Besser spät als nie Hintergrund der Empörung
Dokumentation beleuchtet Vorfälle um Hopp und die Beleidigungen durch die Fußball-Ultras
Verpasste Chancen können im Nachhinein nicht mehr verwandelt werden. Was auf das Leben zutrifft, ist im Sport noch offensichtlicher. Zwei Beispiele zeigen jedoch, dass man einst versäumte Gelegenheiten aber sehr wohl bedauern und daraus für die Zukunft lernen kann. Da hätten wir zum einen Jochen Breyer (siehe nebenstehenden Artikel; d. Red.), der seine Rolle als Moderator des „Aktuellen Sportstudios“in der Causa Dietmar Hopp überdachte und ein Jahr später den Hintergründen sehenswert nachspürte – und zum anderen die deutsche Nationalmannschaft. In der Katar-Frage scheint Deutschlands Vorzeigemannschaft 1,5 Jahre vor der Winter-Weltmeisterschaft ihr Gewissen entdeckt zu haben beziehungsweise den Mut gefunden, Bedenken öffentlich zu äußern.
Nachdem einen Tag zuvor bereits ● die norwegische Mannschaft mit einer ähnlichen Aktion aufgefallen war, war die Shirt-Bezeugung des DFB-Teams damit kein Akt der hervorstürmenden Revoluzzer-Kicker. Selbstverständlich ist die öffentliche Bezeugung lobenswert – auch im Hinblick auf die Gefahr, den WMGastgeber etwas zu verschrecken. Denn auch wenn es viele nicht immer wahrhaben wollen, sind die Fußballer Vorbilder für Millionen von Menschen und nicht zuletzt viele Kinder und Jugendliche. Dass der Bösinger Joshua Kimmich und auch Leon Goretzka Balltreter sind, die nicht nur in einer Glamour-Playstation-Welt leben und Goldsteaks genießen, ist schon länger kein Geheimnis, und es ist ein starkes Zeichen, dass sie das nun im großen Rahmen vorleben. Kommen wir nun aber zur anderen Seite der Medaille.
Es heißt, das Signal zur Aktion sei aus den Reihen der Spieler gekommen, und das ist durchaus möglich, doch dürfte dem DFB mit seinem angekratzten Image solch ein Statement durchaus gelegen gekommen sein.
Dass niemand, der halbwegs auf demokratischem Boden steht, etwas gegen Menschenrechte haben kann, ist ohnehin klar. Die öffentliche Wahrnehmung war also absehbar. Womit wir beim Hauptkritikpunkt wären, der auch die Internetgemeinde erzürnte. Natürlich richtete sich die Häme nicht gegen die Aktion, sondern gegen deren Begleiterscheinungen. Dass der DFB im Anschluss ein Hochglanz-„Making-of“-MarketingVideo präsentierte, stülpte der Botschaft unnötigerweise den Mantel der billigen Effekthascherei über. Ein „das ist unsere Meinung, wir stehen dazu und wollen, nun, dass sich etwas ändert“wurde zu einem „schaut her, was wir getan haben“. Das muss nicht der Wahrheit entsprechen, doch ist es, was bei vielen Beobachtern ankommt. Ein „Tue Gutes und rede darüber“führt nur selten zu einem richtigen Schluss, und nur darauf kommt es an. Es geht ja nicht um die Gesten, sondern um das, was sie bewirken oder noch bewirken können. „Generell bin ich der Meinung, dass wir für einen Boykott zehn Jahre zu spät dran sind“, äußerte Kimmich einen richtigen Kern – aber eben auch nur das. Dass die Katar-WM ein SeilschaftenVermächtnis ist, das schon bei der Vergabe unterbunden gehört hätte, ist korrekt, weniger jedoch die Botschaft, dass es für ein Boykott zu spät ist. Dem ist nicht so, auch hier gilt ein „Besser spät als nie“. Eine Topnation, die vorangeht, würde sicher nicht allein bleiben. Auch ein Jahr vor der WM kann noch viel bewegt werden – auch ohne Boykott. Die DFB-Spieler und andere Mannschaften sind einen ersten Schritt gegangen, dem noch viele folgen könnten. Gerade auch, um die Ernsthaftigkeit zu unterstreichen und zu beweisen, dass es mehr war als ein positiver Ausrutscher nach oben. Und dass man ausgelassene Chancen zwar nicht im Nachhinein verwandeln, aber zumindest ausbessern kann, hat Jochen Breyer mit seiner Dokumentation noch einmal eindrucksvoll aufgezeigt.
BERLIN (dpa) - Es ist ruhig geworden im Konflikt zwischen Ultras, Dietmar Hopp und dem Deutschen Fußball-Bund. Doch der coronabedingte Ausschluss der Fans aus den Stadien hat das Problem nur aufgeschoben, keinesfalls gelöst, wie eine ZDF-Dokumentation verdeutlicht. Warum der Mäzen von Hoffenheim seit Jahren so attackiert wird, warum ihn Fans auf Bannern zur Zielscheibe machen und beleidigen, warum dahinter viel mehr steckt – dazu offenbarte „Der Prozess: Wie Dietmar Hopp zur Hassfigur der Ultras wurde“brisante Einblicke.
Hopp sei bereit, den Ultras die Hand zu reichen, aber er wolle Taten sehen – eine Entschuldigung. „Er fühlt sich in seiner persönlichen Ehre aufs Gröbste verletzt. Da kommen dann so Jungs, die noch grün hinter den Ohren sind, und schreien dann solche Beleidigungen. Und er steht da mit seiner Schwester, mit seinen Enkeln, mit seinen Freunden“, erklärte Hopps Fußball-Anwalt Christoph Schickhardt. Der langjährige Bayern-Präsident Uli Hoeneß sieht das genauso. Die Fans könnten doch mal den ersten Schritt machen und sich bei Hopp entschuldigen.
Der Zwist eskalierte Ende Februar 2020 beim Spiel des FC Bayern bei Hoffenheim, die Partie stand kurz vor dem Abbruch. Hoeneß räumt ein, er habe zwei Tage zuvor bei einem Treffen mit „etwas läuten“gehört, auch Hopp habe gewusst, dass etwas passieren könne. Die ganze Liga habe Bescheid gewusst, sagt einer von zwei Vertretern der BayernFangruppierung „Schickeria“, die sich in dem Film äußern. Die beiden Männer verweisen dagegen auf Strafverfahren, mit denen Fans überzogen würden. Hoeneß mahnt, Opfer und Täter nicht zu verwechseln, Hopp oder Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge den Schwarzen Peter zuschieben zu wollen, sei „pervers“. Die obszöne Wortwahl sei nicht der normale Sprachgebrauch, doch mit normaler Sprache „hätten wir niemals im Leben Gehör gefunden“, sagt einer der Fans und meint damit die Kritik am Hyperkommerz der Branche. Einer der beiden „Schickeria“-Fans verlangte die Rücknahme der Kollektivstrafe für die Dortmunder Fans: „Das ist das Einfachste, was passieren kann.“Das DFB-Sportgericht hatte im Februar 2020 Fans des BVB für zwei Jahre für Gastspiele bei den Kraichgauern ausgeschlossen und damit eine Bewährung widerrufen. Diese Kollektivstrafe sei ein „Tabubruch“, der alle Fans angehe. Die beleidigende Wortwahl sei aus Solidarität gewählt worden.
Hopp selbst hatte damals im „Aktuellen Sportstudio“des ZDF gesagt, „mich zum Gesicht für den Kommerz zu machen, ist wirklich nicht nachvollziehbar“. Nachfragen auf den Video-Einspieler waren nicht möglich. Die Kritik daran habe sehr an ihm genagt, räumte der damalige Moderator und Autor des Films, Jochen Breyer, in der „taz“ein. Die Dokumentation sei der Versuch, das nachzuholen, was versäumt wurde.