Warnsignale an den Aktienbörsen
Anleger sind im Börsenrausch – Wie lange kann das noch gut gehen?
STUTTGART - Als geradezu sensationell beschreibt Christine Bortenlänger den Aktionärsboom, den Deutschland gerade erlebt. Wie die Vorständin des Deutschen Aktieninstituts (DAI) neulich berichten konnte, ist die Zahl der Aktionäre im Land 2020 um 2,7 auf 12,4 Millionen nach oben geschnellt. Damit hat jeder Sechste in Deutschland Aktien, Aktienfonds oder Aktien-ETFs im Depot. Mehr Aktiensparerinnen und -sparer gab es zuletzt 2001. Allein von den unter 30-Jährigen wagten sich 600 000 neu aufs Börsenparkett. Bisher haben die Börsen-Novizen auch vieles richtig gemacht, ging doch der Markt nach dem schnellsten coronabedingten Crash im März 2020 ebenso schnell wieder nach oben.
Dies geht einher mit einer stark angestiegenen Bewertung der Aktienmärkte, was sich im Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) widerspiegelt, das den Index-Punktestand mit den Gewinnen der im jeweiligen Index gelisteten Unternehmen ins Verhältnis setzt. Beim Dax kommt man hier aktuell auf 22,8 gegenüber einem KGV von 19 im Schnitt der vergangenen 30 Jahre. Diese Entwicklung wird von der US-TechnologieBörse Nasdaq glatt in den Schatten gestellt, die mit einem KGV von 40 doppelt so hoch bewertet ist wie im langjährigen Durchschnitt. Hierin drückt sich der Run auf die Technologiewerte Alphabet, Amazon, Apple, Microsoft oder Tesla aus.
Grundsätzlich signalisieren KGVs unterhalb der langjährigen Marken aus Sicht der Bilanzanalyse eine günstige Bewertung der Aktien, während darüber von einer Überbewertung des Aktienmarkts gesprochen werden kann. „Tatsächlich hat insbesondere die Geldflut der Notenbanken zu einer rationalen Blase, also sehr hohen Bewertungen an den Aktienmärkten geführt“, sagt dazu Frank Klumpp,
Aktienstratege bei der LBBW. Diese Entwicklung nährt bei so manchen Analysten und Anlegern die Furcht vor einem Kurseinbruch oder einer „Korrektur“, wie es manchmal verharmlosend heißt. Eine gewisse Unsicherheit ist auch an dem Stimmungsindex „Euwax Sentiment“ablesbar, der auf Basis marktnaher Orders anzeigt, wie Privatanleger die Entwicklung des Dax einschätzen. Ist der Wert des Index positiv, setzt die Mehrheit auf einen steigenden Markt. Ein negativer Wert bedeutet hingegen, dass Anleger eher von fallenden Kursen ausgehen. Derzeit pendelt der Wert eher um die Null, was auf eine abwartende Haltung der Anleger hinweisen mag.
Neben den hohen Aktienbewertungen sind es ansteigende Renditen bei Anleihen, die manche Analysten als Warnsignal für eine spekulative Übertreibung und damit einen möglichen Rücksetzer der Aktienbörsen einschätzen.
Denn, was es in Europa schon lange nicht mehr gibt, existiert weiterhin in den USA, und zwar mit steigender Tendenz: Staatsanleihen mit bester Bonität werfen Renditen ab. Die sind mit rund 1,40 Prozent für zehnjährige US-Treasuries auch nicht gerade üppig, aber deutlich besser als minus 0,30 Prozent für deutsche Bundesanleihen. Wohlgemerkt enthalten Anlagen in US-Bonds für Europäer immer ein Währungsrisiko. Bemerkenswert ist nun, dass die Renditen für zehnjährige US-Anleihen seit Jahresbeginn um 0,50 Prozentpunkte gestiegen sind, was am trägen BondMarkt relativ viel ist. „Neben dem Renditeniveau kommt es auch auf die Geschwindigkeit an, mit der die Renditen steigen“, sagt dazu Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege der Deutschen Bank. Noch ist dieses Tempo nach seiner Einschätzung nicht hoch genug, um eine echte Gefahr für Aktien darzustellen. Immer noch liegen in den USA Dividendenrenditen von Aktien gut 1,50 Prozentpunkte vor den Anleiherenditen, in Europa sind es sogar zwei Prozentpunkte. Die Renditen müssten also noch ein Stück weiter steigen, bevor sich Anleger von Aktien trennen und Anleihen kaufen. Er könne daher immer noch gut schlafen, sagt Anlagestratege Stephan. Man müsse die Entwicklungen allerdings weiter im Blick behalten. Denn sollten die Anleiherenditen noch schneller anziehen als bisher, könnten irgendwann einmal Investoren Aktienengagements auflösen und Anleihepositionen aufbauen. Der Trend ständig anziehender Kurse wäre damit zunächst einmal gestoppt. Eine solche Entwicklung könnte dann den einen oder anderen Newcomer unter den Aktienanlegern, die vielfach nur den Aufschwung kennen, auf dem falschen Fuß erwischen.