Kämpfer für einen ganzen Kontinent
Marokko als erstes afrikanisches Team im WM-Halbfinale – Coach zieht Vergleich zu „Rocky“
(dpa) - Das Spektakel in den Straßen von Rabat schaute sich König Mohammed VI. aus der Ferne an. Am Telefon überbrachten Halbfinal-Gegner Emmanuel Macron und WMGastgeber Tamim bin Hamad Al Thani dafür die „wärmsten Glückwünsche“für diese historische Leistung der Marokkaner bei der WM in Katar. Das Mannschaftsfoto der Profis in den roten Trikots und grünen Hosen auf dem Rasen des Al-Thumama-Stadions wird für immer in den Fußball-Geschichtsbüchern zu finden sein: Als erstes afrikanisches Team stehen die Löwen vom Atlas in einem WM-Halbfinale. Und der Trainer denkt bereits an den ganz, ganz großen Coup.
„Warum sollten wir nicht davon träumen, eine WM zu gewinnen? Es kostet nichts, Träume zu haben“, sagte Walid Regragui nach dem ViertelfinalTriumph gegen Portugal. Nach nur acht Spielen als Nationaltrainer führt die Traumreise des Außenseiters den im französischen Corbeil-Essonnes geborenen 47-Jährigen nun ausgerechnet ins Halbfinale gegen Frankreich, das auch der französische Staatspräsident Macron in Katar verfolgen wird. „In allen Ecken des afrikanischen Kontinents, der arabischen und der islamischen Welt hatten die Löwen Millionen Unterstützer hinter sich“, schrieb „Le Matin“in Marokko.
Über eine Halbzeit lang hatte Regraguis Team die 1:0-Führung durch Youssef En-Nesyri (42. Minute) gegen den Ex-Europameister verteidigt. Auch dann noch mit unbändiger Leidenschaft, als die ersten Spieler mit Muskelkrämpfen kämpften. Jeden Befreiungsschlag, jedes gewonnenes Kopfballduell und jeden Ball ins Seitenaus feierten die Anhänger in Rot, jeden Pass der Portugiesen begleiteten sie mit ohrenbetäubenden Pfiffen. „Der Trainer hat in der Halbzeit nicht gesagt: Hoffentlich halten wir noch 45 Minuten durch. Sondern: Es sind nur noch 45 Minuten, um Geschichte zu schreiben“, erzählte Mittelfeldspieler Bilal El Khannous später.
Als alles vorüber war, da warfen Marokkos Spieler und Betreuer Regragui in die Luft, wie schon beim Sieg im Elfmeterschießen gegen Spanien zuvor. Mittelfeldspieler Sofiane Boufal legte mit seiner Mutter ein Tänzchen auf dem Rasen hin. Torwart Bono nahm später freudestrahlend die
Auszeichnung als „Spieler des Spiels“entgegen. „Wir haben eine unglaubliche Leistung gezeigt“, sagte der Profi vom FC Sevilla. Strahlend fügte er während der Pressekonferenz hinzu: „Kneif mich, ich glaube, ich träume.“
Afrika und die WM – das war bislang keine Erfolgsgeschichte. 2010 war Gastgeber Südafrika in der Vorrunde ausgeschieden. In einem WM-Viertelfinale standen bisher nur Kamerun 1990, Senegal 2002 und Ghana 2010 – aber Marokko toppt längst alle. „Es ist sehr hart, uns zu schlagen. Das ist die Botschaft, die ich senden möchte“, sagte Regragui nach dem Triumph. „Es ist kein Wunder. Viele halten es für ein Wunder, vor allem in Europa. Das ist kein Wunder, das ist das Ergebnis harter Arbeit.“
Der 52-malige Nationalspieler Marokkos hat es als ehemaliger Abwehrspieler
geschafft, dass seine Auswahl weiterhin mit nur einem Gegentor durchs Turnier marschiert – und das war ein Eigentor beim 2:1 gegen Kanada. Abdelhamid Sabiri, der in Frankfurt aufwuchs und schon für den 1. FC Nürnberg und SC Paderborn spielte, meinte: „Es ist ein unbeschreibliches Gefühl. Hoffentlich geht’s so weiter.“
Mit diesem Wunsch ist er nicht alleine. Die Begeisterung über den Erfolgslauf der Marokkaner ist grenzenlos. „Es lebe Afrika“, schrieb der frühere Stürmerstar der Elfenbeinküste Didier Drogba. „Der ganze Kontinent unterstützt euch jetzt!“, twitterte der kamerunische Verbandspräsident Samuel Eto'o. Doch die Zuneigung reicht weit über Afrika hinaus. Auch in weiten Teilen der arabischen Welt und bei den vielen in Europa lebenden Marokkanern herrscht pure Ekstase.
„Wir haben so viele Menschen auf der Welt glücklich gemacht“, sagte Regragui und fand einen Vergleich in einer Boxer-Legende, in einem berühmten Film gespielt von Sylvester Stallone: „Wir sind der Rocky dieser WM. Wenn man Rocky Balboa gut findet, dann wegen seiner Leidenschaft. Man muss träumen und daran glauben.“