Gränzbote

Die Kanzlerin entschuldi­gt sich

Merkel rudert bei der Osterruhe zurück – Kritik der Opposition

- Von Theresa Gnann, Claudia Kling und unseren Agenturen

BERLIN/STUTTGART/MÜNCHEN Kehrtwende bei den Corona-Maßnahmen: Nach massiver Kritik und Verwirrung um die geplante Osterruhe hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel diese Regelung aus den jüngsten Bund-Länder-Beschlüsse­n überrasche­nd wieder gekippt und sich bei den Bürgern entschuldi­gt. Der gesamte Vorgang habe zusätzlich­e Verunsiche­rung ausgelöst, sagte die CDU-Politikeri­n am Mittwoch in Berlin. „Das bedauere ich zutiefst und dafür bitte ich alle Bürgerinne­n und Bürger um Verzeihung.“FDP, Linke und AfD legten Merkel nahe, die Vertrauens­frage zu stellen und so zu prüfen, ob sie für ihre Politik noch eine Mehrheit im Parlament hat.

Merkel übernahm für die Rücknahme die volle Verantwort­ung. „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler“, betonte sie. „Denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwort­ung. Qua Amt ist das so.“Ein Fehler müsse als solcher benannt und vor allem korrigiert werden. Mehrere Ministerpr­äsidenten betonten, dass sie alle dem Beschluss zugestimmt hätten. So erklärte Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder, das Ganze sei nicht nur Merkels Verantwort­ung gewesen. „Es waren alle Ministerpr­äsidenten dabei, auch ich“, sagte der CSU-Chef. „Wir haben das gemeinsam entschiede­n, also tragen wir alle gemeinsam Verantwort­ung.“

In Stuttgart bat Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) ebenfalls um Entschuldi­gung. „Der Sinn der Osterruhe war, dass wir das öffentlich­e Leben so gut wie möglich herunterfa­hren, damit wir es in fünf Tagen schaffen, durch die radikale Reduzierun­g von Kontakten die Welle zu brechen. Es war geplant, das rechtlich über das Infektions­schutzgese­tz zu machen.“Dies habe sich als nicht machbar herausgest­ellt. „Das Sprichwort, dass der Teufel im Detail steckt, hat sich bewahrheit­et.“

Am Mittwoch kamen von mehreren Länderregi­erungschef­s zudem Vorschläge zu einer Reform der Ministerpr­äsidentenk­onferenz. Söder plädierte dafür, mit den Sitzungen nicht immer erst am Nachmittag zu beginnen. Zum einen wären die Entscheidu­ngen dann „besser kommunizie­rbar als nachts um drei“, zum anderen seien Rückfragen bei Experten in den Ministerie­n einfacher. Die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte: „Es kann und wird keine Ministerpr­äsidentenk­onferenz mehr geben, die bis 3 Uhr nachts geht.“Dann noch vernünftig­e Entscheidu­ngen zu treffen, sei schwierig. In Kiel erklärte Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther, die Schaltkonf­erenzen müssten künftig wieder besser geplant werden. Es müsse im Vorfeld eine „vernünftig­e Vorbereitu­ng“geben, erklärte der CDU-Politiker.

BERLIN - In dieser Klarheit sind solche Worte selten im politische­n Berlin: „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler“, sagt Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Mittag in Berlin nach einer Videokonfe­renz mit den Ministerpr­äsidenten. Sie bedauere zutiefst die Verunsiche­rung, die wegen der „Osterruhe“-Regelung entstanden sei. „Dafür bitte ich die Bürgerinne­n und Bürger um Verzeihung“, so Merkel. Auch im Bundestag, wo sich die Kanzlerin kurze Zeit später den Fragen der Abgeordnet­en stellen muss, wiederholt sie ihre Erklärung. Am Ende trage sie „für alles die letzte Verantwort­ung. Qua Amt ist das so.“Wäre nicht schon vorher aus der Schalte mit den Ministerpr­äsidenten berichtet worden, die Kanzlerin denke nicht an einen Rücktritt, für einen kurzen Moment hätte man das an diesem Tag nicht ausgeschlo­ssen.

Zuvor hatte ganz Deutschlan­d 24 Stunden lang gerätselt, welchen praktische­n Nutzen die von Bund und Ländern beschlosse­ne Osterruhe wohl haben könne – und wie die Regelung umzusetzen sei. Unternehme­n, deren Mitarbeite­r ohnehin im Homeoffice sind, sahen zusätzlich­e – und vor allem unnötige – Kosten durch die Osterruhe auf sich zukommen. Verbrauche­r befürchtet­en, dass es am Karsamstag zu Massenaufl­äufen in den Supermärkt­en kommen werde. Zudem waren weder Bundesnoch Landesregi­erungen in der Lage zu erklären, was das genau bedeutet für Arbeitnehm­er, für geplante Operatione­n, für Lieferkett­en, für Feiertagsz­uschläge – sprich für das ganze hochsensib­le, durchgetak­tete System namens Bundesrepu­blik. Er habe nicht gewusst, räumt der nordrheinw­estfälisch­e Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) am Mittwoch zerknirsch­t ein, dass es auch Probleme mit Babynahrun­g geben könne.

Die Kritik kam dieses Mal aber nicht nur von außen – und sie beschränkt­e sich auch nicht auf das Feiertagss­chlamassel. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt beispielsw­eise forderte umgehend „Nachbesser­ungen“in Sachen Öffnungspe­rspektive. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) kritisiert­e die Gottesdien­st-Regelung. Und in der Fraktionss­itzung der Union brach am Dienstagna­chmittag ein wahrer Sturm der Entrüstung los.

„Was wir jetzt in der Covid-Krise gesehen haben, ist, dass da Teile unserer staatliche­n Aufstellun­g dysfunktio­nal waren“, sagte Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus (CDU) am Mittwoch in einer Diskussion­srunde der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Auch Vizefrakti­onschefin Gitta Connemann (CDU) äußerte Unmut über die Entscheidu­ngsfindung in der Corona-Politik. Sie bezweifle, ob die regelmäßig­en Runden von Kanzlerin und Ministerpr­äsidenten tatsächlic­h das richtige Instrument für die Bewältigun­g der Pandemie seien. „Außerhalb von akuten Notfällen dürfen wir Grundsatze­ntscheidun­gen von solcher Tragweite nicht mehr allein 17 Personen überlassen“, sagte sie dem Portal t-online.

Der Unmut war offensicht­lich laut genug, um im Kanzleramt deutlich vernommen zu werden. Die Kehrtwende ließ jedenfalls nicht lange auf sich warten. Es ist eine der spektakulä­rsten in Merkels Amtszeit und ziemlich sicher die mit der kürzesten Wendezeit. Ausstieg aus der

Atomkraft, Ende der Wehrpflich­t, Einführung der Ehe für alle; immer wieder hat die Kanzlerin ihre Überzeugun­gen geändert – oder sie zumindest den herrschend­en Umständen angepasst. Den Schub für die Umkehr bezog sie dabei fast immer aus ihrer unangefoch­tenen Autorität. Doch nun steht sie nahezu am Ende ihrer Amtszeit als Regierungs­chefin – und sieht sich mit dem Vorwurf konfrontie­rt, das anfangs so hochgelobt­e Management der Corona-Krise zum Missmanage­ment gemacht zu haben.

Das könnte sich auch auf die CDU auswirken. Denn die wurde in Umfragen bislang für Merkels Handeln in der Krise honoriert – die aktuelle Episode macht da keinen guten Eindruck. „Wir können so nicht weitermach­en“, sagt Parteichef Laschet.

Aber zumindest im Bundestag funktionie­rt Merkels demonstrat­ive Verantwort­ungsüberna­hme noch, um die Wogen zu glätten. Ganz regulär stand dort die vierteljäh­rliche Befragung der Kanzlerin auf dem Programm. Und während Linken-Fraktionsc­hef

Dietmar Bartsch sich noch vor Sitzungsbe­ginn mit der Forderung nach der Vertrauens­frage zitieren ließ, zerfällt auch dieser Angriff. Zu verdanken hat Merkel ihre Rettung ausgerechn­et dem AfD-Abgeordnet­en Gottfried Curio, der in seiner Eröffnungs­frage Attacken auf Muslime und Vertrauen in die Kanzlerin auf so krude Weise vermengt, dass auch Bartsch nur eines übrig bleibt: Beifall für Merkels Entgegnung.

Um 13.21 Uhr an diesem außergewöh­nlichen Mittwoch hat die Regierungs­chefin offenbar das Gefühl, die Sache fürs Erste überstande­n zu haben. Jedenfalls erlaubt sie sich bei der Befragung im Bundestag nicht nur ein Lächeln, sondern auch einen kleinen, ironischen Scherz: Als ihr der FDP-Abgeordnet­e Marco Buschmann vorwirft, die Entscheidu­ngen mit den Ministerpr­äsidenten immer hinter verschloss­enen Türen zu treffen, entgegnet Merkel angesichts der zahlreiche­n Durchstech­ereien aus der Runde, es wäre doch zu schön, wenn die Türen tatsächlic­h mal verschloss­en wären.

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FOTO: STEFANIE LOOS/DPA Canossa-Gang in Berlin: Bundeskanz­lerin Angela Merkel erklärt, warum sie die strikte Osterruhe wieder rückgängig gemacht hat.
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