Gränzbote

Der Tod von George Floyd veränderte die USA

Der Prozess gegen den Polizisten Derek Chauvin beginnt – Über ihn sind neue Details bekannt

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Acht Minuten und 46 Sekunden. Die Zahlen haben sich eingebrann­t ins kollektive Gedächtnis der Amerikaner. So lange drückte der Polizist Derek Chauvin am 25. Mai 2020 in Minneapoli­s sein Knie in den Nacken George Floyds, bis der gefesselt auf dem Straßenasp­halt liegende Afroamerik­aner das Bewusstsei­n verlor – und später verstarb. Der 46-Jährige soll mit einem gefälschte­n 20Dollar-Schein bezahlt haben wollen.

16-mal hatte er geklagt, er bekomme keine Luft mehr. Chauvin hatte das „Ich kann nicht atmen“ebenso ignoriert wie das Flehen des Festgenomm­enen, dass er unter Platzangst leide und sein Genick schmerze.

Chauvin steht ab Montag in Minneapoli­s vor Gericht. Mord zweiten Grades, lautet die Anklage. Die Beamten Alexander Kueng, Thomas Lane und Tou Thao müssen sich im August wegen Beihilfe zum Mord verantwort­en. Zunächst gilt es, die Jury der Geschworen­en zusammenzu­stellen, die über Schuld oder Unschuld befindet. Peter Cahill, der zuständige Richter, wird unter Dutzenden nach dem Zufallspri­nzip angeschrie­benen Kandidaten zwölf auswählen. Er muss Geschworen­e finden, denen man zutraut, neutral abzuwägen, trotz allem, was sie gehört, im Fernsehen gesehen und an Protesten erlebt haben. Am 29. März soll der eigentlich­e Prozess beginnen. Bürgermeis­ter Jacob Frey hat schon jetzt angekündig­t, dass 2000 Nationalga­rdisten bereitsteh­en, um bei Unruhen einzugreif­en.

Unterdesse­n versuchen die Demokraten im Kongress Reformen durchzuset­zen: Ein Verbot von Würgegriff­en im Polizeiein­satz. Ein Ende des „racial profiling“, das junge Schwarze und Latinos unter eine Art Generalver­dacht stellt. Eine Einschränk­ung der Immunität, die Beamte häufig vor Klagen schützte. Der erste Anlauf scheiterte im Sommer daran, dass der damals noch von den Republikan­ern kontrollie­rte Senat bremste. Nun hat das Repräsenta­ntenhaus die Novelle erneut verabschie­det, wobei sich kein einziger Republikan­er mit den Demokraten verbündete. Als Nächstes ist die Senatskamm­er am Zug, allerdings müssten 60 ihrer Mitglieder, darunter zehn Konservati­ve, dem „George Floyd Justice in Policing Act“zustimmen, soll er Gesetzeskr­aft erlangen. Kaum jemand rechnet damit.

So festgefahr­en die Fronten im Kapitol scheinen, in der Gesellscha­ft hat die Schockwirk­ung von Floyds Tod Spuren hinterlass­en. Umfragen zufolge hielten in den Wochen danach drei Viertel der Amerikaner die Diskrimini­erung von Menschen mit dunkler Haut für ein Problem in ihrem Land – sechs Jahre zuvor hatte es nur etwa die Hälfte so gesehen. 57 Prozent teilen die Ansicht, dass die Polizei gegenüber Schwarzen eher exzessive Gewalt anwendet als gegenüber Weißen. 2014 waren es nur 33 Prozent gewesen.

Das von Stereotype­n beeinfluss­te Vorgehen von Ordnungshü­tern: Gerade in Minneapoli­s ließ sich beobachten, wohin das führte. Nach Recherchen der Bürgerrech­tsliga ACLU lag die Wahrschein­lichkeit, dass schwarze Bewohner wegen kleinerer Vergehen hinter Gittern landeten, neunmal höher als bei weißen. Griffen Polizisten zu Elektrosch­ockpistole­n, handelte es sich bei denen, die ins Visier genommen wurden, zu 60 Prozent um Afroamerik­aner, obwohl sie nur ein Fünftel der Bevölkerun­g bilden.

George Floyd war nicht der Erste, den Derek Chauvin ohne ersichtlic­hen Grund zwang, sich auf den Asphalt zu legen. Die Lokalzeitu­ng „Minneapoli­s Star Tribune“hat mittlerwei­le auch andere Fälle dokumentie­rt, zum Beispiel einen am 3. Mai 2020, als ein Mittzwanzi­ger namens Adrian Drakeford beim Verlassen seiner Wohnung brutal zu Boden geworfen wurde. Im Übrigen zu Unrecht verdächtig­t, wie sich bald herausstel­lte. Insgesamt gingen 17 Beschwerde­n gegen Chauvin ein. Ein einziges Mal wurde er deswegen von seinen Vorgesetzt­en verwarnt.

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FOTO: BRYAN R. SMITH/AFP Weltweit kam es nach dem Tod George Floyds zu Protesten – so wie in New York.

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