Drohen Autofahrern bald Klima-Fahrverbote?
FDP fordert eine grundsätzliche Reform des Klimaschutzgesetzes zugunsten der Mobilität – Doch die Grünen sperren sich
BERLIN - Es war der größte klimapolitische Wurf der Großen Koalition: Die damalige Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) konnte 2019 ein Klimaschutzgesetz (KSG) durchs Kabinett boxen, das jeden CO2-ausstoßenden Wirtschaftsbereich mit konkreten jährlichen Zielen zur Emissionsminderung verpflichtet. Alle, die das Gesetz als „zahnlosen Tiger“kritisierten, würden erleben, dass das Gegenteil der Fall sei, sagte Schulze im Bundestag. Sie sollte recht behalten.
Denn in manchen Bereichen sind die Ziele derart hoch gesteckt, dass sie nur äußerst schwer erreichbar sind. So müssen die Treibhausgasemissionen insgesamt um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 sinken. Sorgenkinder bei diesem Vorhaben sind vor allem der Verkehrs- und Gebäudebereich. Schon im vergangenen Jahr verfehlten sie ihre Klimaziele. Während der Gebäudebereich nun jedoch vor allem mit Maßnahmen beim Heizen nachlegen konnte, ist im Verkehrssektor nach wie vor unklar, wie die Ziele erreicht werden sollen.
Fast 150 Millionen Tonnen Treibhausgase haben die Autos und Lastwagen in Deutschland 2021 ausgestoßen. Im Jahr 2030 dürfen es laut KSG nur noch 85 Millionen sein, kontinuierlich muss die Menge dabei sinken – obwohl Jahr für Jahr mehr Menschen und Waren unterwegs sind. Selbst ein Tempolimit wäre angesichts dieser Lücke nur ein Tropfen auf den heißen Asphalt.
Das sieht man wohl auch im Wirtschaftsund Klimaministerium so, weswegen Minister Robert Habeck (Grüne) seinem Kollegen im Verkehrsministerium, Volker Wissing (FDP), im Grunde bereits entgegengekommen ist: Einem Eckpunktepapier zufolge sollen Ministerien ihre Jahresziele künftig verfehlen dürfen, ohne umgehend ein Sofortprogramm vorlegen zu müssen – wenn eine Hochrechnung bis zum Jahr 2030 zeigt, dass die Ziele langfristig erfüllt werden.
Das hilft Verkehrsminister Wissing insofern, als dass viele seiner vorgeschlagenen Maßnahmen langfristig wirken: Die Elektro-Ladeinfrastruktur muss erst aufgebaut werden, die anvisierten 15 Millionen Elektroautos sollen ebenfalls erst bis 2030 auf deutschen Straßen unterwegs sein. Doch selbst das reicht möglicherweise nicht aus.
Laut dem Klimarat der Bundesregierung ist im Verkehr eine 14-fache Erhöhung der durchschnittlichen
Minderungsmenge pro Jahr notwendig. „Die bisherigen Emissionsreduktionsraten reichen bei Weitem nicht aus, um die Klimaschutzziele
für 2030 zu erreichen“, heißt es in einem aktuellen Gutachten.
In der FDP schrillen deswegen die Alarmglocken. Ohne eine Einschränkung
der Mobilität der Bürger sei das KSG in dieser Form nicht zu erfüllen, warnt man in der Partei, „KlimaLockdowns“werde man verhindern.
„Wir möchten so schnell wie möglich so viel Klimaschutz wie möglich erreichen, ohne dabei die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger zurückzudrängen und ohne Logistik und Lieferketten zu gefährden“, sagt Michael Theurer, Parlamentarischer Verkehrsstaatssekretär, der „Schwäbischen Zeitung“.
Die Liberalen fordern deswegen, die Sektorziele im KSG zugunsten einer CO2-Gesamtrechnung komplett abzuschaffen. „Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass die Einhaltung der Klimaziele anhand einer sektorübergreifenden und analog des Pariser Klimaabkommens mehrjährigen Gesamtrechnung zu überprüfen sind“, so Theurer.
Doch bei den Koalitionspartnern will man von einer solchen Vereinbarung nichts wissen. In einem Interview auf das KSG angesprochen, verglich Ricarda Lang Wissing kürzlich mit Kindergartenkindern: Die würden verstehen, dass man nicht gemeinsam aufräumen könne, „während manche weiter Bauklötze durch den Raum werfen“, so die GrünenChefin. „Anders gesagt: Jeder Sektor muss überprüfbar seinen Beitrag leisten, sonst werden wir nicht genug CO2 einsparen. Das gilt auch für den Verkehr.“
Bei den Sozialdemokraten hat man nur wenig Verständnis für noch einen Grünen-FDP-Streit nach der Auseinandersetzung um die Kernkraftwerke: „Ich erwarte, dass der Konflikt zwischen den Ministerien schnellstens aufgelöst wird“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch der „Schwäbischen Zeitung“. Der Umweltpolitiker ist einer der Väter des Gesetzes, kann an einer Abschwächung seines Wesenskerns daher nur wenig Interesse haben. Das KSG „gilt“, so Miersch. Dennoch deutet er Verhandlungsspielraum an: „Bei gutem Willen wird auch der Konflikt über die Weiterentwicklung des Klimaschutzgesetzes geklärt werden können.“
Experten würden eine solche sogar begrüßen. „Für die Auswirkungen auf das Klima ist irrelevant, in welchem Sektor die CO2-Emissionen anfallen“, sagt etwa der Energieökonom Andreas Löschel. Die Kosten für die Minderung hingegen würden sich sehr stark unterscheiden und seien unsicher.
Im Verkehr gelten sie als besonders hoch, im Energiebereich als eher niedrig. „Ein starrer nationaler Rahmen, der jedem Wirtschaftssektor jahresscharf genaue Emissionshöchstmengen vorschreibt, ist daher wenig sinnvoll.“Weil Unternehmen jedoch planen müssten, wirbt Löschel für eine Kombination aus flexiblen Sektorzielen in Kombination mit einer Gesamtrechnung.