Das schäbige Schillern
George Grosz blickte kritisch auf die „Goldenen Zwanziger“, wie eine Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart zeigt
- Seine schulische Laufbahn endete jäh. Als George Grosz von einem Referendar eine Ohrfeige kassierte, schlug er kurzerhand zurück – und flog von der Schule. Der künstlerischen Karriere hat das keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: George Grosz entwickelte schon früh ein feines Gespür für Machtmissbrauch und Missstände, die er zum Hauptthema seiner Kunst machte. „Ich versuchte“, sagte er später, „durch meine Arbeiten die Welt zu überzeugen, dass diese Welt hässlich, krank und verlogen ist.“
Heute, 100 Jahre später, sind die Zwanzigerjahre Kult und gelten als schillernd und mondän. George Grosz erlebte sie dagegen alles andere als golden. In der Staatsgalerie Stuttgart geht es deshalb weder um Charleston noch um Bubikopf, sondern es wird ein düsteres Bild der Epoche skizziert. Deshalb ist der Titel „Glitzer und Gift der Zwanzigerjahre“auch nur zur Hälfte richtig. Denn die Zeichnungen und Aquarelle von Grosz erzählen häufig von Politikern, die das Land in die falsche Richtung lenken und von Männern, die im Ersten Weltkrieg zu Krüppeln gemacht wurden.
Eigentlich wollte die Kuratorin Sabine Rewald die Ausstellung ursprünglich im Metropolitan Museum of Art in New York herausbringen. Das wurde von Corona zunichte gemacht, weshalb die Staatsgalerie Stuttgart sie nun adaptiert und eigene Papierarbeiten ergänzt hat. Trotz einiger Gemälde aus anderen Museen liegt der Schwerpunkt auf den Zeichnungen, die aber mindestens so sehenswert sind wie die Bilder. Denn Grosz war nicht nur ein scharfer Beobachter, sondern auch handwerklich extrem versiert. Treffsicher
stellte er seine Zeitgenossen dar, wie sie sich im „Nachtkaffeehaus“tummeln, die Männer trinkend, die Frauen nackt. Er zeigte brüllende Generäle und „Jack the Killer“beim blutigen Lustmord.
Vieles ist oft drastisch und direkt und macht unmissverständlich klar, dass das vermeintlich unbeschwerte Lebensgefühl eben auch von Gewalt durchsetzt war. Der Erste Weltkrieg sei „nie richtig zu Ende“gegangen,
meinte Grosz. Und die Kunst sah er als ein Ventil, „das den angestauten heißen Dampf entweichen ließ“. Man ahnt, dass diese scharfzüngigen Zeichnungen nicht nur goutiert wurden. Sie brachten dem Künstler Prozesse und Geldstrafen ein. „Christus mit der Gasmaske“löste sogar einen veritablen Skandal aus, Grosz musste sich vor Gericht verteidigen gegen den Vorwurf der Gotteslästerung. Es war einer von vielen Momenten, die
dem Künstler das Leben in seiner Heimat vergällten. Geboren wurde er 1893 als Georg Groß. Die Umbenennung in George Grosz war auch Ausdruck seines Protests gegen Deutschland. Schon früh träumte er von New York. Als die Nationalsozialisten die Macht an sich rissen, war er einer der Ersten, der als „entarteter“Künstler diffamiert wurde. 1932 zog er nach New York. Während die Nazis seine zurückgelassenen Werke verramschten oder zerstörten, ging für ihn ein lange gehegter „Wunsch in Erfüllung“. Er baute sich eine neue Karriere auf, eröffnete eine private Kunstschule und feierte als Künstler Erfolge.
Die Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart zeigt, dass gerade auch die Zeichnungen nach 100 Jahren nichts von ihrer Kraft und Frische eingebüßt haben. Die Werke wurden lebendig inszeniert, die Räume in verschiedenen Farben gestrichen und ein Porträt des Künstlers sogar direkt mit Kreide auf die Wand gemalt. Filmausschnitte aus „Berlin – Sinfonie der Großstadt“vermitteln das Lebensgefühl der Zeit, in der es schon ähnlich voll auf Berlins Straßen war und hupende Autos, bimmelnde Straßenbahnen und sehr viele Menschen unterwegs waren.
En passant versucht die Schau auch kunsthistorische Aspekte zu vermitteln zu Grosz als Dada-Künstler oder auch zum Stilwandel, der sich um 1930 vollzog, sodass die Malerei von Grosz nun plötzlich sehr viel geschmeidiger und weicher wirkt. Ausgeführt werden diese Aspekte allerdings nicht – und sind ja auch eigentlich nicht Thema der Schau, weshalb man sich lieber auf das Wesentliche konzentriert hätte. Denn das Bild, das Grosz von den 1920ern zeichnet, ist auch für sich sehenswert, zumal man über denkwürdige Details stolpert, etwa zu den sexuellen Abgründen. So sieht man auf einer Straßenszene eine elegante Dame mit Hut und Pelzkragen, deren Rock komplett durchsichtig ist – und verrät, dass sie auf Männerfang ist.
Dauer: bis 26. Februar, geöffnet: Di.-So. 10-17 Uhr, Do. bis 20 Uhr. Mehr unter: www.staatsgalerie-stuttgart.de