Kritik an der Gas- und Strompreisbremse
Chemieverband hält Obergrenzen für zu niedrig – Energiekrise kostet die deutsche Wirtschaft 180 Milliarden Euro
BERLIN (AFP/dpa/sz) - Mit Kritik hat der Verband der Chemischen Industrie (VCI) auf die vom Bundestag beschlossene Energiepreisbremse reagiert und fordert Änderungen für die Chemieindustrie. Die Förderobergrenzen für Großverbraucher seien zu niedrig, kritisierte er und wandte sich etwa gegen verschärfte Regelungen zu Boni- und Dividendenzahlungen. So hatte sich die Ampel-Koalition darauf verständigt, dass Unternehmen ab 50 Millionen Euro erhaltener Staatshilfe keine Boni und Dividenden auszahlen dürfen. Auch müssten Nutznießer bis April 2025 mindestens 90 Prozent des heutigen Beschäftigungsniveaus garantieren. Steilemann forderte eine „vollkommen auflagenfreie“Gaspreisbremse.
Die Chemie- und Pharmabranche ist nach früheren Angaben mit einem
Anteil von 15 Prozent größter deutscher Gasverbraucher und steht für ein Drittel des gesamten Industrieverbrauchs. Sie benötigt Gas als Energiequelle und Rohstoff zur Weiterverarbeitung, etwa für Kunststoffe, Arzneien und Dünger. Auch ist die Chemie als Lieferant etwa für die Auto-, Konsumgüter- und Bauindustrie konjunkturabhängig.
Der Bundestag hat am Donnerstag die Preisbremsen für Gas und Strom gebilligt, mit denen die Verbraucherinnen und Verbraucher vor übermäßigen Energiekosten geschützt werden sollen. Die Entlastungen greifen ab März 2023, sollen rückwirkend aber auch für Januar und Februar gelten. Um Anreize zum Einsparen beizubehalten, gelten sie aber jeweils nur für einen Teil des Verbrauchs.
Die Preisbremsen gelten zunächst bis Ende kommenden Jahres. Eine Verlängerung bis April 2024 ist vorgesehen, darüber müsste aber noch entschieden werden. Finanziert werden sollen die Maßnahmen aus dem kreditfinanzierten 200-Milliarden-EuroAbwehrschirm der Regierung, bei der Strompreisbremse zum Teil auch durch ein Abschöpfen sogenannter Übergewinne von Unternehmen.
Für die Industrie gelten bei den Preisbremsen jeweils eigene Grenzen und Preisdeckel. Hier sind die Hilfen zudem mit Auflagen wie einer Begrenzung von Dividenden und Bonizahlungen verknüpft. Über einen Härtefallfonds sollen auch hohe Preissteigerungen für Haushalte mit Öl- oder Pelletheizungen teilweise aufgefangen werden. Verknüpft sind die Maßnahmen mit besseren Ausschreibungsbedingungen
für neue Windkraft- und Solaranlagen. Der Bundesrat muss die Regelungen noch billigen, was aber als sicher gilt.
Kritik kam auch vom Hauptverband des deutschen Einzelhandels (HDE). Ein Problem ist aus Sicht des HDE der im EU-Beihilferahmen festgelegte Referenzzeitraum 2021. „Viele Handelsunternehmen waren im vergangenen Jahr vom Lockdown betroffen. Die Werte aus dem Jahr 2021 sind daher überhaupt nicht repräsentativ“, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Hier bestehe dringender Nachbesserungsbedarf. Es müsse einen Korrekturfaktor zur Berücksichtigung von LockdownZeiten geben.
Die Strom- und Gaspreisbremsen werden nach Ansicht von Konjunkturforschern den Anstieg der Verbraucherpreise
im kommenden Jahr um deutlich mehr als einen Prozentpunkt reduzieren. Das RWI-LeibnizInstitut für Wirtschaftsforschung rechnet damit, dass die Preissteigerung nach 7,9 Prozent in diesem Jahr auf 5,8 Prozent im kommenden und 2,5 Prozent im Jahr 2024 zurückgehen wird.
Die Energiekrise laste schwer auf der deutschen Wirtschaft und dürfte in absehbarer Zeit vier Prozent der Wirtschaftsleistung kosten. Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) erklärte am Donnerstag, verglichen mit den Konjunkturerwartungen vor Russlands Angriff auf die Ukraine reduziere sich die Wirtschaftsleistung allein 2022 und 2023 um 180 Milliarden Euro und werde „am Ende dieses Zeitraums“vier Prozent niedriger sein.