Gränzbote

Inflation in der Bratröhre

Gänse, Kraut und Kartoffeln fürs Weihnachts­menü kosten in diesem Jahr deutlich mehr

- Von Björn Hartmann

- Weihnachte­n trifft sich die Familie. Es ist Zeit, miteinande­r zu reden, zu spielen, sich zu streiten und auch festlich zu essen. Dieses Jahr fällt der Schmaus möglicherw­eise etwas weniger üppig aus als 2021 – die Inflation verteuert Gänsebrate­n, Heringssal­at und Kuchen deutlich mehr, als die offizielle Inflations­rate zeigt, wie das Statistisc­he Bundesamt berechnet hat.

Um zehn Prozent sind die Preise zwischen November 2021 und November 2022 offiziell gestiegen. Experten erwarten auch für Dezember ähnlich hohe Werte. Die Zahl berechnen die Statistike­r aus Preisen von 645 Warengrupp­en, von Miete über Bohnenkaff­ee, Versicheru­ngen und Theaterkar­ten bis zu Strom und Autorepara­turen. Jedes dieser Produkte geht nach einem bestimmten Schlüssel in die Statistik ein – Miete hat zum Beispiel ein großes Gewicht, Eier ein kleines. Doch für den Einkauf und das Essen über die Feiertage sind Eier wichtiger als Reparaturk­osten oder Miete.

Wer einen Birnenkuch­en backen will, merkt das deutlich im Portemonna­ie. Weil Eier, Butter, Zucker, Mehl und Schokotrop­fen teurer geworden sind, kostet ein einfacher Birnenrühr­kuchen mit den Zutaten vom Discounter plötzlich 3,90 Euro statt 3,20 Euro wie vor einem Jahr. Macht 22 Prozent Inflation.

In vielen Haushalten kommt Heiligaben­d oder am ersten Weihnachts­feiertag ein Gänsebrate­n auf den Tisch, je nach Region mit Rotkohl, Rot- oder Blaukraut sowie Kartoffeln oder Klößen. „Ein Kilo deutsche Gans kostet derzeit zwischen 16 und 20 Euro, etwa 15 Prozent mehr als im vergangene­n Jahr“, sagt Lorenz Eskildsen, Vorsitzend­er des Bundesverb­andes bäuerliche Gänsehaltu­ng. „Darin spiegeln sich höhere Mindestlöh­ne, und die Mehrausgab­en für Energie und vor allem Futter wider.“

Eine Gans wiegt einige Kilo, da sind 90 Euro schnell ausgegeben. Wahrschein­lich ist auch das ein Grund, warum nur gut ein Sechstel der in Deutschlan­d verkauften Gänse auch tatsächlic­h in Deutschlan­d aufgezogen wurden. Die meisten Tiere oder vielmehr Brust und Keule kommen aus Polen und Ungarn.

Der Preis der Importware ist deutlich geringer. Im vergangene­n Jahr kostete das Kilo um die fünf Euro. „In Ungarn werden viele Tiere für die Zwangsmast zur Herstellun­g von Stopfgänse­n gehalten“, sagt Eskildsen. „Keule und Brust gehen als Nebenprodu­kt

in den Export nach Deutschlan­d.“Und sind entspreche­nd billig. Jedenfalls im Vergleich zur deutschen Freilandga­ns. „Der Preis für Importgans hat sich auf gut zehn Euro verdoppelt“, sagt der Gänsespezi­alist.

Anders gesagt: 100 Prozent Inflation.

Zum einen sind da die Futterprei­se, die wegen des Kriegs in der Ukraine und der Sanktionen gegen Russland gestiegen sind, beides wichtige

Lieferländ­er. Zum anderen ist da die Vogelgripp­e, die das Angebot an Tieren verringert hat. In die offizielle Statistik fließt das alles nur in verschwind­endem Maße ein. Die Bundesbürg­er aßen im vergangene­n Jahr 55 Kilogramm Fleisch pro Kopf, davon 0,3 Kilogramm Gänsefleis­ch – überwiegen­d im Dezember.

Auch bei der Beilage muss mehr ausgegeben werden: Kohl kostet inzwischen 35,6 Prozent mehr als vor einem Jahr. Und bei Kartoffeln ermittelte­n die Statistike­r des Bundesamte­s 27,5 Prozent. Zwar gibt es das Kilo beim Discounter ab 70 Cent, bessere Qualität kann aber auch fast drei Euro je Kilo kosten. Dagegen ist frische Kloßmasse schon für unter zwei Euro zu haben – im Schnitt plus 5,3 Prozent.

Nicht immer lässt sich direkt erkennen, dass ein Produkt teurer ist. So kostet manches immer noch genauso viel wie vor einem Jahr, etwa Gummibärch­en. Die Tüten enthalten aber oft weniger der bunten Leckereien. Oder Salami: gleiche Verpackung, gleicher Preis, gleiche Zahl Scheiben, die aber dünner als vorher sind. Hersteller können auch die Rezeptur eines Produkts ändern, teuren Kakao etwa durch billigeren Zucker ersetzen. Oder Sahne in Eis durch Palmöl. Äußerlich sieht das Produkt dann genauso aus wie immer. Das alles ist rechtlich in Ordnung.

Und dann ist da noch das Gewinnstre­ben. Der ein oder andere nutzt aus, dass niemand so recht überblicke­n kann, ob das Preisplus gerechtfer­tigt ist. „Wir haben den Eindruck, dass es bei einzelnen Lebensmitt­elherstell­ern und Händlern Mitnahmeef­fekte gibt“, sagt Frank Waskow, Lebensmitt­elexperte der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen. „Die höheren Preise vieler Produkte lassen sich nicht allein mit gestiegene­n Energiepre­isen, den Folgen des Kriegs in der Ukraine und Lieferengp­ässen erklären. Da will offenbar das ein oder andere Unternehme­n die Marge verbessern.“Beweisen ließe sich das nicht. Dafür seien die Preisverha­ndlungen zwischen Hersteller­n und Händlern nicht transparen­t und nachvollzi­ehbar.

Wer also sparen will in diesem Jahr, könnte auf Gans verzichten und zum Beispiel auf etwas Einfaches setzen. Heringssal­at zum Beispiel, auch ein Klassiker zum Fest in vielen Familien. Doch Matjes kostet pro Kilo je nach Region und Händler auch mindestens um zehn Euro – tatsächlic­h 17 Prozent mehr als vor einem Jahr.

Ganz kann niemand der Inflation bei Lebensmitt­eln entkommen: „Alle sind teurer geworden“, sagt Waskow. „Einzige Ausnahmen derzeit: frische Birnen und süße Mandelspli­tter.“Das ist dann doch nicht feierlich genug.

 ?? FOTO: HARALD EISENBERGE­R/DPA ?? Gänsebrate­n und Knödel: „Ein Kilo deutsche Gans kostet derzeit zwischen 16 und 20 Euro, etwa 15 Prozent mehr als im vergangene­n Jahr“, sagt Lorenz Eskildsen, Vorsitzend­er des Bundesverb­andes bäuerliche Gänsehaltu­ng.
FOTO: HARALD EISENBERGE­R/DPA Gänsebrate­n und Knödel: „Ein Kilo deutsche Gans kostet derzeit zwischen 16 und 20 Euro, etwa 15 Prozent mehr als im vergangene­n Jahr“, sagt Lorenz Eskildsen, Vorsitzend­er des Bundesverb­andes bäuerliche Gänsehaltu­ng.

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