Kaili, Katar und die Korruption
Bestechungsskandal im Europaparlament – Vizepräsidentin im Gefängnis
- Der Korruptionsskandal, in dessen Mittelpunkt die griechische Europaabgeordnete Eva Kaili steht, erschüttert Brüssel. Die der sozialistischen Fraktion angehörende Vizepräsidentin des Parlaments wurde zusammen mit fünf weiteren Verdächtigen in Polizeigewahrsam genommen. Sie soll sich vom Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft, dem Emirat Katar, für regierungsfreundliche Stellungnahmen haben bezahlen lassen.
Bei 16 Hausdurchsuchungen gingen den Behörden sechs Personen ins Netz, bei denen Computer, Smartphones und 600 000 Euro in bar sichergestellt wurden. Verhaftet wurden neben Kaili der frühere EUAbgeordnete Pier Antonio Panzeri, einige Parlamentsassistenten und der Chef der Internationalen Gewerkschaftsorganisation. Sie alle wurden dem Ermittlungsrichter vorgeführt, zwei aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Vorwürfe umfassen die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Korruption. Am Samstagabend wurde die Wohnung eines weiteren EU-Abgeordneten durchsucht, wie die belgische Staatsanwaltschaft am Sonntag schriftlich bekannt gab.
Als eine von 14 Vizepräsidenten des Europaparlaments ist Kaili keine Hinterbänklerin, sondern sie gehört zu den einflussreichsten Akteuren des Hauses. In Griechenland genießt sie zudem als frühere Nachrichtenmoderatorin Prominentenstatus. Die Nachrichtenportale veröffentlichten ein Foto, das Kaili im Gespräch mit dem katarischen Arbeitsminister zeigt. Im kurzärmeligen T-Shirt mit offenen langen blonden Haaren sitzt sie dem traditionell gekleideten Minister gegenüber, der sie wohlwollend anlächelt.
Nach diesem Treffen verblüffte sie auch Kollegen der eigenen Fraktion damit, dass sie Katar öffentlich als „Vorkämpfer für Arbeitnehmerrechte“lobte. Nach den nun bekannt gewordenen Vorwürfen lässt die griechische sozialistische Pasok-Partei ihre Mitgliedschaft ebenso ruhen wie die sozialistische Fraktion im Europaparlament. Deren Vorsitzende Iratxe Garzia Perez blieb bislang recht wortkarg und twitterte lediglich: „Eva Kaili sollte als Parlamentsvizepräsidentin abgelöst werden, um den Respekt vor der Institution und das Vertrauen der Bürger nicht zu beschädigen.“Ein entsprechendes Votum des Plenums wird für nächste Woche ebenso erwartet wie die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten.
Die Vorwürfe setzten den politischen Betrieb in Brüssel unter Schock. In der EU-Hauptstadt, wo
Gesetze für rund 450 Millionen Europäer gemacht werden, gehört Lobby-Arbeit selbstverständlich dazu. Nach Angaben des Vereins Lobbycontrol tummeln sich dort etwa 25.000 Lobbyisten in der Stadt. Sie alle versuchen, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Doch dieser Fall ist anders, brisanter – und lässt hohe kriminelle Energie vermuten.
Im Verlauf des Sonntags weitete sich der Skandal immer weiter aus. Im Fokus stehen nun zwei Menschenrechtsorganisationen, die in Brüssel unter derselben Adresse logieren: „No Peace without Justice“und „Fight Impunity“mit Panzeri an der Spitze. Laut Webseite finden sich im Aufsichtsrat so prominente Namen wie der des französischen sozialistischen Ex-Premiers Bernard Cazeneuve und der ebenfalls zur sozialistischen Partei gehörenden ehemaligen EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini aus Italien. Beide legten die Posten sofort nieder, als die Verbindungen der auf Menschenrechte im Nahen Osten und Nordafrika spezialisierten NGO
zum Katar-Skandal deutlich wurden.
Unter den Verdächtigen befindet sich auch Luca Visentini, der im vergangenen Monat Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsverbandes ITUC wurde. Davor war er über viele Jahre Chef des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, da ja gerade von europäischen Gewerkschaften die schärfste Kritik an den Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter in Katar geäußert wurde. Schon vor Visentinis Amtsübernahme fiel allerdings auf, dass ITUC nicht in die Katar-Schelte einstimmte. Visentinis Vorgänger forderte vielmehr die Kritiker dazu auf, sich vor Ort selbst ein Bild davon zu machen, wie sich die Dinge zum Positiven gewandelt hätten.
Derartige Fürsprache kann der Golfstaat dringend gebrauchen, da im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft die Kritik nicht verstummte, sondern vielmehr noch anschwoll. Die als PR-Coup angelegten Spiele, die der Welt ein modernes Emirat mit hohen menschenrechtlichen Standards
zeigen sollten, rückten stattdessen Korruption auf den Großbaustellen und sklavenähnliche Arbeitsbedingungen für ausländische Bauarbeiter in den Fokus. Politiker, die dieses harte Urteil in Zweifel ziehen, sind für den Golfstaat, der mit Europa Gasgeschäfte machen möchte und die Aufhebung der Visumspflicht anstrebt, buchstäblich Gold wert.
Der nun aufgedeckte Skandal macht die Charme-Offensive komplett zunichte. Die Grünen im Europaparlament erklärten, dass sie in der anstehenden Plenarabstimmung gegen Visa-Erleichterungen für Katar stimmen werden. „Auch mit Blick auf die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn muss völlig klar sein, dass das Europäische Parlament seine Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzt“, sagt die Fraktionsvorsitzende Terry Reintke. Der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary lehnt Verhandlungen über Visa-Erleichterungen zum jetzigen Zeitpunkt ebenfalls ab. Er sagte:„Erst muss der Sachverhalt gründlich aufgeklärt werden, dann kann man über weitere Schritte entscheiden.“