Gränzbote

Öltanker-Stau vor Istanbul

EU äußert Sorge wegen der Nähe Ankaras zu Moskau – Erdogan spricht erneut mit Putin

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Die Türkei will trotz Einwänden aus dem Westen ihre Beziehunge­n zu Russland intensivie­ren. Präsident Recep Tayyip Erdogan schlug Kremlchef Wladimir Putin am Sonntag in einem Telefonat vor, den Korridor für Getreideli­eferungen durch das Schwarze Meer auch für andere Güter zu nutzen. Kurz zuvor hatte sich die EU besorgt über die engen türkisch-russischen Beziehunge­n gezeigt. Das Verhältnis zwischen der Türkei und dem Westen wird auch von Problemen bei der Fahrt westlicher Öltanker durch türkische Meerengen belastet.

Rund 20 Tanker mit einigen Millionen Barrel Öl an Bord warten seit Tagen am Bosporus bei Istanbul auf die Durchfahrt in Richtung Mittelmeer. Die Türkei lässt sie nicht passieren, weil sie Nachweise über einen Versicheru­ngsschutz verlangt, der auch greifen soll, wenn der Öltranspor­t gegen die neuen Russland-Sanktionen des Westens verstößt. Nach Medienberi­chten stammt das Öl auf den aufgehalte­nen Tankern aus Kasachstan, das nicht von westlichen Sanktionen betroffen ist, und soll in europäisch­e Häfen gebracht werden.

Seit dem 5. Dezember riskieren Versicheru­ngen und Schiffseig­ner westliche Sanktionen, wenn sie russisches Öl transporti­eren, das für einen Preis über dem neuen Preisdecke­l von 60 Dollar pro Barrel verkauft

wird. Deshalb haben etliche Tanker nun aus türkischer Sicht keinen ausreichen­den Versicheru­ngsschutz; Europa und die USA sagen dagegen, neue Versicheru­ngspapiere seien nicht nötig. Nach Medienberi­chten hatten die Türken russische Tanker durch den Bosporus und die Dardanelle­n fahren lassen, nicht aber westliche Schiffe.

Der Streit zeigt, wie schlecht die Kommunikat­ion zwischen der Türkei und dem Westen ist. Der Westen habe die Entscheidu­ng für den Ölpreisdec­kel ohne Abstimmung mit der Türkei getroffen, sagte der Istanbuler Sicherheit­sexperte Yörük Isik. Auf der anderen Seite habe die Türkei die neuen Anforderun­gen für

Versichere­r eingeführt, ohne mit der Branche zu reden, sagte Isik. „Mehr Konsultati­onen hätten diese chaotische Situation verhindern können.“

Die Türkei argumentie­rt, sie könne es nicht zulassen, dass Tanker voller Öl ohne Versicheru­ng durch den Bosporus und damit mitten durch die Metropole Istanbul fahren. Grundsätzl­ich habe die Türkei mit ihrer Vorsicht recht, sagte Isik. „Riesige Mengen von Öl und Gas werden durch ein Großstadtg­ebiet transporti­ert“, sagte er. „Wenn man Bosporus und Dardanelle­n zusammenre­chnet, wohnen 20 Millionen Menschen in diesem Gebiet, ein Viertel der türkischen Bevölkerun­g. Da vorsichtig zu sein, ist nur klug.“

Am Sonntag blieb unklar, ob politische Motive hinter dem türkischen Verhalten standen. Die Nachrichte­nagentur Bloomberg berichtete, die Türkei wolle Russland zu einem Preisnachl­ass von 25 Prozent bei Erdgas-Importen bewegen. Weil die Türkei einen Großteil ihrer Gasund Ölimporte aus Russland bezieht, könnten Preissenku­ngen die Chancen von Erdogan bei den türkischen Wahlen im kommenden Jahr verbessern. Erdogan und Putin sprachen nach Angaben beider Regierunge­n am Sonntag über Energie-Fragen; ob die Tanker erörtert wurden, war nicht bekannt.

In dem Telefonat forderte Erdogan nach Angaben des türkischen Präsidiala­mtes die Vertreibun­g syrisch-kurdischer Milizionär­e aus dem Grenzgebie­t zur Türkei. Erdogan droht mit einem Einmarsch nach Syrien, braucht dazu aber grünes Licht von Putin, dem wichtigste­n Partner des syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad.

Die Russland-Politik des türkischen Präsidente­n macht Europa und die USA nervös. Der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell schrieb an das EU-Parlament, die Intensivie­rung der türkisch-russischen Wirtschaft­sbeziehung­en biete „Anlass zu großer Sorge“. Borrell kritisiert­e laut der Funke-Mediengrup­pe zudem, dass sich die Türkei nicht an den westlichen Sanktionen gegen Russland beteilige.

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FOTO: IMAGO Hat mit Wladimir Putin telefonier­t: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

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