Öltanker-Stau vor Istanbul
EU äußert Sorge wegen der Nähe Ankaras zu Moskau – Erdogan spricht erneut mit Putin
ISTANBUL - Die Türkei will trotz Einwänden aus dem Westen ihre Beziehungen zu Russland intensivieren. Präsident Recep Tayyip Erdogan schlug Kremlchef Wladimir Putin am Sonntag in einem Telefonat vor, den Korridor für Getreidelieferungen durch das Schwarze Meer auch für andere Güter zu nutzen. Kurz zuvor hatte sich die EU besorgt über die engen türkisch-russischen Beziehungen gezeigt. Das Verhältnis zwischen der Türkei und dem Westen wird auch von Problemen bei der Fahrt westlicher Öltanker durch türkische Meerengen belastet.
Rund 20 Tanker mit einigen Millionen Barrel Öl an Bord warten seit Tagen am Bosporus bei Istanbul auf die Durchfahrt in Richtung Mittelmeer. Die Türkei lässt sie nicht passieren, weil sie Nachweise über einen Versicherungsschutz verlangt, der auch greifen soll, wenn der Öltransport gegen die neuen Russland-Sanktionen des Westens verstößt. Nach Medienberichten stammt das Öl auf den aufgehaltenen Tankern aus Kasachstan, das nicht von westlichen Sanktionen betroffen ist, und soll in europäische Häfen gebracht werden.
Seit dem 5. Dezember riskieren Versicherungen und Schiffseigner westliche Sanktionen, wenn sie russisches Öl transportieren, das für einen Preis über dem neuen Preisdeckel von 60 Dollar pro Barrel verkauft
wird. Deshalb haben etliche Tanker nun aus türkischer Sicht keinen ausreichenden Versicherungsschutz; Europa und die USA sagen dagegen, neue Versicherungspapiere seien nicht nötig. Nach Medienberichten hatten die Türken russische Tanker durch den Bosporus und die Dardanellen fahren lassen, nicht aber westliche Schiffe.
Der Streit zeigt, wie schlecht die Kommunikation zwischen der Türkei und dem Westen ist. Der Westen habe die Entscheidung für den Ölpreisdeckel ohne Abstimmung mit der Türkei getroffen, sagte der Istanbuler Sicherheitsexperte Yörük Isik. Auf der anderen Seite habe die Türkei die neuen Anforderungen für
Versicherer eingeführt, ohne mit der Branche zu reden, sagte Isik. „Mehr Konsultationen hätten diese chaotische Situation verhindern können.“
Die Türkei argumentiert, sie könne es nicht zulassen, dass Tanker voller Öl ohne Versicherung durch den Bosporus und damit mitten durch die Metropole Istanbul fahren. Grundsätzlich habe die Türkei mit ihrer Vorsicht recht, sagte Isik. „Riesige Mengen von Öl und Gas werden durch ein Großstadtgebiet transportiert“, sagte er. „Wenn man Bosporus und Dardanellen zusammenrechnet, wohnen 20 Millionen Menschen in diesem Gebiet, ein Viertel der türkischen Bevölkerung. Da vorsichtig zu sein, ist nur klug.“
Am Sonntag blieb unklar, ob politische Motive hinter dem türkischen Verhalten standen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete, die Türkei wolle Russland zu einem Preisnachlass von 25 Prozent bei Erdgas-Importen bewegen. Weil die Türkei einen Großteil ihrer Gasund Ölimporte aus Russland bezieht, könnten Preissenkungen die Chancen von Erdogan bei den türkischen Wahlen im kommenden Jahr verbessern. Erdogan und Putin sprachen nach Angaben beider Regierungen am Sonntag über Energie-Fragen; ob die Tanker erörtert wurden, war nicht bekannt.
In dem Telefonat forderte Erdogan nach Angaben des türkischen Präsidialamtes die Vertreibung syrisch-kurdischer Milizionäre aus dem Grenzgebiet zur Türkei. Erdogan droht mit einem Einmarsch nach Syrien, braucht dazu aber grünes Licht von Putin, dem wichtigsten Partner des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.
Die Russland-Politik des türkischen Präsidenten macht Europa und die USA nervös. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb an das EU-Parlament, die Intensivierung der türkisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen biete „Anlass zu großer Sorge“. Borrell kritisierte laut der Funke-Mediengruppe zudem, dass sich die Türkei nicht an den westlichen Sanktionen gegen Russland beteilige.