Prozess um Messer-Attacke: Das Opfer gerät in Misskredit
Prozess gibt Einblicke in die Szene, die Tuttlingen und die Umgebung unsicher macht
ROTTWEIL/TUTTLINGEN - Der junge Mann, der am 28. Juni des vergangenen Jahres nach einer Messer-Attacke in einer Tuttlinger Nachbargemeinde beinahe verblutet wäre, ist selbst kein Unschuldslamm. Das wurde am vierten Prozesstag vor dem Landgericht Rottweil deutlich.
Angeklagt wegen versuchten Totschlags ist ein bald 30-jähriger Mann, der damals in der Tuttlinger Nachbargemeinde eine Shisha-Bar betrieben hat und zu einer der zentralen Figuren der Gruppe gehörte, die in den vergangenen Jahren Tuttlingen und Umgebung unsicher gemacht hat.
Der mutmaßliche Täter und das Opfer bezeichneten sich vor der Tat noch als „Freunde“. Doch dann zerbrach diese Freundschaft wegen 180 Euro. Er habe das Geld vergeblich versucht zurückzufordern, sagte der Angeklagte, der aus dem Irak stammt, 2008 nach Deutschland kam und mittlerweile als Asylbewerber anerkannt ist. Er heiratete eine deutsche Frau, hat mit ihr eine Tochter, konnte aber nie richtig Fuß fassen, geriet immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt und hat ein beträchtliches Vorstrafenregister angehäuft, wie das Gericht am Prozesstag mitteilte. Wegen des Falls im vergangenen Juni sitzt er jetzt in Untersuchungshaft.
Die beiden „Freunde“wollten sich zu einer „Aussprache“in der Shisha-Bar treffen. Doch schon nach wenigen Minuten eskalierte die Situation. Der Betreiber hat den Kontrahenten, einen 20-jährigen Kosovo-Albaner, laut Anklage auch beschuldigt, ihm eine Tür beschädigt zu haben.
Der Jüngere räumte als Zeuge vor Gericht ein, vorsichtshalber einen Baseballschläger und zwei Begleiter als Unterstützer dabei gehabt zu haben, bestritt aber, wie von der Gegenseite behauptet, die Mitnahme einer Pistole.
Letztlich aber habe er die Flucht angetreten, als er vom Shisha-BarBetreiber und dessen Freunden immer heftiger bedroht worden sei. Die beiden Begleiter hätten schon vorher aus Angst das Weite gesucht.
Es kam zu einer Verfolgungsjagd, in dessen Verlauf der Angeklagte dem Opfer ein zehn Zentimeter langes Messer gegen den Kopf und in den Rücken stieß. So die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft. „Es ging um Leben und Tod“, sagte Staatsanwältin Isabel GurskiZepf. Tatsächlich bestand die Gefahr, dass das Opfer verblutet, hätte nicht eine Nachbarin, die ausgebildete Rettungssanitäterin ist, schnell und beherzt eingriff.
Der 20-Jährige trat als Zeuge sehr selbstbewusst und bestimmt auf. „Der hat mich mit dem Messer abgestochen“, sagte er und beteuerte, er selber habe den Streit nur schlichten wollen. In Wirklichkeit habe der andere ihm Geld geschuldet. Und vom Beschädigen einer Tür könne keine Rede sein.
Doch Bernhard Mussgnug, der Verteidiger des Angeklagten, glaubt diese Version nicht. Wer in friedlicher Absicht komme, müsse sich fragen lassen, warum er dann einen Baseballschläger mitbringe. Und dann müsse auch noch ein Revolver im Spiel gewesen sein.
Weitere Zweifel an der Lauterkeit des Opfers ließen seine Vorstrafen aufkommen, die das Gericht bekanntmachte. Dabei geht es unter anderem um versuchten Betrug, versuchte Nötigung oder gefährliche Körperverletzung. Verteidiger Mussgnug will jetzt auch noch ein rechtskräftiges Urteil heranziehen, das belegen soll, dass der 20-Jährige in einem Fall mit einem Revolver bewaffnet war.
Der Prozess wird am 20. April fortgesetzt.