Mehrheit will geringe Chance nutzen
Die Stadt wird versuchen, ein Berufungsverfahren zum Donau-Aufstau zu bekommen
TUTTLINGEN - Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Berufung gegen das Donau-Urteil zugelassen wird? „Selbst wenn sie nur 0,1 Prozent ist, müssen wir es probieren“, war Michael Meihack von den Freien Wählern überzeugt. Auf der anderen Seite argumentierte Rainer Buggle (CDU): „Wir sind doch keine Prozesshansel. Das Urteil ist ein klares Signal, dass Schluss ist.“
Entlang dieser Linien bewegte sich die angespannte Diskussion des Gemeinderats in der Sondersitzung zur Donau am Donnerstag. Am Ende sprach sich eine Mehrheit (20 zu 13) dafür aus, das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg doch noch einmal anzugehen. Dabei ging es nicht zuletzt um die juristische Kompetenz von Oberbürgermeister Michael Beck – und anderen.
Der aktuelle Stand: Das Verwaltungsgericht Freiburg hat die Klage der Stadt Tuttlingen gegen den Meter-Abstau der Donau abgewiesen und eine Berufung nicht zugelassen. Die Stadt Tuttlingen will nun trotzdem versuchen, eine Berufung zu bekommen. Dabei muss sie nachweisen, dass das Gericht Fehler gemacht hat. Ziel ist es nach wie vor, auf rechtlichem Weg zu erwirken, die Donau – zumindest im Sommerhalbjahr – wieder auf die Höhe von 2,50 Meter aufstauen zu dürfen.
OB Beck, der zwei Jahre seiner beruflichen Laufbahn als Richter am Verwaltungsgericht Sigmaringen gearbeitet hat, glaubt nicht, dass das ein
Gericht jemals genehmigen wird. Er habe für den Aufstau „leidenschaftlich gekämpft“, aber nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg sei dieser Kampf aussichtslos. „Man muss auch wissen, wann es vorbei ist und ich glaube, der Zeitpunkt ist gekommen.“
Verwaltungswissenschaftler Hans-Peter Bensch (FDP) hielt dagegen: Er sehe Rechtsfehler bei dem 65seitigen Urteil. „Es geht zwar nicht um neue Erkenntnisse, aber es wird überprüft werden, ob alles abgewogen wurde – und das ist aus unserer Sicht nicht der Fall“, so Bensch. Wie berichtet, halten einige Stadträte das jüngste Donau-Gutachten von Gewässerökologe Eckhard Coring für nicht genügend berücksichtigt.
Zur dritten juristischen Kompetenz: Rechtsanwalt Roland Hauser. Er vertritt die Stadt im Donau-Verfahren und kommt in einem nicht-öffentlichen Dokument, das dem Gemeinderat vorgelegt wurde, offenbar zu dem Schluss, dass die Erfolgsaussichten für eine Berufung „eher gering“seien. Thomas Rohrbach, der als Vertreter der Bürgerinitiative „Erhaltenswehrt“der Sitzung beiwohnte, berichtete, Hauser habe im Gespräch mit der Initiative signalisiert, dass es eine Chance gebe. Für unsere Zeitung war Hauser am Freitag nicht erreichbar.
Auch wenn es formal um rechtliche Fragen geht, gab es für die Entscheidung vieler Stadträte doch auch andere Gründe. Die LBU signalisierte, dass sie sich die Donau inzwischen „auch gut ohne Wehr vorstellen könnte“(Ulrike Martin) und dass mehr als ein Teil-Aufstau „ökologisch ohnehin nicht durchsetzbar“wäre (Biologin Heidi Mattheß). Auch Cornelia Seiterich-Stegmann (CDU) glaubte, dass es an der Zeit sei, „die Überlegungen für die Zukunft gemeinsam mit den Bürgern“anzugehen.
Stadträte wie Hellmut Dinkelaker (SPD), Michael Seiberlich, Frieder Schray, Franz Schilling und Joachim Klüppel (alle CDU) fühlten sich dagegen der Unterschriftenliste für den Vollaufstau verpflichtet. Weitere Argumente: die mehreren hunderttausend Euro, die erst kürzlich in die Sanierung der Wehrklappen investiert wurden sowie die Möglichkeit, künftig im Sommer eine „Steinwüste“im Flussbett der Donau zu haben.
Bleibt die Frage, wie es nun weitergeht. Beck schätzt, dass die Bearbeitung des Antrags auf Berufung – der die Stadt zirka 5000 Euro kosten wird – etwa ein halbes Jahr dauern wird. Wird er abgelehnt, hat die Stadt ihre juristischen Mittel ausgeschöpft. Dann muss sie die Donau umbauen – für einen Teilabstau oder einen Vollabstau. Welche Lösung die bessere ist, soll unter Beteiligung von Bürgern erarbeitet werden. Auch das Land müsste sich an der Renaturierung beteiligen. Beide Varianten erfordern Millionensummen. Wird dem Antrag dagegen stattgegeben, wird die Stadt voraussichtlich in Berufung vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim gehen. Das dürfte einiges an Prozesskosten nach sich ziehen.