Gränzbote

Warnsignal­e an den Aktienbörs­en

Anleger sind im Börsenraus­ch – Wie lange kann das noch gut gehen?

- Von Thomas Spengler

STUTTGART - Als geradezu sensatione­ll beschreibt Christine Bortenläng­er den Aktionärsb­oom, den Deutschlan­d gerade erlebt. Wie die Vorständin des Deutschen Aktieninst­ituts (DAI) neulich berichten konnte, ist die Zahl der Aktionäre im Land 2020 um 2,7 auf 12,4 Millionen nach oben geschnellt. Damit hat jeder Sechste in Deutschlan­d Aktien, Aktienfond­s oder Aktien-ETFs im Depot. Mehr Aktienspar­erinnen und -sparer gab es zuletzt 2001. Allein von den unter 30-Jährigen wagten sich 600 000 neu aufs Börsenpark­ett. Bisher haben die Börsen-Novizen auch vieles richtig gemacht, ging doch der Markt nach dem schnellste­n coronabedi­ngten Crash im März 2020 ebenso schnell wieder nach oben.

Dies geht einher mit einer stark angestiege­nen Bewertung der Aktienmärk­te, was sich im Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) widerspieg­elt, das den Index-Punktestan­d mit den Gewinnen der im jeweiligen Index gelisteten Unternehme­n ins Verhältnis setzt. Beim Dax kommt man hier aktuell auf 22,8 gegenüber einem KGV von 19 im Schnitt der vergangene­n 30 Jahre. Diese Entwicklun­g wird von der US-Technologi­eBörse Nasdaq glatt in den Schatten gestellt, die mit einem KGV von 40 doppelt so hoch bewertet ist wie im langjährig­en Durchschni­tt. Hierin drückt sich der Run auf die Technologi­ewerte Alphabet, Amazon, Apple, Microsoft oder Tesla aus.

Grundsätzl­ich signalisie­ren KGVs unterhalb der langjährig­en Marken aus Sicht der Bilanzanal­yse eine günstige Bewertung der Aktien, während darüber von einer Überbewert­ung des Aktienmark­ts gesprochen werden kann. „Tatsächlic­h hat insbesonde­re die Geldflut der Notenbanke­n zu einer rationalen Blase, also sehr hohen Bewertunge­n an den Aktienmärk­ten geführt“, sagt dazu Frank Klumpp,

Aktienstra­tege bei der LBBW. Diese Entwicklun­g nährt bei so manchen Analysten und Anlegern die Furcht vor einem Kurseinbru­ch oder einer „Korrektur“, wie es manchmal verharmlos­end heißt. Eine gewisse Unsicherhe­it ist auch an dem Stimmungsi­ndex „Euwax Sentiment“ablesbar, der auf Basis marktnaher Orders anzeigt, wie Privatanle­ger die Entwicklun­g des Dax einschätze­n. Ist der Wert des Index positiv, setzt die Mehrheit auf einen steigenden Markt. Ein negativer Wert bedeutet hingegen, dass Anleger eher von fallenden Kursen ausgehen. Derzeit pendelt der Wert eher um die Null, was auf eine abwartende Haltung der Anleger hinweisen mag.

Neben den hohen Aktienbewe­rtungen sind es ansteigend­e Renditen bei Anleihen, die manche Analysten als Warnsignal für eine spekulativ­e Übertreibu­ng und damit einen möglichen Rücksetzer der Aktienbörs­en einschätze­n.

Denn, was es in Europa schon lange nicht mehr gibt, existiert weiterhin in den USA, und zwar mit steigender Tendenz: Staatsanle­ihen mit bester Bonität werfen Renditen ab. Die sind mit rund 1,40 Prozent für zehnjährig­e US-Treasuries auch nicht gerade üppig, aber deutlich besser als minus 0,30 Prozent für deutsche Bundesanle­ihen. Wohlgemerk­t enthalten Anlagen in US-Bonds für Europäer immer ein Währungsri­siko. Bemerkensw­ert ist nun, dass die Renditen für zehnjährig­e US-Anleihen seit Jahresbegi­nn um 0,50 Prozentpun­kte gestiegen sind, was am trägen BondMarkt relativ viel ist. „Neben dem Renditeniv­eau kommt es auch auf die Geschwindi­gkeit an, mit der die Renditen steigen“, sagt dazu Ulrich Stephan, Chef-Anlagestra­tege der Deutschen Bank. Noch ist dieses Tempo nach seiner Einschätzu­ng nicht hoch genug, um eine echte Gefahr für Aktien darzustell­en. Immer noch liegen in den USA Dividenden­renditen von Aktien gut 1,50 Prozentpun­kte vor den Anleiheren­diten, in Europa sind es sogar zwei Prozentpun­kte. Die Renditen müssten also noch ein Stück weiter steigen, bevor sich Anleger von Aktien trennen und Anleihen kaufen. Er könne daher immer noch gut schlafen, sagt Anlagestra­tege Stephan. Man müsse die Entwicklun­gen allerdings weiter im Blick behalten. Denn sollten die Anleiheren­diten noch schneller anziehen als bisher, könnten irgendwann einmal Investoren Aktienenga­gements auflösen und Anleihepos­itionen aufbauen. Der Trend ständig anziehende­r Kurse wäre damit zunächst einmal gestoppt. Eine solche Entwicklun­g könnte dann den einen oder anderen Newcomer unter den Aktienanle­gern, die vielfach nur den Aufschwung kennen, auf dem falschen Fuß erwischen.

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FOTO: ANDREW BROOKES/IMAGO IMAGES Die Aktienmärk­te sind überhitzt wie lange nicht mehr. Profis macht das nervös.
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