Mehr Schüler nutzen den Fernunterricht
Umfrage zeigt positive Entwicklungen im Vergleich zum ersten Schul-Lockdown
STUTTGART - Wie läuft der Fernunterricht in Baden-Württemberg? Eine Antwort auf diese Frage gibt es nicht – zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen an den knapp 5000 Schulen und diversen Schularten im Land. Eine neue Umfrage des Berufsschullehrerverbands (BLV), die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, liefert aber Anhaltspunkte. Denn es ist die zweite Umfrage dieser Art und zeigt, wie sich das digitale Lernen innerhalb eines knappen Jahres entwickelt hat. Die gute Nachricht: Das Fernlernen ist im Vergleich zum ersten Schul-Lockdown im Frühjahr 2020 demnach besser geworden. Aber: Es gibt viel Luft nach oben.
Am 17. März 2020 hat auch BadenWürttemberg seine Schulen zum Schutz vor einer Ausbreitung des neuartigen Coronavirus geschlossen. Die wenigsten Schulen hatten bis dato Erfahrung mit digitalem Lernen gesammelt. Das war kein spezifisches Problem der Südwest-Schulen: Wissenschaftler attestieren dem Bildungsbereich in ganz Deutschland, anderen Ländern um Jahre hinterherzuhinken. Der Fernunterricht musste erst eingeübt, technische Geräte beschafft und Struktur geschaffen werden. Die Digitalisierung der Schulen war zu diesem Zeitpunkt zwar seit Jahren in der öffentlichen Diskussion – angekommen war sie aber fast noch nirgends. Wo es klappte, hatten sich Schulen zuvor selbstständig auf den digitalen Weg gemacht.
Anfang Mai 2020 durften die ersten Schüler in die Klassenräume zurückkehren. Wie das digitale Fernlernen während der ersten Phase der Schulschließungen geklappt hat, hatte der BLV kurz zuvor in einer Umfrage ermittelt – und zur Öffnung publik gemacht. Fast Dreiviertel der Lehrkräfte hatten angegeben, keine oder kaum Erfahrung mit digitalem Unterricht mitgebracht zu haben. Zehn Monate später hat sich zumindest das geändert – notgedrungen.
Nun hat der BLV die Umfrage wiederholt, zum Teil mit denselben Fragen wie zehn Monate zuvor. Die Beteiligung war wieder beachtlich: Beide Male haben rund 3000 der 20 000 Lehrkräfte an beruflichen Schulen mitgemacht. Diesmal gaben 71,5 Prozent von ihnen an, Zugriff auf ein dienstliches Endgerät zu haben. In der ersten Umfrage hatten das nur 44 Prozent bestätigt. Der Anteil könnte demnächst auch noch wachsen. Denn seit Ende Januar gibt es ein Programm, über das 65 Millionen Euro vom Bund für Lehrer-Laptops in den Südwesten fließen.
Für den BLV-Vorsitzenden Thomas Speck belegt die Umfrage Lichtund Schattenseiten. „Einerseits finde ich die Ergebnisse erschreckend. Anderseits werden aber auch erste Erfolge sichtbar.“Die Entwicklung bei den Dienst-Laptops sei ein solcher Erfolg, sagt er. Erschreckend sei indes, dass nun neun von zehn Lehrern angaben, dass sich ihr zeitlicher Arbeitsaufwand erhöht habe. Während des ersten Lockdowns erklärte das knapp die Hälfte der Lehrkräfte.
Erfreulicher klingt ein anderer Befund. Die Lehrer erreichen in dieser zweiten Fernlern-Phase offenbar mehr Schüler als während der ersten. Im Frühjahr 2020 hatten 13 Prozent der Lehrer nach eigenen Angaben keine Ahnung, wie viele ihrer Schüler am Fernunterricht teilnehmen – inzwischen äußern sich nur 1,5 Prozent der Lehrer entsprechend. Weitere 13 Prozent hatten maximal ein Viertel ihrer Schüler erreicht, diesmal sind es lediglich 5,5 Prozent. Aber: Waren es im Frühjahr lediglich 20 Prozent der Pädagogen, die fast die ganze Klasse erreicht hatten, geben das nun 43 Prozent der Umfrage-Teilnehmer an.
Noch immer geben die befragten Lehrer an, wenig Unterstützung vom Kultusministerium für den digitalen Unterricht zu nutzen. Im Frühjahr 2020 erklärten 89 Prozent der Umfrage-Teilnehmer, von derlei Angeboten nicht zu profitieren. Diesmal wurden die Lehrer konkret gefragt, wie sie die Unterstützung des Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) für ihren Fernunterricht bewerten. Das ZSL ist eins der beiden Bildungsinstitute, die Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) vor zwei Jahren zur Steigerung der Qualität im Bildungswesen gegründet hat. 60 Prozent der Befragten gaben an, die Angebote noch nie genutzt zu haben – weitere 16 Prozent bezeichneten diese als ungenügend, 15 Prozent als ausreichend, zehn Prozent als gut und ein Prozent als sehr gut.
„Die Unterstützungsangebote sind da“, sagt zwar BLV-Landeschef Speck. „Das Problem ist, dass die Angebote die Lehrkräfte nicht erreichen.“Deshalb plädiert sein Verband dafür, an jeder der 280 beruflichen Schulen im Land eine halbe Stelle für einen Koordinator für Innovation und Digitalisierung zu schaffen. „Solche Stellen gibt es in vielen Betrieben und Unternehmen – etwa bei der Firma Zeiss in Oberkochen“, so Speck.
Der BLV hat in seiner aktuellen Umfrage zudem wissen wollen, welche digitalen Lernplattformen die Lehrer nutzen. Seit Monaten gibt es im Land zum Teil erbitterten Streit über solche Programme. Ein breites Bündnis aus Lehrern, Eltern und ITExperten fordert den generellen Einsatz von Open-Source-Lösungen, die keinem Unternehmen gehören. Ihnen geht es dabei um Datenschutzbedenken und darum, die Schüler zu digital mündigen Nutzern zu erziehen. Solche Programme, konkret die Lernplattform Moodle und das Videokonferenzsystem BigBlueButton, nutzen laut Umfrage 42 Prozent der Lehrer an beruflichen Schulen. 37 Prozent verwenden indes Microsoft 365 und Teams, also kommerzielle Angebote – weil es sehr gut funktioniert, wie manche Lehrer im offenen Antwort-Teil der Umfrage schreiben. Aber auch, weil manche Berufsschüler die Programme nutzen sollen, die sie in ihren Betrieben ebenfalls nutzten.
Weitere 13 Prozent der Lehrer nutzen derweil beide Software-Lösungen. „Das gibt es an ein und derselben beruflichen Schulen“, sagt Speck, „weil etwa das berufliche Gymnasium Moodle nutzt und die Azubis der Berufsschule eben andere Bedarfe haben.“Für den BLV-Landeschef ist klar: „Berufliche Schulen brauchen beide Systeme – Open Source, aber auch ein Lizenzprodukt. Das sollte man auch in Zukunft ermöglichen. Deshalb fordern wir die Politik auf, die Datenschutzbedenken zu beheben.“Genau die versucht das Kultusministerium in Bezug auf Microsoft gerade durch ein Pilotprojekt auszuräumen, das vom Landesdatenschutzbeauftragten Stefan Brink begleitet wird.