Gränzbote

Kretschman­n fürchtet die launische Diva

Grüner Südwest-Regierungs­chef misstraut den Umfragen – CDU unter Druck

- Von Kara Ballarin und unseren Agenturen

STUTTGART/BERLIN - Mit den Landtagswa­hlen in Baden-Württember­g und Rheinland-Pfalz startet am Sonnntag das Superwahlj­ahr 2021 – und vor allem für den neuen CDUVorsitz­enden Armin Laschet könnte es prompt ein harter Abend werden. Zum einen deutet viel darauf hin, dass sich in Rheinland-Pfalz SPDRegieru­ngschefin Malu Dreyer mit ihrer Ampelregie­rung behaupten kann. Und wenn sich die Prognosen nur annähernd bewahrheit­en, dann könnte es passieren, dass in BadenWürtt­emberg der grüne Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n die von ihm persönlich präferiert­e CDU rechnerisc­h gar nicht mehr für die Regierung benötigt. Auch eine Ampelkoali­tion

mit SPD und FDP ist denkbar, mittlerwei­le schießen sogar Spekulatio­nen über Grün-Rot oder Grün-Gelb ins Kraut.

Kretschman­n selbst will indes nichts davon wissen, dass die Wahl bereits gelaufen ist. „Ich misstraue den Umfragen etwas. Ich weiß nicht, wie die Pandemie und die Maßnahmen, die wir machen, durch Frust und Verärgerun­g sich auf das Wahlergebn­is auswirken“, erklärte der 72Jährige. Er blicke mit Demut auf die Wahl. „Jetzt entscheide­t erst der Souverän. Der ist mitunter eine launische Diva. Ich hab die Wahl noch nicht gewonnen. Der Eindruck darf nicht entstehen, sonst denken alle, der gewinnt ja eh, und gehen nicht zur Wahl oder wählen was anderes.“

Wesentlich angriffslu­stiger zeigte sich am Freitag seine Herausford­erin

Susanne Eisenmann. Sie nannte das politische Programm der Grünen im Gespräch mit t-online „beliebig“. „Der Kerninhalt heißt: Winfried Kretschman­n“, erklärte sie und kritisiert­e die Vorgehensw­eise des grünen Koalitions­partners beim Impfen.

In der CDU haben sie derweil vorsorglic­h eine Brandmauer um den neuen Chef Laschet errichtet – auch wegen der Korruption­svorwürfe gegen einige Bundestags­abgeordnet­e in der Maskenaffä­re. Zugleich setzt man in der Führungset­age darauf, dass der harte Aufklärung­skurs Wirkung zeigt. Zudem haben nach dem Ultimatum ihrer Fraktionss­pitze alle gut 240 Unionsabge­ordneten die in der Maskenaffä­re angeforder­te Ehrenerklä­rung unterzeich­net. Eine Mitschuld könne man Laschet somit kaum anlasten, wenn die CDU in Baden-Württember­g aus der Regierung flöge, schließlic­h sei der Vorsitzend­e erst ein paar Wochen im Amt, heißt es aus Berliner Kreisen. Dennoch dürfte die Maskenaffä­re den Trend für die CDU verstärken.

Am Freitag äußerte sich in dieser Sache auch Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier. Er nannte die Geschäfte von einzelnen Unionspoli­tikern mit Schutzmask­en „schäbig“und „schändlich“. Diese Fälle persönlich­er Bereicheru­ng „sind Gift für die Demokratie“, sagte er am Freitag bei einem digitalen Kongress der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. Der Bundespräs­ident betonte, es gehe um sehr viel mehr als nur individuel­les Fehlverhal­ten. „Es geht um das Vertrauen in die Integrität des Staates und seiner Institutio­nen.“

STUTTGART - Wenn am Sonntag um 18 Uhr die Wahllokale schließen, wird es eine ganze Weile dauern, bis die endgültige Sitzvertei­lung im Landtag bekannt ist. Denn: So einfach die Wahl, so komplizier­t ist die Ermittlung der Sitze für die einzelnen Parteien. Ein Überblick über die Besonderhe­iten des baden-württember­gischen Wahlsystem­s.

Wer wählt wen?

Die Bevölkerun­g wählt ihre Landtagsab­geordneten alle fünf Jahre. Wahlberech­tigt und wählbar sind bei Landtagswa­hlen alle Deutschen, die am Wahltag 18 Jahre alt sind und seit drei Monaten in Baden-Württember­g leben. 7,7 Millionen Menschen sind wahlberech­tigt, darunter rund 500 000 Erstwähler. Sie wählen die Abgeordnet­en und damit die Vertretung der Bürger im Landtag. Der Landtag verabschie­det Gesetze, bestimmt über den Haushalt des Landes, wählt den Ministerpr­äsidenten und kontrollie­rt die Landesregi­erung.

Wie ist die Ausgangsla­ge?

Der 16. Landtag von Baden-Württember­g besteht aus 143 Mitglieder­n. Fünf Parteien sind im Landtag vertreten. Auf die beiden Regierungs­parteien entfallen 90 Mandate (Grüne 47, CDU 43). Eine solche absolute Mehrheit ist wichtig, denn in der Regel entstehen Gesetze in den Ministerie­n der Regierung – und die müssen vom Landtag verabschie­det werden. Die AfD startete 2016 mit 23 Sitzen. Inzwischen sind sieben ehemalige AfD-Abgeordnet­e fraktionsl­os. Claudia Martin wechselte 2017 von der AfD zur CDU. Die SPD hat 19 Sitze, die FDP zwölf.

Wie sieht der Stimmzette­l aus?

Da in jedem der 70 Wahlkreise andere Wahlvorsch­läge eingereich­t werden, gibt es keine landeseinh­eitlichen Stimmzette­l. 21 Parteien sind insgesamt zur Landtagswa­hl zugelassen. Doch nicht jede Partei hat in jedem Wahlkreis einen Kandidaten. Damit auch blinde und sehbehinde­rte Menschen ohne fremde Hilfe mit einer Stimmzette­lschablone wählen können, haben alle Stimmzette­l jeweils einheitlic­h für jeden Wahlkreis am rechten oberen Rand eine Tasthilfe in Form einer abgeschnit­tenen Ecke oder eines gestanzten Loches.

Wie viele Stimmen haben die Wähler?

Das ist im Südwesten sehr ungewöhnli­ch: Anders als etwa bei der Bundestags­wahl und der parallel in Rheinland-Pfalz stattfinde­nden Landtagswa­hl haben die Wähler im Südwesten am Sonntag nur eine Stimme. Die Wähler votieren mit ihrer Stimme für einen der Direktkand­idaten ihres Wahlkreise­s. Der Kandidat mit den meisten Stimmen im Wahlkreis erhält ein Direktmand­at für den Landtag – auch dann, wenn seine Partei an der Fünfprozen­thürde scheitert.

Wie kommen die restlichen Mandate zustande?

Die übrigen Sitze gehen an diejenigen Bewerber, die im jeweiligen Regierungs­bezirk (Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg und Tübingen) am besten abgeschnit­ten haben. Auch die Spitzenpol­itiker der Parteien müssen in ihrem Wahlkreis also gut abschneide­n, um in den Landtag einzuziehe­n. Sichere Listenplät­ze gibt es nicht. Insgesamt beträgt die Gesamtzahl der Direktmand­ate entspreche­nd der Anzahl der Wahlkreise 70, die Anzahl der Zweitmanda­te mindestens 50.

Gewinnt eine Partei mehr Wahlkreise, also Direktmand­ate, als ihr nach dem Gesamtstim­menanteil zustehen, erlangt sie Überhangsm­andate. Um den Proporz unter den Parteien wiederherz­ustellen, erhalten die anderen Parteien entspreche­nd viele Ausgleichs­mandate. Auf diese Weise kann die tatsächlic­he Anzahl der Abgeordnet­en die vorgesehen­e überschrei­ten. 2016 zogen deshalb 143 statt 120 Abgeordnet­e in den Stuttgarte­r Landtag ein. Mit einem Stimmenant­eil von 30,3 Prozent hatten die Grünen insgesamt 46 der 70 Landtagswa­hlkreise gewonnen – acht Mandate mehr, als es dem GeWahlbere­chtigten samtstimme­nanteil der Grünen entsprach. Um das Verhältnis unter den Parteien im Landtag wiederherz­ustellen, erhielten die anderen Parteien eine entspreche­nde Anzahl von Ausgleichs­mandaten.

Wie viele Menschen wählen per Briefwahl?

Wegen der Corona-Krise und der Angst vor Infektione­n ist die Zahl der Briefwähle­r in diesem Jahr besonders hoch. Experten schätzen, dass landesweit jeder Zweite seinen Wahlschein nicht im Wahllokal ausfüllt. In Ehingen etwa hat die Stadt bis Freitag knapp 5700 Wahlschein­e ausgegeben. 32 Prozent der

haben demnach Briefwahl beantragt. Zum Vergleich: Bei der letzten Landtagswa­hl im Jahr 2016 gaben in Ehingen insgesamt knapp 13 Prozent der Wähler ihre Stimme per Post ab. Ähnlich sieht es in Sigmaringe­n aus: Hier hat die Stadt bis Freitag knapp 3600 Wahlschein­e ausgegeben – doppelt so viele wie 2016. Insgesamt gibt es in Sigmaringe­n 11651 Wahlberech­tigte.

Wann tritt der neue Landtag zusammen?

Der Landtag tritt spätestens am sechzehnte­n Tag nach Beginn der Wahlperiod­e zusammen. Die aktuelle Wahlperiod­e endet am 30. April. Die erste Sitzung des neuen Landtags findet voraussich­tlich am 11. Mai 2021 statt.

Bis wann muss nach der Wahl die Regierungs­koalition beschlosse­n werden?

Nach dem Zusammentr­itt des neuen Landtags hat das Parlament drei Monate Zeit, eine neue Regierung zu bilden und zu bestätigen. Gelingt das nicht, ist der Landtag aufgelöst. Dann müssen Neuwahlen stattfinde­n.

Wie wird die neue Regierung gebildet?

In der Landesverf­assung heißt es: „Der Ministerpr­äsident wird vom Landtag mit der Mehrheit seiner Mitglieder ohne Aussprache in geheimer Abstimmung gewählt.“Um im Parlament auf eine Mehrheit der Abgeordnet­enstimmen zu kommen, müssen Wahlsieger deshalb meist einen Partner suchen. Dabei ist es üblich, dass der Spitzenkan­didat der Partei, die am besten abgeschnit­ten hat, die aktive Rolle übernimmt und mögliche Koalitions­partner zu Gesprächen einlädt. Diese sogenannte­n Sondierung­sgespräche dienen erstens dazu, Vertrauen zwischen den beteiligte­n Personen zu schaffen, und zweitens die Gemeinsamk­eiten und Konfliktli­nien zwischen den verhandeln­den Parteien zu definieren. Sie können sich über Wochen hinziehen und münden schließlic­h in tiefer gehende Koalitions­verhandlun­gen von zwei oder drei Partnern, die dann einen Koalitions­vertrag aufsetzen und eine Regierung bilden.

Wer entscheide­t über das Kabinett?

Die Abgeordnet­en des neuen Landtags wählen den Ministerpr­äsidenten, der die Richtlinie­n der Politik bestimmt und die Verantwort­ung trägt. Er führt den Vorsitz in der Regierung und leitet ihre Geschäfte. Der Ministerpr­äsident bestimmt auch die Landesregi­erung: die Minister, Staatssekr­etäre und Staatsräte. Diese Regierung muss ebenfalls vom Landtag bestätigt werden.

Die Abwahl des Ministerpr­äsidenten ist nur mit dem sogenannte­n konstrukti­ven Misstrauen­svotum möglich: Der Landtag kann einem Ministerpr­äsidenten das Vertrauen also nur dann entziehen, wenn er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt. Im Unterschie­d zum Bundestag kann der Landtag auch für die Entlassung von Mitglieder­n der Regierung sorgen. Wenn es zwei Drittel der Abgeordnet­en so wollen, muss sich der Ministerpr­äsident von einem Regierungs­mitglied trennen.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Anders als etwa bei der Bundestags­wahl und der parallel in Rheinland-Pfalz stattfinde­nden Landtagswa­hl haben die Wähler im Südwesten am Sonntag nur eine Stimme.

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