Zwischen Frust, Resignation und Hoffnung
Die Stimmung bei den Gastronomen der Region ist schlecht – Wunsch nach verlässlicher Perspektive
SÜDLICHER LANDKREIS - Seit mehr als fünf Monaten keine Gäste im Haus, finanzielle Sorgen und keine Aussicht auf Lockerungen: Der Frust in der Gastronomie ist groß – und er wächst mit jedem Tag. Auch in den Betrieben im südlichen Landkreis Tuttlingen fühlen sich viele Gastronomen im Stich gelassen. Manch einer überlegt sogar, das Handtuch zu werfen.
Thomas Sieber vom Gasthaus
Krone in Weilheim ist einer von ihnen. Ihm steht das Wasser mittlerweile bis zum Hals. „Es ist scheiße. Was soll man da drumherum reden“, macht er seinem Ärger Luft. Jeden Monat fahre er weiter ins Minus. Aktuell lebe er von Erspartem. Die versprochene Novemberhilfe sei bei ihm erst im Februar angekommen. „Es kann nicht das Ziel sein, das, was man für die Rente zurückgelegt hat, jetzt aufzubrauchen“, sagt Sieber. Über die laufenden Kosten von Januar bis Juni könne nun ein weiterer Antrag gestellt werden. „Damit habe ich aber noch keine Einnahmen. Wovon soll ich leben?“
Vertrauen in die Corona-Politik der Regierung habe er keines mehr. „So, wie es im vergangenen Jahr war, wäre es für mich akzeptabel. Alles andere mache ich nicht mit“, macht er deutlich. Bei niedrigen Inzidenzen den CoronaSchnelltest jedes einzelnen Gastes kontrollieren, um die Außengastronomie zu öffnen – da wolle Sieber lieber geschlossen bleiben. Zu stressig und zu aufwendig sei dieses Prozedere. Ein Auf und Zu – wie es auch beim Tuttlinger Einzelhandel der Fall war – kommt für ihn nicht in Frage.
Dennoch fehlt dem Gastronom, der seit 40 Jahren im Geschäft ist und die Krone in Weilheim seit 16 Jahren betreibt, der Restaurantbetrieb. „Als Wirt braucht man Leute um sich herum. Jetzt läuft man am Morgen zwei, drei Stunden spazieren, aber ein halbes Jahr lang ist das dann schon eintönig.“
Für Linda Dalla Vecchia, die in Seitingen-Oberflacht die Pizzeria da
Linda im Sportheim betreibt, gehe es aktuell um nichts weniger als die Existenz. „Wir kämpfen ums Überleben“, macht sie im Gespräch deutlich. Die Liefer- und Abholmöglichkeit werde momentan nicht gut angenommen. Nun sei das Internetportal Lieferando ihre letzte Hoffnung. Sie habe das Gefühl, dass die Leute lieber über eine App bestellen, anstatt anzurufen. Bei einer befreundeten Gastronomin funktioniere das sehr gut. „Wenn ich damit in den nächsten zwei Monaten Erfolg habe, dann geht es weiter, wenn nicht, dann bin ich gezwungen zu zu machen“, so Dalla Vecchia.
„Man kann uns doch nicht einfach auf Verdacht die Existenzgrundlage entziehen“, findet Dieter Lang. Er betreibt das Gasthaus Adler in Neuhausen ob Eck.
Es sind vor allem die laufenden Kosten, die der Gastronomin Sorgen bereiten. Die Pacht für die Vereinsgaststätte habe ihr der Verein vorübergehend erlassen. Doch irgendwann müsse diese nachbezahlt werden – eine Schuldenfalle, die immer größer werde. Unterdessen wartet Dalla Vecchia noch immer auf die Dezemberhilfe. Das Ersparte sei mittlerweile aufgebraucht. Auch ihre beiden Kinder hätten aufgrund der Situation zurückstecken müssen: „Sie warten noch immer auf ihr Weihnachtsgeschenk“, so die Mutter.
Dabei habe sie nichts unversucht gelassen: „Wir haben etliche Bewerbungen geschrieben. Hauptsache wir haben Arbeit. Aber alle Betriebe sind in Kurzarbeit oder stellen im Moment nicht ein. Es ist katastrophal“, so Dalla Vecchia. Sollte nun auch die Bemühungen, mit Lieferando das Geschäft anzukurbeln, scheitern, bleibe ihr keine andere Wahl, als Harz IV zu beantragen. Noch gebe es die Hoffnung, dass es nicht so weit kommt. „Ich würde mir vom Staat wünschen, dass wir wieder öffnen dürfen, wie im vergangenen Jahr“, so die Gastronomin. Die Hygienekonzepte habe sie gut umsetzen können – und auch die Gäste hätten sich vorbildlich daran gehalten.
Groß ist der Frust über die monatelange Schließung auch bei Dieter Lang vom Gasthaus Adler in Neuhausen ob Eck. Während die Gastronomie im vergangenen Sommer geöffnet hatte, seien die Inzidenzen nicht nach oben geschnellt. Und auch als die Zahlen im Herbst wieder stiegen, sei das nicht auf die Restaurants zurückzuführen gewesen. „Man kann uns doch nicht einfach auf Verdacht die Existenzgrundlage entziehen“, findet Lang.
Viele Kollegen hätten investiert und Möglichkeiten geschaffen, den Restaurantbesuch möglichst sicher zu gestalten. Er kenne keinen einzigen Fall, in dem eine Corona-Infektion auf den Besuch einer Gaststätte zurückzuführen sei. „Da fragt man sich jetzt: Was hatte das für einen Sinn?“Immerhin: Die Auszahlung der November- und Dezemberhilfe habe für das Gasthaus Adler gut funktioniert. Dennoch habe auch er auf Erspartes zurückgreifen müssen. Mit den Abholangeboten an Freitagen, Samstagen und Sonntagen komme man gerade so über die Runden.
Was ihm in der aktuellen CoronaPolitik
„Sie warten noch immer auf ihr Weihnachtsgeschenk“, sagt Linda Dalla Vecchia von der Pizzeria Da Linda über die finanzielle Situation, die auch die Kinder betrifft.
fehle, sei eine klare Perspektive – ein fixer Termin auf den man sich vorbereiten könne. „So, wie es jetzt läuft, kann man nicht planen“, sagt Lang. Auch eine Öffnung der Außengastronomie in Kombination mit Schnelltests bringe Probleme mit sich: „Wie soll ich das denn kontrollieren? Die Schnelltests sehen alle unterschiedlich aus und ich kann nicht überprüfen, ob sie vielleicht auch gefälscht sind. Das kann man nicht leisten.“
Schlimm sei die Situation aber nicht nur für die Gastronomen, sondern auch für so manchen Gast. Gerade bei der älteren Kundschaft in ländlichen Regionen sei der Restaurantbesuch auch ein wichtiger Treffpunkt. „Diese Leute verweilen jetzt daheim. Ihnen fehlen die Kontakte“, sagt Lang. Franziska Sölle vom Gasthaus
Sonne in Emmingen-Liptingen beschreibt die Situation als deprimierend und entmutigend. Ein Lichtblick: Die Vermietung der Gästezimmer an Geschäftsreisende laufe langsam wieder an. Für das Restaurant sei die Lage aber noch immer zermürbend: „Essen to go ist ja nicht auf Dauer unsere Intention“, so Sölle. „Wir wollen die Gäste ja im Haus.“
Mit den Zimmervermietungen und den Einnahmen aus den Abholund Lieferangeboten ließen sich die Fixkosten derzeit „gerade so decken“, sagt Sölle. Für einen Unternehmerlohn reiche es aber nicht. Die Novemberund Dezemberhilfen seien gut gewesen, doch was nun an Bund- und Länderhilfen angeboten werde, sei undurchsichtig, findet die Gastronomin.
So habe das Gasthaus zum Beispiel einen Kredit für umfangreiche Renovierungsarbeiten aufgenommen. Für diese Umbauten gebe es auch die Chance auf Fördermittel. Laut Sölle würde sie dabei besser wegkommen, wenn sie den Betrieb geschlossen ließe. Das könne sie nicht nachvollziehen. „Ich will ja nicht jammern und nichts machen. Aber ich sehe, man wird dafür bestraft“, sagt sie.
Ihr ist bewusst, dass die Gastronomie nicht die einzige gebeutelte Branche ist – auch der Einzelhandel habe es mit den aktuellen Begrenzungen sehr schwer. „Aber keine Branche hat es so lange getroffen wie unsere“, so Sölle. Dass man nun alle zwei Wochen wieder auf eine neue Entscheidung von Seiten der Politik hoffen dürfe, mache die Lage nur noch schlimmer. In der Hoffnung, über Ostern öffnen zu können, habe
sie das ganze Gasthaus auf Vordermann gebracht und Vorbereitungen getroffen – umsonst, wie sich dann herausstellte.
Regelrecht begeistert ist Sölle im Übrigen von der Luca-App: „Das ist die erste Sache, von der ich sagen kann, dass sie super funktioniert.“
„Der Gastronomie geht es sehr
schlecht“, fasst Dieter Marquardt, Vorsitzender der Dehoga-Kreisstelle Tuttlingen und Inhaber des
Gasthauses Rose in Rietheim-Weilheim, die Lage zusammen. „Es geht bei manchen Kollegen wirklich an die Psyche, dass wir nicht ehrlich unser Geld verdienen dürfen“, schildert er. So seien die Abhol- und Lieferservices in einem Großteil der Fälle zwar nicht wirtschaftlich, sondern eher eine Möglichkeit, überhaupt etwas zu tun.
Die meisten Kollegen wollten unbedingt weitermachen. Dennoch geht der Dehoga-Vorsitzende davon aus, dass nicht alle Betriebe die Corona-Pandemie überstehen werden. „Man kann im Moment noch nicht sagen, wie viele Betriebe betroffen sind. Bei manchen werden die Pachten gestundet, bei manchen wird die Tilgung ihrer Darlehen ausgesetzt, aber das ist ja keine Hilfe sondern nur ein Aufschub und der Berg wird immer größer. Ob der dann überwunden werden kann, das ist dann fraglich.“
Die November- und Dezemberhilfe sei laut Marquardt im großen und ganzen „recht ordentlich gelaufen“. Nun solle außerdem die Überbrückungshilfe des Bundes angepasst werden, auch die Stabilisierungshilfe des Landes sei eine Möglichkeit. „Aber das muss alles bearbeitet werden. Die Steuerberater sind mit den ganzen Anträgen grenzenlos überlastet. Wenn die Anträge dann draußen sind braucht man wieder viel Geduld. Es ist ein bürokratischer Weg, aber man kann Hilfe erhalten.“
Ermutigend sei, dass sich Landräte und Bürgermeister für die örtliche Gastronomie stark machen würden. Von der Regierung hingegen sei „die ganze Gastronomiewelt enttäuscht, dass man uns so hängen lässt“, so Marquardt.
Was die Gastronomie brauche, sei eine baldige Öffnung. Und zwar am besten ohne Beschränkung auf die Außengastronomie, die Abhängigkeit von Inzidenzen und die Kontrolle von Schnelltests. Das umzusetzen, sei für viele Betriebe sehr schwer zu leisten. Stattdessen seien Hygienekonzepte wünschenswert, wie es sie im vergangenen Sommer gegeben hatte. „Man muss doch an alle denken“, findet Marquardt. So brauche es auch eine Perspektive für Betriebe, die nur wenige oder keine Plätze im Freien anbieten können. Und vor allem: Verlässlichkeit.
„Es ist scheiße. Was soll man da drumherum reden“, macht Thomas Sieber vom Gasthaus Krone in Weilheim seinem Ärger Luft.