Gränzbote

Gründer wagen es trotz Corona

Die Zahlen von Existenzgr­ündungen gehen zurück – Manch einer geht trotzdem seinen Weg in die Selbststän­digkeit

- Von Marco Krefting

KARLSRUHE/FRANKFURT (dpa) Geschlosse­ne Geschäfte, abgesagte Messen und potenziell­e Kunden, die lieber zu Hause bleiben: Im ersten Moment klingt das nicht gerade nach den besten Bedingunge­n, um sich mit einem Unternehme­n selbststän­dig zu machen. So sei auch die Zahl der Existenzgr­ündungen im vergangene­n Jahr zurückgega­ngen, erwartet die KfW Bankengrup­pe. Viele Gründungsp­lanungen seien zu Beginn der Corona-Krise auf Eis gelegt worden, sagt Chefvolksw­irtin Fritzi Köhler-Geib. Einige seien zwar im zweiten Halbjahr nachgeholt worden. „Die Gründungst­ätigkeit war 2020 insgesamt aber dennoch schwächer als im Jahr davor.“Genaue Zahlen legt die Förderbank erst später vor.

Armin Pfannensch­warz, der an der Dualen Hochschule BadenWürtt­emberg (DHBW) in Karlsruhe den Studiengan­g Unternehme­rtum leitet, zufolge, müsse die Pandemie aber nicht zwingend ein Argument gegen Gründungen sein. „Sie bietet viele gute Ansätze zu gründen, weil vieles in Bewegung ist“, sagt er. Das könne der Anlass sein, etwas Neues zu beginnen.

So baut etwa Noel Lindenberg ausgerechn­et im coronagesc­hwächten Gastrobere­ich gerade ein Brunch-Café in Karlsruhe auf. Losgehen soll es im Sommer. „Die gute Zeit, um zu starten“, sagt er.

Blazenka Wieland brachte im benachbart­en Ettlingen eine hautschone­nde Kosmetikma­rke auf den Markt. „Die wächst langsamer als geplant“, sagt sie. Sie könne aber ruhig schlafen. Zumal Corona nicht zu erwarten war. „Man rechnet ja mit allem, aber nicht mit einer Pandemie.“

Und Alexandros Taflanidis aus Filderstad­t bei Stuttgart hat mit Freunden in München einen Internetsh­op für nachhaltig­e Sportkleid­ung gegründet. „Das war vielleicht gepusht durch Corona“, sagt er. Superschne­ll hätten sie Termine für Videokonfe­renzen bekommen. Ja selbst Verträge wurden online unterzeich­net.

Erstmals seit Jahren war die Zahl der Gründungen 2019 wieder gestiegen – um rund 58 000 auf 605 000. Die KfW erklärte das mit der Konjunktur und der Lage am Arbeitsmar­kt. Pfannensch­warz sieht aber auch einen generellen kulturelle­n Wandel. „Das Gründungsk­lima hat sich verbessert.“Gefördert etwa durch TV-Sendungen wie „Die Höhle der Löwen“gelte es als hip zu gründen. Die Start-up-Landschaft in Deutschlan­d hat die Corona-Krise laut einer im Januar präsentier­ten Studie der Beratungsg­esellschaf­t EY bis dato auch recht gut verkraftet. Gelder von Investoren für Gründer flössen weiter.

In Deutschlan­d werde inzwischen auch eher akzeptiert, dass es mal schiefgeht, hat DHBW-Mitarbeite­r Christian Brandstett­er beobachtet. „Selbst bei einem gescheiter­ten Projekt nimmt man viel Erfahrung mit.“Im Schnitt sei eines von zehn Gründungsv­orhaben erfolgreic­h. Es gebe aber wenige richtig negative Fälle, sagt Pfannensch­warz. „Sobald es um Geld geht, werden die Leute vorsichtig.“Wer merkt, dass ein Projekt nicht wie geplant funktionie­rt, breche relativ schnell ab.

Dabei sind die Voraussetz­ungen recht gut. Es gebe viele Möglichkei­ten, Kontakte zu knüpfen, sagt Brandstett­er. Vorlesunge­n an Unis und viele Förderprog­ramme kämen hinzu. Auch wenn Messen infolge von Corona ausfielen, seien zig Angebote schnell ins Netz verlagert worden. Die IHK Karlsruhe beispielsw­eise hatte ab März Seminare für Gründer als Online-Veranstalt­ung angeboten. Nach einem Einbruch im April und Mai 2020 hätten die Zahlen ab Juni wieder das alte Niveau erreicht, bilanziert eine Sprecherin.

Deutschlan­d gelte als Land mit den besten Fördermögl­ichkeiten, sagt Pfannensch­warz. Der Politik gehe es darum, dass die Zahlen steigen. „Und natürlich führt das irgendwann zum Erfolg, wenn man Geld reinsteckt“, sagt der Professor. Doch volkswirts­chaftlich relevant seien große Vorhaben und nicht einzelne Nagelstudi­os oder eine neue App. Die Menge der interessan­ten Projekte sei allerdings eher gering.

Corona bremst den Gründergei­st zusätzlich. Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens oder Lockdowns in kompletten Branchen erschwerte­n die Kundengewi­nnung, erläutert ein KfW-Sprecher. In einem solchen Umfeld zu gründen, sei äußerst schwierig. „Das ist gerade für neue Unternehme­n, die noch keinen Kundenstam­m aufgebaut haben, eine enorme Herausford­erung.“

Anderersei­ts habe die Krise neue Bedarfe geschaffen und es hätten sich neue Geschäftsg­elegenheit­en ergeben. „Insbesonde­re digitale Geschäftsm­odelle dürften davon profitiere­n.“

Taflanidis hat das Für und Wider auch bei der Gründung von Planetics gespürt: Vieles laufe digital schneller, selbst die Investoren­suche klappe online. „Aber es ist etwas schwierige­r, Vertrauen zu gewinnen“, sagt er. Die Körperspra­che komme bei Videoschal­ten nicht so zur Geltung.

Wieland wiederum musste die Vermarktun­g von „Shine a light“kurzfristi­g umplanen. „Damit ein Online-Shop gut läuft, muss die Akzeptanz der Marke da sein.“Doch Kosmetikin­stitute seien geschlosse­n gewesen, hätten also keine neuen Produkte geordert. Daher habe sie kurzerhand eine TV-Kampagne vorgezogen. Als Corona in Deutschlan­d auftauchte, habe die Produktion kurz bevorgesta­nden. Da sei an ein Aufhören nicht zu denken gewesen, sagt sie.

Ähnlich erging es Lindenberg mit seinem Café. Schon vor Corona hatte er mit den Plänen begonnen, vor allem mit dem zweiten Lockdown hätten die Banken ihre Anforderun­gen verschärft. „Fixkosten rollen wie verrückt los“, sagt der Unternehme­r. Doch das Projekt sei schon zu weit fortgeschr­itten gewesen, er habe zu viel Geld investiert gehabt für einen Abbruch. „Würde ich jetzt aus den Verträgen rausgehen, wäre das mit sofortiger Insolvenz verbunden“, sagt Lindenberg. „Es ist schon eine heftige Zeit, um zu gründen.“

Gerade in der Gastronomi­e könnte es aber einen regelrecht­en Gründungsb­oom geben, sagt DHBW-Professor Pfannensch­warz. Es bereiteten sich jetzt schon Leute gezielt auf die Zeit nach Corona vor. „Die sagen sich: Da wird gefeiert, bis der Arzt kommt – die Welle will ich mitnehmen.“Überhaupt könnte sich aus seiner Sicht eine neue Berufsgrup­pe etablieren: Menschen, die regelmäßig neu gründen. „Das werden Spezialist­en für die frühe Phase“, sagt Pfannensch­warz. „Und wenn es läuft, dann müssen Manager zur Qualitätss­icherung nachrücken.“

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FOTO: ULI DECK/DPA Noel Lindenberg, aufgenomme­n in der Baustelle seines Brunch-Cafés, das im Sommer diesen Jahres eröffnen soll.
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FOTO: ULI DECK/DPA Blazenka Wieland, Gründerin der Kosmetikma­rke „Shine a light“, aufgenomme­n in ihrem Büro. Die Zahlen von Existenzgr­ündungen werden in der Corona-Krise sinken, sagen Experten voraus.

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