Sportwunderland
Zum dritten Mal in nur 24 Jahren steht das kleine Kroatien im Halbfinale einer Fußball-WM – Was ist das Erfolgsrezept?
DOHA (dpa) - Wie klein das Sportwunderland Kroatien eigentlich ist, macht ein Zahlenspiel deutlich: Argentiniens Superstar Lionel Messi hat weltweit etwa 100-mal so viele Anhänger, wie im Land des WM-Halbfinal-Gegners Menschen leben. Konkret heißt das: Messi folgen allein im sozialen Netzwerk Instagram rund 387 Millionen Nutzer. Kroatien dagegen hat etwa 3,9 Millionen Einwohner.
Dass das kleine Land am Dienstag (20 Uhr/ARD und Magenta TV) zum zweiten Mal nacheinander im Halbfinale einer Fußball-WM steht, ist allein vor diesem Hintergrund ein großer Erfolg. Und die Kroaten wissen das genau: „Vier Millionen Menschen. Drei Weltmeisterschaftshalbfinals. In 24 Jahren“, schrieb der kroatische Fußballverband HNS nach dem spektakulären 4:2-ViertelfinalSieg im Elfmeterschießen gegen den Turnierfavoriten Brasilien.
2018 hatten Luka Modric und Co. sogar das Endspiel erreicht, 1998 war die Generation um Davor Suker und Robert Prosinecki erst im Halbfinale ausgeschieden. „Wir sind stolz bis zum Himmel, dass Kroatien wieder zu den besten vier Mannschaften der Welt gehört. Die ganze Welt schaut auf Kroatien und bewundert unseren Charakter, unser Wissen und unsere Qualität“, sagte der aktuelle Trainer Zlatko Dalic am Tag nach dem Überraschungserfolg gegen Brasilien.
Doch worin genau liegt dieser Charakter und diese Qualität? Wie ist zu erklären, dass die Kroaten nicht nur regelmäßig Weltklassefußballer wie Luka Modric (Real Madrid), sondern auch Weltklassehandballer (Olympiasieger 1996 und 2004) oder zumindest bis in die 1990er-Jahre hinein auch Weltklassebasketballer wie Toni Kukoc (Chicago Bulls) herausgebracht haben? Der Stürmer Andrej Kramaric von 1899 Hoffenheim kam bereits 2018 bei jedem Spiel zum Einsatz und gehört auch diesmal zum Kader. Für seine
Erklärung holt der 31-Jährige sehr weit aus. „Für Außenstehende ist das schwer zu begreifen. Aber wir alle sind Kinder der Kriegsgeneration und
aufgewachsen in dem Bewusstsein, dass Bekannte oder Verwandte für die Unabhängigkeit unseres Landes ihr Blut vergossen haben, damit wir heute in Frieden leben können“, sagte Kramaric in einem „11Freunde“-Interview. „Wir haben von unseren Eltern mitbekommen, für das Land durchs Feuer zu gehen, was eine besondere Energie bei jedem hervorruft, der sich das Trikot überstreift.“
Dieses Phänomen gibt es nicht nur in Kroatien. Auch Länder wie Dänemark (5,8 Millionen) oder Uruguay (3,5 Millionen) bringen in Relation zu ihrer Einwohnerzahl bemerkenswert viele herausragende Sportler hervor. Doch während der dänische FußballVerband dafür viel in die Ausbildung seiner Jugendtrainer investiert und Uruguay ein zentralisiertes Nachwuchsund Sichtungssystem unterhält, versuchen die Kroaten offenbar gerade nicht, alles zu akademisieren.
„Wir haben auch professionelle und moderne Jugendakademien“, sagte der ehemalige HSV-Stürmer Mladen Petric der „Süddeutschen Zeitung“. „Aber in Kroatien soll jeder Spieler seine Persönlichkeit entfalten können. Wenn jemand immer schon der Typ Straßenkicker war, dann darf er das auch bleiben. Davon haben wir übrigens genug: An jeder Ecke zocken Kinder mit dem Ball. Das ist fast schon wie in Brasilien.“
Petric ist genau wie der langjährige Barcelona-Star Ivan Rakitic in der Schweiz aufgewachsen. Manchmal profitiert das Nationalteam auch von den vielen Diaspora-Kroaten überall auf der Welt. Aus dem aktuellen Kader wurde zum Beispiel Mateo Kovacic (FC Chelsea) in Linz geboren und Josip Stanisic (FC Bayern) in München. All die großen und weniger bekannten Namen formte Zlatko Dalic zu einem eingeschworenen Team, obwohl ihm das wegen seiner eigenen vergleichsweise bescheidenen Vita als Trainer und Spieler anfangs kaum jemand zugetraut hatte. „Solange ich Trainer bin“, sagte der 56-Jährige erst am Samstag, „wird die Nationalmannschaft ein Ort des Patriotismus, des Zusammenhalts, der sportlichen Qualität und der kroatischen Flagge sein.“