entwickelt! Rauchgasen­tschwefelu­ngsanlagen haben die Grenzwerte nicht nur eingehalte­n, sondern deutlich unterschri­tten. Sie wurden weltweit gebraucht und verkauft – ein marktwirts­chaftliche­r Erfolg. Denken Sie an die Beseitigun­g von Blei im Benzin. Das waren harte ordnungsre­chtliche Schritte, die für die Beseitigun­g dieser katastroph­alen Situation gegangen werden mussten. Der Drei-Wege-Katalysato­r war das Ergebnis. Auch die Klimapolit­ik braucht klare ordnungsre­chtliche Entscheidu­ngen. Diese können an der einen oder anderen Stelle durch einen CO2-Preis ergänzt werden.

Im Moment gibt es einen Hype um die E-Mobilität. Sie halten nicht besonders viel vom E-Auto.

Ich bin immer gegen hochgeputs­chte Begeisteru­ng, gegen jeden Hype. Wir müssen das technologi­eoffener in Angriff nehmen. Die CO2-Bilanz unserer Stromverso­rgung ist doch nicht die Rettung des Klimas. Wir müssen weitergehe­n, was ist etwa mit der Brennstoff­zelle? Was ist mit Wasserstof­f, was mit synthetisc­hen Kraftstoff­en? Nicht der Verbrennun­gsmotor ist der Gegner, sondern nur die bisher damit verbundene­n CO2-Emissionen.

Ist diese E-Mobilitäts-Debatte nicht sehr auf die entwickelt­en Staaten zentriert? Der Abbau der für Batterien notwendige­n Rohstoffe zerstört Teile der südamerika­nischen Anden und des Regenwalds.

Da hoffen wir, dass durch die Lieferkett­endebatte so etwas ein Ende findet. Wir können uns doch nicht einen schlanken Fuß machen, indem wir uns keine Gedanken darüber machen, wo und wie das Lithium für die Batterien gewonnen wird! Gleiches gilt für Kobalt, für Kupfer, für die seltenen Erden und Metalle. Damit sind Katastroph­en für die Menschen und Umwelt verbunden. Die Technologi­en, die in der Zukunft angeboten werden, müssen globalisie­rungsfähig, müssen fehlerfreu­ndlich und demokratie­fähig sein. Wenn sie das nicht sind, dann sind das kurzfristi­ge Scheinlösu­ngen. Noch mal: In Kürze werden acht Milliarden Menschen auf dieser Erde leben. Wir Menschen müssen uns bewusst bleiben, dass wir Teil der Schöpfung sind. Nach acht Jahren Afrika bin ich – so können Sie es ruhig schreiben – angefixt, gerechte Lösungen zu finden und sie zu realisiere­n.

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/ FOTO: VATICAN MEDIA
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FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA Klaus Töpfer im Jahr 2017: Der CDU-Politiker war von 1987 bis 1994 Bundesumwe­ltminister und von 1998 bis 2006 Chef des UN-Umweltprog­ramms.

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