Gränzbote

Das schäbige Schillern

George Grosz blickte kritisch auf die „Goldenen Zwanziger“, wie eine Ausstellun­g in der Staatsgale­rie Stuttgart zeigt

- Von Adrienne Braun ●

- Seine schulische Laufbahn endete jäh. Als George Grosz von einem Referendar eine Ohrfeige kassierte, schlug er kurzerhand zurück – und flog von der Schule. Der künstleris­chen Karriere hat das keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: George Grosz entwickelt­e schon früh ein feines Gespür für Machtmissb­rauch und Missstände, die er zum Hauptthema seiner Kunst machte. „Ich versuchte“, sagte er später, „durch meine Arbeiten die Welt zu überzeugen, dass diese Welt hässlich, krank und verlogen ist.“

Heute, 100 Jahre später, sind die Zwanzigerj­ahre Kult und gelten als schillernd und mondän. George Grosz erlebte sie dagegen alles andere als golden. In der Staatsgale­rie Stuttgart geht es deshalb weder um Charleston noch um Bubikopf, sondern es wird ein düsteres Bild der Epoche skizziert. Deshalb ist der Titel „Glitzer und Gift der Zwanzigerj­ahre“auch nur zur Hälfte richtig. Denn die Zeichnunge­n und Aquarelle von Grosz erzählen häufig von Politikern, die das Land in die falsche Richtung lenken und von Männern, die im Ersten Weltkrieg zu Krüppeln gemacht wurden.

Eigentlich wollte die Kuratorin Sabine Rewald die Ausstellun­g ursprüngli­ch im Metropolit­an Museum of Art in New York herausbrin­gen. Das wurde von Corona zunichte gemacht, weshalb die Staatsgale­rie Stuttgart sie nun adaptiert und eigene Papierarbe­iten ergänzt hat. Trotz einiger Gemälde aus anderen Museen liegt der Schwerpunk­t auf den Zeichnunge­n, die aber mindestens so sehenswert sind wie die Bilder. Denn Grosz war nicht nur ein scharfer Beobachter, sondern auch handwerkli­ch extrem versiert. Treffsiche­r

stellte er seine Zeitgenoss­en dar, wie sie sich im „Nachtkaffe­ehaus“tummeln, die Männer trinkend, die Frauen nackt. Er zeigte brüllende Generäle und „Jack the Killer“beim blutigen Lustmord.

Vieles ist oft drastisch und direkt und macht unmissvers­tändlich klar, dass das vermeintli­ch unbeschwer­te Lebensgefü­hl eben auch von Gewalt durchsetzt war. Der Erste Weltkrieg sei „nie richtig zu Ende“gegangen,

meinte Grosz. Und die Kunst sah er als ein Ventil, „das den angestaute­n heißen Dampf entweichen ließ“. Man ahnt, dass diese scharfzüng­igen Zeichnunge­n nicht nur goutiert wurden. Sie brachten dem Künstler Prozesse und Geldstrafe­n ein. „Christus mit der Gasmaske“löste sogar einen veritablen Skandal aus, Grosz musste sich vor Gericht verteidige­n gegen den Vorwurf der Gottesläst­erung. Es war einer von vielen Momenten, die

dem Künstler das Leben in seiner Heimat vergällten. Geboren wurde er 1893 als Georg Groß. Die Umbenennun­g in George Grosz war auch Ausdruck seines Protests gegen Deutschlan­d. Schon früh träumte er von New York. Als die Nationalso­zialisten die Macht an sich rissen, war er einer der Ersten, der als „entarteter“Künstler diffamiert wurde. 1932 zog er nach New York. Während die Nazis seine zurückgela­ssenen Werke verramscht­en oder zerstörten, ging für ihn ein lange gehegter „Wunsch in Erfüllung“. Er baute sich eine neue Karriere auf, eröffnete eine private Kunstschul­e und feierte als Künstler Erfolge.

Die Ausstellun­g in der Staatsgale­rie Stuttgart zeigt, dass gerade auch die Zeichnunge­n nach 100 Jahren nichts von ihrer Kraft und Frische eingebüßt haben. Die Werke wurden lebendig inszeniert, die Räume in verschiede­nen Farben gestrichen und ein Porträt des Künstlers sogar direkt mit Kreide auf die Wand gemalt. Filmaussch­nitte aus „Berlin – Sinfonie der Großstadt“vermitteln das Lebensgefü­hl der Zeit, in der es schon ähnlich voll auf Berlins Straßen war und hupende Autos, bimmelnde Straßenbah­nen und sehr viele Menschen unterwegs waren.

En passant versucht die Schau auch kunsthisto­rische Aspekte zu vermitteln zu Grosz als Dada-Künstler oder auch zum Stilwandel, der sich um 1930 vollzog, sodass die Malerei von Grosz nun plötzlich sehr viel geschmeidi­ger und weicher wirkt. Ausgeführt werden diese Aspekte allerdings nicht – und sind ja auch eigentlich nicht Thema der Schau, weshalb man sich lieber auf das Wesentlich­e konzentrie­rt hätte. Denn das Bild, das Grosz von den 1920ern zeichnet, ist auch für sich sehenswert, zumal man über denkwürdig­e Details stolpert, etwa zu den sexuellen Abgründen. So sieht man auf einer Straßensze­ne eine elegante Dame mit Hut und Pelzkragen, deren Rock komplett durchsicht­ig ist – und verrät, dass sie auf Männerfang ist.

Dauer: bis 26. Februar, geöffnet: Di.-So. 10-17 Uhr, Do. bis 20 Uhr. Mehr unter: www.staatsgale­rie-stuttgart.de

 ?? ??
 ?? FOTOS: STAATSGALE­RIE ?? Zweimal George Grosz: links „Der Mädchenhän­dler“von 1918, rechts „Tatlinisti­scher Plan“von 1920.
FOTOS: STAATSGALE­RIE Zweimal George Grosz: links „Der Mädchenhän­dler“von 1918, rechts „Tatlinisti­scher Plan“von 1920.

Newspapers in German

Newspapers from Germany