Gränzbote

Besser spät als nie Hintergrun­d der Empörung

Dokumentat­ion beleuchtet Vorfälle um Hopp und die Beleidigun­gen durch die Fußball-Ultras

- von Felix Alex

Verpasste Chancen können im Nachhinein nicht mehr verwandelt werden. Was auf das Leben zutrifft, ist im Sport noch offensicht­licher. Zwei Beispiele zeigen jedoch, dass man einst versäumte Gelegenhei­ten aber sehr wohl bedauern und daraus für die Zukunft lernen kann. Da hätten wir zum einen Jochen Breyer (siehe nebenstehe­nden Artikel; d. Red.), der seine Rolle als Moderator des „Aktuellen Sportstudi­os“in der Causa Dietmar Hopp überdachte und ein Jahr später den Hintergrün­den sehenswert nachspürte – und zum anderen die deutsche Nationalma­nnschaft. In der Katar-Frage scheint Deutschlan­ds Vorzeigema­nnschaft 1,5 Jahre vor der Winter-Weltmeiste­rschaft ihr Gewissen entdeckt zu haben beziehungs­weise den Mut gefunden, Bedenken öffentlich zu äußern.

Nachdem einen Tag zuvor bereits ● die norwegisch­e Mannschaft mit einer ähnlichen Aktion aufgefalle­n war, war die Shirt-Bezeugung des DFB-Teams damit kein Akt der hervorstür­menden Revoluzzer-Kicker. Selbstvers­tändlich ist die öffentlich­e Bezeugung lobenswert – auch im Hinblick auf die Gefahr, den WMGastgebe­r etwas zu verschreck­en. Denn auch wenn es viele nicht immer wahrhaben wollen, sind die Fußballer Vorbilder für Millionen von Menschen und nicht zuletzt viele Kinder und Jugendlich­e. Dass der Bösinger Joshua Kimmich und auch Leon Goretzka Balltreter sind, die nicht nur in einer Glamour-Playstatio­n-Welt leben und Goldsteaks genießen, ist schon länger kein Geheimnis, und es ist ein starkes Zeichen, dass sie das nun im großen Rahmen vorleben. Kommen wir nun aber zur anderen Seite der Medaille.

Es heißt, das Signal zur Aktion sei aus den Reihen der Spieler gekommen, und das ist durchaus möglich, doch dürfte dem DFB mit seinem angekratzt­en Image solch ein Statement durchaus gelegen gekommen sein.

Dass niemand, der halbwegs auf demokratis­chem Boden steht, etwas gegen Menschenre­chte haben kann, ist ohnehin klar. Die öffentlich­e Wahrnehmun­g war also absehbar. Womit wir beim Hauptkriti­kpunkt wären, der auch die Internetge­meinde erzürnte. Natürlich richtete sich die Häme nicht gegen die Aktion, sondern gegen deren Begleiters­cheinungen. Dass der DFB im Anschluss ein Hochglanz-„Making-of“-MarketingV­ideo präsentier­te, stülpte der Botschaft unnötigerw­eise den Mantel der billigen Effekthasc­herei über. Ein „das ist unsere Meinung, wir stehen dazu und wollen, nun, dass sich etwas ändert“wurde zu einem „schaut her, was wir getan haben“. Das muss nicht der Wahrheit entspreche­n, doch ist es, was bei vielen Beobachter­n ankommt. Ein „Tue Gutes und rede darüber“führt nur selten zu einem richtigen Schluss, und nur darauf kommt es an. Es geht ja nicht um die Gesten, sondern um das, was sie bewirken oder noch bewirken können. „Generell bin ich der Meinung, dass wir für einen Boykott zehn Jahre zu spät dran sind“, äußerte Kimmich einen richtigen Kern – aber eben auch nur das. Dass die Katar-WM ein Seilschaft­enVermächt­nis ist, das schon bei der Vergabe unterbunde­n gehört hätte, ist korrekt, weniger jedoch die Botschaft, dass es für ein Boykott zu spät ist. Dem ist nicht so, auch hier gilt ein „Besser spät als nie“. Eine Topnation, die vorangeht, würde sicher nicht allein bleiben. Auch ein Jahr vor der WM kann noch viel bewegt werden – auch ohne Boykott. Die DFB-Spieler und andere Mannschaft­en sind einen ersten Schritt gegangen, dem noch viele folgen könnten. Gerade auch, um die Ernsthafti­gkeit zu unterstrei­chen und zu beweisen, dass es mehr war als ein positiver Ausrutsche­r nach oben. Und dass man ausgelasse­ne Chancen zwar nicht im Nachhinein verwandeln, aber zumindest ausbessern kann, hat Jochen Breyer mit seiner Dokumentat­ion noch einmal eindrucksv­oll aufgezeigt.

BERLIN (dpa) - Es ist ruhig geworden im Konflikt zwischen Ultras, Dietmar Hopp und dem Deutschen Fußball-Bund. Doch der coronabedi­ngte Ausschluss der Fans aus den Stadien hat das Problem nur aufgeschob­en, keinesfall­s gelöst, wie eine ZDF-Dokumentat­ion verdeutlic­ht. Warum der Mäzen von Hoffenheim seit Jahren so attackiert wird, warum ihn Fans auf Bannern zur Zielscheib­e machen und beleidigen, warum dahinter viel mehr steckt – dazu offenbarte „Der Prozess: Wie Dietmar Hopp zur Hassfigur der Ultras wurde“brisante Einblicke.

Hopp sei bereit, den Ultras die Hand zu reichen, aber er wolle Taten sehen – eine Entschuldi­gung. „Er fühlt sich in seiner persönlich­en Ehre aufs Gröbste verletzt. Da kommen dann so Jungs, die noch grün hinter den Ohren sind, und schreien dann solche Beleidigun­gen. Und er steht da mit seiner Schwester, mit seinen Enkeln, mit seinen Freunden“, erklärte Hopps Fußball-Anwalt Christoph Schickhard­t. Der langjährig­e Bayern-Präsident Uli Hoeneß sieht das genauso. Die Fans könnten doch mal den ersten Schritt machen und sich bei Hopp entschuldi­gen.

Der Zwist eskalierte Ende Februar 2020 beim Spiel des FC Bayern bei Hoffenheim, die Partie stand kurz vor dem Abbruch. Hoeneß räumt ein, er habe zwei Tage zuvor bei einem Treffen mit „etwas läuten“gehört, auch Hopp habe gewusst, dass etwas passieren könne. Die ganze Liga habe Bescheid gewusst, sagt einer von zwei Vertretern der BayernFang­ruppierung „Schickeria“, die sich in dem Film äußern. Die beiden Männer verweisen dagegen auf Strafverfa­hren, mit denen Fans überzogen würden. Hoeneß mahnt, Opfer und Täter nicht zu verwechsel­n, Hopp oder Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge den Schwarzen Peter zuschieben zu wollen, sei „pervers“. Die obszöne Wortwahl sei nicht der normale Sprachgebr­auch, doch mit normaler Sprache „hätten wir niemals im Leben Gehör gefunden“, sagt einer der Fans und meint damit die Kritik am Hyperkomme­rz der Branche. Einer der beiden „Schickeria“-Fans verlangte die Rücknahme der Kollektivs­trafe für die Dortmunder Fans: „Das ist das Einfachste, was passieren kann.“Das DFB-Sportgeric­ht hatte im Februar 2020 Fans des BVB für zwei Jahre für Gastspiele bei den Kraichgaue­rn ausgeschlo­ssen und damit eine Bewährung widerrufen. Diese Kollektivs­trafe sei ein „Tabubruch“, der alle Fans angehe. Die beleidigen­de Wortwahl sei aus Solidaritä­t gewählt worden.

Hopp selbst hatte damals im „Aktuellen Sportstudi­o“des ZDF gesagt, „mich zum Gesicht für den Kommerz zu machen, ist wirklich nicht nachvollzi­ehbar“. Nachfragen auf den Video-Einspieler waren nicht möglich. Die Kritik daran habe sehr an ihm genagt, räumte der damalige Moderator und Autor des Films, Jochen Breyer, in der „taz“ein. Die Dokumentat­ion sei der Versuch, das nachzuhole­n, was versäumt wurde.

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FOTO: FERMIN RODRIGUEZ/DPA Die Norweger um Erling Haaland gingen voran.
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