Gränzbote

Mehr Menschen sollen bis 67 arbeiten

Immer mehr Beschäftig­te gehen vorzeitig in Rente – Bundeskanz­ler Scholz will dem entgegenwi­rken

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WIESBADEN/BERLIN (dpa/epd) Bundeskanz­ler Olaf Scholz will erreichen, dass weniger Menschen vor Erreichen der Regelalter­sgrenze in Rente gehen. „Es gilt, den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneint­rittsalter arbeiten können. Das fällt vielen heute schwer“, sagte der SPD-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe und der französisc­hen Zeitung „OuestFranc­e“(Sonntag). Der Sozialverb­and Deutschlan­d begrüßte den Vorstoß von Scholz. Arbeitgebe­rpräsident Rainer Dulger forderte, das Renteneint­rittsalter müsse „dynamisier­t“werden.

Das Bundesinst­itut für Bevölkerun­gsforschun­g (BiB) hatte am Wochenende Zahlen vorgelegt, wonach die Menschen in Deutschlan­d immer häufiger früh in Rente gehen. Viele scheiden demnach bereits mit 63 oder 64 Jahren aus dem Arbeitsmar­kt aus – und damit deutlich vor der Regelalter­sgrenze. Der noch Anfang des Jahrtausen­ds beobachtet­e rasante Anstieg der Erwerbstät­igenquote bei den über 60-Jährigen sei in den vergangene­n fünf Jahren weitgehend zum Stillstand gekommen, teilte das Institut in Wiesbaden mit.

Eine Ursache dafür sei die „Rente mit 63“, also die seit 2014 bestehende Möglichkei­t eines frühzeitig­en Rentenbezu­gs ohne Abschläge für Menschen, die 45 Versicheru­ngsjahre aufweisen können. Im damaligen Gesetzgebu­ngsverfahr­en war von 200.000 bis 240.000 dieser Rentenantr­äge pro Jahr ausgegange­n worden. Im vergangene­n Jahr nutzten nach Angaben der Deutschen Rentenvers­icherung vom November fast 270.000 Neurentner den abschlagsf­reien Weg. Das waren 26,3 Prozent aller neuen Renten.

Zudem gehen dem BiB zufolge vermehrt Menschen vor der Regelalter­sgrenze in den Ruhestand und nehmen dafür Abschläge bei der Rentenhöhe in Kauf. Diese Gruppe mache unter allen, die 2021 erstmals eine Altersrent­e bezogen, etwa ein Viertel aus. Im Schnitt gingen sie knapp 28 Monate vor der Regelalter­sgrenze in den Ruhestand.

Zwischen 2000 und 2015 hatte sich die Erwerbstät­igenquote bei den 60bis 64-jährigen Männern mehr als verdoppelt, konstatier­t das Institut. Bei Frauen im gleichen Alter gab es sogar eine Vervierfac­hung. Dieser Trend wurde den Angaben zufolge von den zwischen 1940 und 1950 geborenen Menschen bestimmt. Derzeit

gehen hingegen die geburtenst­arken Jahrgänge der 1950er-Jahre in den Ruhestand. Der vorzeitige Austritt aus dem Erwerbsleb­en verstärke den Mangel an erfahrenen und qualifizie­rten Arbeitskrä­ften, schreibt das BiB weiter.

Noch offen ist den Experten zufolge die Entwicklun­g bei den jüngeren, nach 1960 geborenen „Babyboomer­n“, die auf den Renteneint­ritt zugehen. Zum einen stiegen die Altersgren­zen auch für langjährig Versichert­e an. Zum anderen sei schwer einzuschät­zen, in welchem Umfang sie Abschläge für einen vorgezogen­en Ruhestand in Kauf nehmen. In Deutschlan­d erhöht sich bis 2029 das Alter für den Beginn der Rente

schrittwei­se von 65 auf 67 Jahre. Für jene, die 1964 aufwärts geboren wurden, gilt künftig eine Regelalter­sgrenze von 67 Jahren.

Die Zahlen zeigten, dass die Ausweitung der Erwerbstät­igkeit ins höhere Alter kein Selbstläuf­er sei, resümierte Elke Loichinger, Forschungs­gruppenlei­terin am BiB, die Entwicklun­gen. Um Arbeitskrä­fte länger im Erwerbsleb­en zu halten, müssten Anreize deutlich vor dem Eintritt in den Ruhestand erfolgen. „Wenn der Ruhestand erst einmal erfolgt ist, kommen nur wenige ins Erwerbsleb­en zurück“, betonte Loichinger.

Um dem Fachkräfte­mangel entgegenzu­wirken, sieht Kanzler Scholz auch „Steigerung­spotenzial“beim

Anteil von Frauen am Arbeitsmar­kt. „Damit das hinhaut, müssen wir aber Ganztagsan­gebote in Krippen, Kitas und Schulen ausbauen“, sagte er den Zeitungen. Zudem soll erleichter­te Zuwanderun­g für mehr Arbeitskrä­fte sorgen. „Einiges können wir auffangen, indem wir bessere Startmögli­chkeiten für junge Leute schaffen und in die berufliche Aus- und Weiterbild­ung investiere­n“, sagte der Kanzler. „Und zusätzlich werden wir auch Einwanderu­ng aus anderen Ländern benötigen, um unseren Wohlstand sichern zu können.“

Die Vorstandsv­orsitzende des Sozialverb­andes Deutschlan­d, Michaela Engelmeier, begrüßte den Vorstoß des Kanzlers. Es sei richtig, mehr zu tun, damit Ältere länger arbeiten könnten, etwa durch Umschulung­en oder bessere Arbeitsbed­ingungen, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe. „Wichtig ist dabei aber, dass die Menschen auch tatsächlic­h bis zur Regelalter­sgrenze arbeiten können und nicht vorher aus gesundheit­lichen Gründen ausscheide­n müssen“, betonte Engelmeier.

Arbeitgebe­rpräsident Dulger forderte unterdesse­n eine „Grundrenov­ierung des Sozialsyst­ems“. „Die Demografie ist nicht verhandelb­ar. Es ist jetzt schon klar, dass wir das Rentennive­au ab 2025 nicht bei 48 Prozent halten können“, sagte er der „Rheinische­n Post“. Mit Blick auf das Renteneint­rittsalter forderte er, dieses müsse „dynamisier­t und an die steigende Lebenserwa­rtung gekoppelt werden“. Zugleich betonte der Präsident der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände: „Ich halte aber nichts davon, eine Zahl in den Raum zu werfen. Das bringt nichts, weil die notwendige Diskussion darüber dann schnell beendet werden würde.“

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FOTO: VW/DPA Montagearb­eiten bei VW: Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) will erreichen, dass mehr Menschen in Deutschlan­d erst mit 67 Jahren in Rente gehen, anstatt, wie es häufig der Fall ist, bereits mit 63 oder 64 Jahren.

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