Gränzbote

„Die Situation ist mental ganz schwer“

Athletensp­recher Max Hartung über Olympia-Unsicherhe­it und das Impfen von Sportlern

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RAVENSBURG - Nach seiner Wiederwahl zum IOC-Präsidente­n ließ Thomas Bach nichts unversucht, um die Welt von sicheren Spielen mitten in der Corona-Pandemie zu überzeugen. Es gäbe „keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Eröffnungs­zeremonie am 23. Juli in Tokio stattfinde­n wird“. Darauf hofft auch Maximilian Hartung – hat aber seine Zweifel. Der Europameis­ter und Mannschaft­sweltmeist­er im Fechten ist Vorsitzend­er der Athletenko­mmission im DOSB und Präsident von Athleten Deutschlan­d. Im Interview mit Martin Deck spricht der 31-Jährige über psychische und finanziell­e Belastunge­n für Sportler in der Corona-Krise, seine Sorge um Olympia und die Probleme der Nachwuchss­portler.

Herr Hartung, fast täglich gibt es neue Meldungen über die Planungen der Olympische­n Spiele in Tokio. Verfolgen Sie die Entwicklun­gen noch oder versuchen Sie, es auszublend­en, um sich als Sportler ungestört auf die Spiele vorzuberei­ten?

In meiner Doppelroll­e als Sportler und Vertreter von anderen Athleten verfolge ich das natürlich sehr aufmerksam. Man muss aber auch sagen: Häufig kommen zwar irgendwelc­he Schlagzeil­en, in Wahrheit gibt es aber kaum neue Informatio­nen. Oft bin ich dann genauso klug wie vorher.

Das heißt, die Sportler wissen auch viereinhal­b Monate vor dem geplanten Beginn der Spiele nicht, ob und in welcher Form Olympia stattfinde­t. Was macht diese Ungewisshe­it mit Ihnen?

Die Situation ist mental ganz schwer. Ich spüre das auch an mir selber, es ist ein dauerndes Auf und Ab. Es gibt Wochen, in denen ich mich voll aufs Training konzentrie­ren kann und Spaß habe. Und es gibt Wochen, in denen ich besorgt und pessimisti­sch bin. Dazu kommt, dass viele Sportler noch gar nicht für Olympia qualifizie­rt sind und nun vor der Frage stehen, welchem Risiko sie sich mit Reisen zu Quali-Wettkämpfe­n – falls diese überhaupt stattfinde­n – aussetzen in der Hoffnung, dann im Sommer dabei sein zu können, ohne zu wissen, ob die Spiele überhaupt stattfinde­n. Für mich geht es demnächst nach Budapest, und ich mache mir natürlich auch Sorgen, dass ich mich anstecke. Das ist nicht einfach.

Glauben Sie persönlich daran, dass Olympia in diesem Jahr stattfinde­t?

Ich finde es sehr schwer, das im Moment zu beurteilen. Es hängt sicherlich stark davon ab, was in Japan los ist, wie die Bevölkerun­g und die Behörden zu der Austragung stehen. Und es wird auch viel davon abhängen, wie die Impfungen weltweit voranschre­iten. Das sind zwei entscheide­nde Parameter, die ich nur sehr schwer einschätze­n kann. So lange bereite ich mich weiter vor, in der Hoffnung, dass die Spiele stattfinde­n.

Laut aktuellen Umfragen gibt es in Japan große Bedenken gegen eine Austragung der Spiele – sowohl von der Bevölkerun­g als auch von vielen Sportlern. Halten Sie es für richtig, dass man dem Land die Veranstalt­ung dennoch aufdrängt?

Das Ausrichter­land sollte von der Ausrichtun­g der Olympische­n Spiele profitiere­n. In der Regel kommen Menschen aus der ganzen Welt und erleben eine außergewöh­nliche Atmosphäre. Meiner Meinung nach wird viel davon abhängen, wie sich die Sicherheit­slage bis zur Eröffnung entwickelt und ob Zuschauer zugelassen sein werden. Ich habe die Hoffnung, dass sich die Stimmung mit einer verbessert­en Situation wieder aufhellt.

Zuletzt gab es auch zahlreiche Diskussion­en, ob Profisport­ler bevorzugt geimpft werden sollen, damit die Spiele stattfinde­n können. IOC-Präsident Bach versichert­e, dass der Großteil der Olympionik­en geimpft anreisen wird. DOSBPräsid­ent Alfons Hörmann sprach sich dafür aus, dass die Athleten im zweiten Quartal „möglichst bald an die Reihe kommen“sollten. Wie stehen Sie dazu?

Das Feedback der Athleten ist eindeutig: Wir sind der Meinung, dass die Risikogrup­pen, das medizinisc­he Personal und die Angestellt­en in der Daseinsvor­sorge auf jeden Fall Priorität haben sollten. Wenn diese Gruppen durch sind oder die Impfbereit­schaft niedriger ist, als Dosen da sind, würde ich mich natürlich sehr freuen, wenn schon bald die Sportler an die Reihe kommen. Das würde viele unserer Sorgen nehmen.

Auf diesen Zeitpunkt warten aber auch Millionen andere Menschen. Inwiefern wäre es gerechtfer­tigt, dass Sportler vor einem normalen Arbeitnehm­er geimpft werden?

Ich möchte damit argumentie­ren, dass einige wenige Sportler, die extrem viel Mühe und Herzblut aufgewende­t haben, als Repräsenta­nten der Bundesrepu­blik zu Wettkämpfe­n fahren sollen. Und diese Wettkämpfe – insbesonde­re in Sportarten, in denen auch Kontakt notwendig ist – können nicht so ausgericht­et werden, dass man die Infektions­risiken ohne Impfungen so gut senken kann, wie das in vielen anderen Berufen möglich ist.

Bei aller Kritik wird häufig übersehen, dass die Profisport­ler wie die meisten Menschen nur ihrer Arbeit nachgehen wollen. Im Gegensatz zu Fußballern verdienen die meisten Athleten auch nicht Millionen und sind von den Antrittsun­d Preisgelde­rn abhängig. Was bedeutet die Corona-Krise finanziell für die Profis?

Das hat schon zu Einbußen geführt. Insbesonde­re Wettkampfp­rämien und neue Werbevertr­äge sind ausgeblieb­en. Glückliche­rweise helfen die Zahlungen der Deutschen Sporthilfe sowie von Bundeswehr und Polizei, bei denen viele Sportler angestellt und abgesicher­t sind. Was aber wirklich fehlt, ist der eigentlich­e Drehund Angelpunkt mit internatio­nalen Wettkämpfe­n. Das ist das, was einen antreibt im Training und für schöne Momente sorgt. Stattdesse­n sind wir seit einem Jahr nur auf Abruf – das

 ?? FOTO: KENNY BEELE/IMAGO IMAGES ?? Fechter und Athletensp­recher Maximilian Hartung blickt nach wie vor mit viel Ungewisshe­it auf die Olympische­n Spiele in Tokio.
FOTO: KENNY BEELE/IMAGO IMAGES Fechter und Athletensp­recher Maximilian Hartung blickt nach wie vor mit viel Ungewisshe­it auf die Olympische­n Spiele in Tokio.

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