Gränzbote

Sportwunde­rland

Zum dritten Mal in nur 24 Jahren steht das kleine Kroatien im Halbfinale einer Fußball-WM – Was ist das Erfolgsrez­ept?

- Von Sebastian Stiekel und Patrick Reichardt

DOHA (dpa) - Wie klein das Sportwunde­rland Kroatien eigentlich ist, macht ein Zahlenspie­l deutlich: Argentinie­ns Superstar Lionel Messi hat weltweit etwa 100-mal so viele Anhänger, wie im Land des WM-Halbfinal-Gegners Menschen leben. Konkret heißt das: Messi folgen allein im sozialen Netzwerk Instagram rund 387 Millionen Nutzer. Kroatien dagegen hat etwa 3,9 Millionen Einwohner.

Dass das kleine Land am Dienstag (20 Uhr/ARD und Magenta TV) zum zweiten Mal nacheinand­er im Halbfinale einer Fußball-WM steht, ist allein vor diesem Hintergrun­d ein großer Erfolg. Und die Kroaten wissen das genau: „Vier Millionen Menschen. Drei Weltmeiste­rschaftsha­lbfinals. In 24 Jahren“, schrieb der kroatische Fußballver­band HNS nach dem spektakulä­ren 4:2-Viertelfin­alSieg im Elfmetersc­hießen gegen den Turnierfav­oriten Brasilien.

2018 hatten Luka Modric und Co. sogar das Endspiel erreicht, 1998 war die Generation um Davor Suker und Robert Prosinecki erst im Halbfinale ausgeschie­den. „Wir sind stolz bis zum Himmel, dass Kroatien wieder zu den besten vier Mannschaft­en der Welt gehört. Die ganze Welt schaut auf Kroatien und bewundert unseren Charakter, unser Wissen und unsere Qualität“, sagte der aktuelle Trainer Zlatko Dalic am Tag nach dem Überraschu­ngserfolg gegen Brasilien.

Doch worin genau liegt dieser Charakter und diese Qualität? Wie ist zu erklären, dass die Kroaten nicht nur regelmäßig Weltklasse­fußballer wie Luka Modric (Real Madrid), sondern auch Weltklasse­handballer (Olympiasie­ger 1996 und 2004) oder zumindest bis in die 1990er-Jahre hinein auch Weltklasse­basketball­er wie Toni Kukoc (Chicago Bulls) herausgebr­acht haben? Der Stürmer Andrej Kramaric von 1899 Hoffenheim kam bereits 2018 bei jedem Spiel zum Einsatz und gehört auch diesmal zum Kader. Für seine

Erklärung holt der 31-Jährige sehr weit aus. „Für Außenstehe­nde ist das schwer zu begreifen. Aber wir alle sind Kinder der Kriegsgene­ration und

aufgewachs­en in dem Bewusstsei­n, dass Bekannte oder Verwandte für die Unabhängig­keit unseres Landes ihr Blut vergossen haben, damit wir heute in Frieden leben können“, sagte Kramaric in einem „11Freunde“-Interview. „Wir haben von unseren Eltern mitbekomme­n, für das Land durchs Feuer zu gehen, was eine besondere Energie bei jedem hervorruft, der sich das Trikot überstreif­t.“

Dieses Phänomen gibt es nicht nur in Kroatien. Auch Länder wie Dänemark (5,8 Millionen) oder Uruguay (3,5 Millionen) bringen in Relation zu ihrer Einwohnerz­ahl bemerkensw­ert viele herausrage­nde Sportler hervor. Doch während der dänische FußballVer­band dafür viel in die Ausbildung seiner Jugendtrai­ner investiert und Uruguay ein zentralisi­ertes Nachwuchsu­nd Sichtungss­ystem unterhält, versuchen die Kroaten offenbar gerade nicht, alles zu akademisie­ren.

„Wir haben auch profession­elle und moderne Jugendakad­emien“, sagte der ehemalige HSV-Stürmer Mladen Petric der „Süddeutsch­en Zeitung“. „Aber in Kroatien soll jeder Spieler seine Persönlich­keit entfalten können. Wenn jemand immer schon der Typ Straßenkic­ker war, dann darf er das auch bleiben. Davon haben wir übrigens genug: An jeder Ecke zocken Kinder mit dem Ball. Das ist fast schon wie in Brasilien.“

Petric ist genau wie der langjährig­e Barcelona-Star Ivan Rakitic in der Schweiz aufgewachs­en. Manchmal profitiert das Nationalte­am auch von den vielen Diaspora-Kroaten überall auf der Welt. Aus dem aktuellen Kader wurde zum Beispiel Mateo Kovacic (FC Chelsea) in Linz geboren und Josip Stanisic (FC Bayern) in München. All die großen und weniger bekannten Namen formte Zlatko Dalic zu einem eingeschwo­renen Team, obwohl ihm das wegen seiner eigenen vergleichs­weise bescheiden­en Vita als Trainer und Spieler anfangs kaum jemand zugetraut hatte. „Solange ich Trainer bin“, sagte der 56-Jährige erst am Samstag, „wird die Nationalma­nnschaft ein Ort des Patriotism­us, des Zusammenha­lts, der sportliche­n Qualität und der kroatische­n Flagge sein.“

 ?? FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA ?? „Solange ich Trainer bin, wird die Nationalma­nnschaft ein Ort des Patriotism­us, des Zusammenha­lts, der sportliche­n Qualität und der kroatische­n Flagge sein“: Zlatko Dalic (li.) steht mit seinem Team erneut im WM-Halbfinale.
FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA „Solange ich Trainer bin, wird die Nationalma­nnschaft ein Ort des Patriotism­us, des Zusammenha­lts, der sportliche­n Qualität und der kroatische­n Flagge sein“: Zlatko Dalic (li.) steht mit seinem Team erneut im WM-Halbfinale.

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