Der Staat muss alles aufklären
Der heftigste Kirchenfeind hätte sich das Drehbuch für die samt und sonders selbst verschuldeten Einschläge, die die katholische Kirche derzeit treffen, nicht ausdenken können: Die schärfer werdende, berechtigte Kritik an der dröhnenden Sprachlosigkeit angesichts der Frage nach dem Wirken Gottes in der Pandemie, dann Steuerschulden und -strafen in Millionenhöhe im Bistum Essen und das römische Verbot der Segnung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Jetzt der Nachweis, dass hohe Würdenträger im Erzbistum Köln im Umgang mit Missbrauchstätern aus den eigenen Reihen jahrzehntelang vertuscht, geschwiegen, geschlampt und gelogen haben: „Brüder im Nebel“hat der verstorbene Kardinal Meisner über die Akten geschrieben.
Längst ist es an der Zeit, dass Bischöfe bekennen: Einige von ihnen haben die Glaubwürdigkeit der Kirche dermaßen beschädigt, dass Markenkern und Daseinsberechtigung, der Glaube an Gott, in der öffentlichen Wahrnehmung und im Privatleben der Menschen fast ganz verdunkelt ist. Immerhin hat Kardinal Rainer Maria Woelki erste, schnelle und richtige Konsequenzen mit dem sofortigen Rauswurf von zwei engen Mitarbeitern gezogen: Dieser neue Stil lässt hoffen. Und nach dem Gercke-Gutachten war der Rücktritt des schwer belasteten Erzbischofs von Hamburg, Stefan Heße, zwingend.
Bei Rücktritten kann es nicht bleiben: Zwölf Jahre nach den ersten Hinweisen auf den Missbrauchsskandal haben erst 16 von 27 Bistümern die gemeinsamen Kriterien für die Missbrauchsaufarbeitung in Kraft gesetzt. Daher sollten die Bischöfe sich vom kommenden fünften Fastensonntag leiten lassen: Er wird „Iudica“genannt, „Richte mich, oh Gott“. Ganz weltlich muss es der Ruf der Kirche nach dem Staat sein: Wir schaffen es nicht allein und bitten daher die Bundesregierung, eine unabhängige, staatliche Kommission einzusetzen, die sämtliche Akten zu Tätern, Vertuschern und „Brüdern im Nebel“ungeschwärzt und vollständig aufarbeitet. Damit alle Verantwortlichen benannt und zur Rechenschaft gezogen werden können.