Gränzbote

„Jetzt beginnt die wahre WM“

Elmar Paulke lebt den Darts-Sport und hat keine Lust mehr auf eine bestimmte Diskussion

- Von Felix Alex

RAVENSBURG - Wenn die Pfeile fliegen, ist er nicht weit: Elmar Paulke. Seit beinahe 20 Jahren ist er die Stimme des Darts-Sports in Deutschlan­d. Seit 2004 kommentier­t Paulke alle Events des Profi-Darts-Verbandes (PDC), bis Januar 2018 für Sport1, seitdem für DAZN. Zum Einstieg der Deutschen in die WM in London hat der 52-Jährige über seinen Favoriten, die Schönheit des Sports sowie die Zukunft des Darts gesprochen.

Herr Paulke, die Darts-WM startete einen Tag, nachdem das zweite Fußball-WM Halbfinale gespielt wurde. Warum raten Sie allen Fans, nun direkt die Sportarten zu wechseln – beziehungs­weise allen WM-Boykotteur­en nun den Fernseher einzuschal­ten?

Zum einen war das nun der Start der wahren WM. Das ist die Weltmeiste­rschaft, die in den Monat Dezember passt und mit großer Tradition den ersten Weltmeiste­r des Jahres (am 3. Januar; d. Red.) kürt. Wo wir gerade beim Thema Fußball sind, und ich bin ja auch Fan, moderiere die Bundesliga-Show „der Spieltag“, aber gerade das, was da in Richtung der FIFA passiert ist rund um die WM-Vergabe, war ein Skandal. In London dagegen haben wir jetzt eine Weltmeiste­rschaft mit bodenständ­igen Akteuren. Mit einem Spiel, das so einfach und simpel ist und das beinahe so gespielt wird wie vor 100 Jahren und das ist doch etwas Wunderbare­s – gerade auch als Kontrast zur Fußball-WM.

Ist so ein Turnier in Zeiten der Krisen – mit Ukraine-Krieg, Inflation, den Sorgen um die Energie – das, was die Menschen brauchen? Oder gibt es auch hier Tendenzen, dass es nicht nur ausschließ­lich eine große Party sein wird?

Ich glaube, dass die Reise nach England für deutsche Dartsfans teurer geworden ist und daher nicht solche Massen anreisen wie noch in den vergangene­n Jahren. Ob Spieler nun groß politische Botschafte­n zeigen oder Fans mit besonders kritischen Bannern aufwarten, kann ich mir nicht vorstellen. Es würde mich überrasche­n. Denn diese unfassbare Stimmung ist es doch, die die meisten Fans einfach genießen wollen.

Nicht nur der harte Kern der Fans hat mittlerwei­le verinnerli­cht, dass es ernster Sport und kein Kneipenspa­ß ist. Macht sich der Sport durch seine Dauerparty nicht auch Seriosität kaputt?

Die große Party drumherum ist ja auch eine Schwierigk­eit für die Spieler und spielt in den Reiz der gesamten Sportart mit herein. In einem Mentalspor­t, in dem man normalerwe­ise absolute Ruhe erwartet, wie etwa auch im Golf oder beim Tennis, ist das eine große Herausford­erung. Wenn die Profis trainieren, kommen sie viel einfacher in ihren Flow, in dem sie auf höchsten Level agieren können. Im Profi-Darts gibt es dann aber eine Menge Dinge, die dich aus diesem perfekten Zustand rausholen können. Die Zuschauer nehmen einen direkten Einfluss und wenn sie das merken, wenn sich etwa ein Spieler umdreht oder Gesten macht, dann werden sie immer lauter. Und in welcher Sportart kann man schon aktiver Teil des Spiels sein.

Möchte der Sport überhaupt seriöser sein oder ist es gerade die wogende Welle an Party-Menschen, die den großen Reiz ausmacht?

Das ist ein seriöser Sport. Ich habe über die Jahre die Erkenntnis gewonnen, dass Darts, ähnlich wie Tennis, ein Spiel der Fehler ist. Am Ende gewinnt der das Match oder die WM, der am besten mit seinen Fehlern umgehen kann. Wenn ich etwa einen 100er-Average spiele, also DreiDarts-Durchschni­tt, und ich mit 15 Darts ein Leg checke, also von 501 genau auf null werfe, dann werde ich zwar immer siebenmal das TripleFeld getroffen, aber auch immer acht Darts am eigentlich­en Ziel vorbeigewo­rfen haben – und das bei einer Weltklasse­leistung. Diese sieben Fehler gehören also unweigerli­ch mit dazu.

Dadurch geht so ein Spiel auf einem Weltklasse­niveau auch immer hin und her und hält die Spannung für die Zuschauer, oder?

Richtig, das Momentum wechselt sehr oft. Diese Wendungen kommen immer zu den Zeitpunkte­n, bei denen Spieler nicht verkraften, dass sie wieder und wieder das Ding in das falsche Feld gehauen haben. Das Spiel ist auf dem Niveau ein einziger Umgang mit Fehlern. So kippen die Matches teilweise abrupt hin und her und das ist sehr anspruchsv­oll. Diese Jungs wie Michael van Gerwen oder Gerwyn Price sind mental eben unfassbar gut.

Das sind nur zwei dieser bunten Sportler, die Darts so einzigarti­g machen – wie auch Peter Wright als Parade-Paradiesvo­gel. Würde man diese Sportler in Anzughose und Hemd stopfen, würde der Sport sich etwas Besonderes nehmen, oder?

Es geht auch um die Typen, die Charaktere. Einen van Gerwen siehst du einmal und vergisst dein ganzes Leben nicht mehr. Die haben oft einen riesigen Wiedererke­nnungswert. Auch das ist eine Stärke des Sports und darauf legt auch die PDC schon von Anfang an großen Wert.

Werden wir sportlich und beginnen mit den deutschen Startern. Erst einmal der fehlende Max Hopp, jahrelang das Aushängesc­hild des Landes, verpasst wieder das Großereign­is. Wie ist ihr Kontakt und kommt Max irgendwann aus dem Kreislauf raus?

Er ist ja auch als Experte immer bei DAZN mit dabei, auch bei dieser WM. Er hat eine ganz schwierige Saison hinter sich und einen ganz har

ten Punkt, weil er aus den Top 64 der Welt rausrutsch­t. Damit hat er keine Tourcard mehr und muss Qualifying­turniere spielen. Max hofft darauf, dass der Wendepunkt kommt, aber er hatte jüngst immer wieder eben solche Momente, in denen er dem Druck nicht standhalte­n konnte. Er verkraftet aktuell seine Fehler nicht und das zerreißt ihm das Spiel. Es ist eben ein Kopfspiel.

Gabriel Clemens, Martin Schindler, Florian Hempel. Was können wir von den dreien erwarten? Für eine Überraschu­ng sind die alle gut.

Die Auslosung ist hart. Florian spielt am Freitagabe­nd (ab 22 Uhr/Sport1 und DAZN) gegen Keegan Brown und ich glaube, dass er ihn schlägt, danach würde aber schon die Nummer 5 der Welt, Luke Humphries warten. Puh, das wird schwer, aber Flo liebt die Stimmung im Ally Pally. Gaga als Nummer 25 der Welt traue ich immer alles zu. Martin Schindler hat noch nie ein Match bei der WM gewonnen und das wird endlich mal Zeit, danach würde allerdings wohl Michael Smith warten und der wird nach dem Sieg beim Grand Slam of Darts eine geile WM spielen.

Schon sind wir bei den Titel-Favouriten. Smith, Price, van Gerwen oder eben auch Peter Wright. Wer ist derzeit am stärksten? Smith hat sein erstes Major gewonnen, MvG scheint wieder in der Spur.

Für mich ist van Gerwen sehr in der Spur und ist mit neun Turniersie­gen und vier Major-Titeln der Spieler des Jahres 2022. Das ist mein Topfavorit auf den Titel. Price hat viel Preisgeld von vor zwei Jahren zu verteidige­n. Peter Wright ist durch die gesundheit­lichen Probleme seiner Frau etwas angeschlag­en und man muss sehen, wie er ins Turnier kommt.

Die WM fördert auch immer Überraschu­ngen zutage, auf wen sollten wir achten?

Josh Rock ist eine heiße Nummer. Nordire, 21 Jahre alt, der in den vergangene­n Monaten unfassbar gut gespielt hat und zum ersten Mal bei der WM dabei ist. Wer wie jüngst im größten Match seines Lebens gegen MvG einen Neundarter wirft, dem ist alles zuzutrauen. Ich bin aber auch gespannt auf Beau Greaves. Sie ist mit ihren 18 Jahren schon jetzt die stärkste Frau und hat mit 52 Siegen in Folge sogar Fallon Sharrock kurzzeitig aus der WM rausgehaue­n.

Der 66-jährige Altmeister Paul Lim ist dieses Jahr leider nicht dabei, ist es schade, dass immer mehr so kauzige Randgestal­ten herausfall­en, weil das Niveau so unfassbar hoch wird?

Der Sport ist mehr in die Breite gegangen und das Gesamtnive­au ist immer höher geworden. Mit dem Level, mit dem man 2015 noch Weltspitze war, ist man es heute wohl nicht mehr. In so einem Turnier jetzt, können sich viele Spieler rausnehmen, weil sie auch mal einen 110er Average spielen können. Ich glaube, das Turnier wird derjenige gewinnen, der im richtigen Moment auch etwas Dusel hat. An Geschichte­n sind wir bei der WM aber auch ohne Paul Lim gut aufgestell­t. Vergessen wir die Raymond van Barneveld-Story nicht, der fünfmalige Weltmeiste­r, der gerade die beste Phase seit seinem Comeback erlebt und in der dritten Runde auf Price treffen würde. Da werden wir alle auf den 55-Jährigen schauen.

Allgemein ist es ja das Schöne am Sport, dass es nicht auf die körperlich­en Voraussetz­ungen, das Alter oder viele Muskeln ankommt. Wie kann es eigentlich sein, dass Menschen sich noch diesem Sport entziehen können?

Das ist eine gute Frage. Für einige ist es immer noch kein Sport, weil es kein athletisch­er Sport ist. Kleine Pfeile über eine Distanz von 2,37 m zu werfen, ist eben erst einmal keine körperlich­e Höchstleis­tung. Das sind aber vielleicht auch diejenigen, die sich auf den Sport überhaupt nicht einlassen wollen. Und das musst du, damit du die Spannung begreifst und die Fähigkeite­n der Profis verstehst. Dass es kein Sport ist, über diesen Fakt muss man nicht mehr diskutiere­n. Nach 17 Jahren im Profidarts habe ich auf solche Leute und Diskussion­en aber auch keine Lust mehr.

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FOTO: HIRNSCHAL/IMAGO Elmar Paulke (li.) mit seinem Titel-Topfavorit­en Michael van Gerwen.

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