Das Wohl und Wehe beim Kälbertransport
Ein lange köchelndes Tierschutzproblem beschäftigt das Verwaltungsgericht Sigmaringen
- Dürfen noch säugende Kälber ohne spezielle Transporteinrichtungen über weite Strecken herumgekarrt werden? Über diese Frage gibt es seit zwei Jahren in Baden-Württemberg einen Rechtsstreit. Involviert sind in erster Linie das Landratsamt Ravensburg, Verwaltungsrichter und die Transportfirma, aber ebenso Politik sowie die Landwirtschaft. Nun versuchen zwei Tierschutzorganisationen juristisch gegen solche Transporte vorzugehen. Dazu hätten sie vom Sigmaringer Verwaltungsgericht gerne eine Verbotsverfügung erwirkt. Ihre Klagen scheiterten jedoch vergangene Woche. Das Gericht ließ allerdings eine Berufung zu. Aufseiten der Tierschützer zeichnet sich ab, dass sie zu weiteren juristischen Schritten bereit sind – weshalb keine Ende des Falls abzusehen ist.
Der Fall: Ende 2019 will eine Firma aus Bad Waldsee 200 noch saugende Kälber für die Mast nach Katalonien exportieren. Sie zeigt den Transport beim zuständigen Landratsamt Ravensburg an und bittet um Genehmigung.
Standpunkt des Ravensburger Landratsamtes: Die Amtsveterinäre haben eine Genehmigung des Langstreckentransports abgelehnt. Der Grund: Nach ihrer Meinung ist eine vorschriftsmäßige Versorgung der Saugkälber nicht möglich gewesen. Es habe ein Gerät gefehlt, das einen zweiphasigen Saugakt ermögliche. Die Grundidee eines solchen Gerätes ist es, der Verhaltensweise junger Kälber gerecht zu werden. Das Säugen soll nachgestellt werden. Im „Handbuch Tiertransporte“auf dem Stand von 2019 wird darauf hingewiesen, dass der alleinige Einsatz eines Wassersystems keine verhaltensgerechte Versorgung von Kälbern ermögliche. Das Handbuch ist von der Arbeitsgemeinschaft Tierschutz der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz erarbeitetet worden.
Standpunkt der Verwaltungsrichter: Der Kälbertransport nach Spanien geht für die Richter in Ordnung, weil das entsprechende Unternehmen alle aus der Transportverordnung (Art. 14 der VO (EG) 1/2005) ergebenden Voraussetzungen erfüllt habe. Dies betreffe auch die Versorgung der Tiere mit Wasser. Die auf das „Handbuch Tiertransporte“gestützte Ansicht des Landratsamts,
die ein anderes Versorgungssystem als erforderlich ansieht, hielten die Verwaltungsrichter für unverbindlich. Deshalb könnten nach ihrer Meinung die dort genannten Anforderungen dem Transport nicht entgegenstehen. Die Juristen verweisen jedoch auch darauf, dass zu den speziellen Transportbedingungen für noch saugende Kälber bei langer Beförderung oder Überschreitung der regulären Transportzeiten bislang keine Rechtsprechung vorliege.
Standpunkt des baden-württembergischen Landwirtschaftsministeriums: Von ihm gibt es einen Erlass. Er untersagt lange Kälbertransporte in den nur für die Tierkategorie „Rinder“zugelassenen Transportfahrzeugen – also in Transportern, die nur eine übliche Wasserversorgung bieten.
Die aktuelle Rechtslage in Deutschland: Seit dem 1. Januar 2022 gelten verschärfte Regelungen für den Transport von Tieren. Was Kälber angeht, greift ab 2023 eine entscheidende Neuregelung. Dann ist ihr Transport innerhalb der deut
schen Grenzen erst ab einem Alter von 28 Tagen erlaubt. Aktuell gilt ein Mindestalter von 14 Tagen. So gewinnen die Kälber etwas Zeit, sind aber auch nach den besagten vier Wochen normalerweise nicht von ihren Kühen abgesetzt. Das Problem: Ins Ausland dürfen die Kälber nach wie vor ab einem Mindestalter von 14 Tagen gebracht werden. Gesetzlich unklar bleibt nach wie vor, ob saugende Kälber eine spezielle Versorgung benötigen.
Entwicklung bei der EU: Der Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments zum Schutz von Tieren während des Transportes will ein Beschränken der Transportzeit für alle Tierarten und Altersgruppen. Tiere mit einem Alter von weniger als 35 Tagen sollen überhaupt nicht mehr transportiert werden. Nicht abgesetzte Tiere, die älter als 35 Tage sind, sollten möglichst ebenfalls nicht transportiert werden. Sollte es trotzdem dazu kommen, dann nur maximal zwei Stunden.
Standpunkt der Landwirte:
Im allgemeinen scheinen die Bauern bereits
mit der gegenwärtig in Deutschland geltenden Regelung unglücklich zu sein. Sie haben hart dafür gekämpft, dass es für die Neuregelung des Tiertransport längere Übergangsfristen gibt. Als zentrales Problem sehen sie den längeren Aufenthalt von Kälbern auf den Höfen. Dies betrifft jene Jungtiere, die zur Mast bestimmt sind. Für sie müsse nun erst teurer Platz geschaffen werden. Ihre Versorgung über zwei weitere Wochen hinweg koste weiteres Geld. Bei grenzüberschreitenden Transporten orientiert sich die Landwirtschaft an der europäischen Transportverordnung. Sie schreibt keine speziellen Säugevorrichtungen für Kälber vor.
Standpunkt der Tierschutzorganisationen:
Hier kommt es beim Standpunkt auf den jeweiligen Verein an. Einige fordern ein totales Transportverbot von Vieh. Peta steht beispielsweise dafür. Der Deutsche Tierschutzbund will eine starke Einschränkung von Tiertransporten. Vier Pfoten fordert für den Anfang zumindest ein Verbot des Transports von nichtentwöhnten Jungtieren auf EU-Ebene.