Gränzbote

Doppelmora­l der Deutschen

- Von Igor Steinle politik@schwaebisc­he.de

Deutschlan­d nimmt für sich in Anspruch, mit seiner Energiewen­de Vorbild für die Welt zu sein. Doch im Ausland sieht man die Bundesrepu­blik vor allem als Vorreiter in Doppelmora­l. Die Niederländ­er etwa drängte man in der Krise, ihr Gasfeld bei Groningen auszubeute­n, obwohl die Förderung dort bereits Schäden hinterläss­t. Gleichzeit­ig verweigert­e man sich lange, den Nachbarn die Erschließu­ng eines Gasfeldes in der deutschen Nordsee zu gestatten, worüber man dort nicht schlecht staunte.

Aber auch beim Thema Fracking ist man hierzuland­e moralisch erstaunlic­h flexibel. Wer die Technologi­e anwenden will, gilt in gewissen Kreisen quasi als Brunnenver­gifter. Dass Fracking jedoch inzwischen weltweit erprobt und sicher ist, wird beharrlich ignoriert. Gleichzeit­ig ist man aber begierig, Fracking-Gas in schwindele­rregendem Ausmaß aus den USA zu importiere­n, was durch den Transporta­ufwand sehr viel klimaschäd­licher ist, als es heimische Förderung nach hohen Umweltstan­dards wäre.

Als Gegenargum­ent wird oft genannt, dass Gas bald nicht mehr gebraucht würde. Dies klammert aber aus, dass für die Herstellun­g von Wasserstof­f noch jede Menge davon benötigt wird. Denn bis ausreichen­d Ökostrom für die Herstellun­g von „grünem“Wasserstof­f verfügbar ist, dauert es noch Jahrzehnte. Wer einen schnellen Hochlauf will, muss daher zunächst auf Erdgas setzen. Das bei der Herstellun­g anfallende CO2 kann unter der Erde verpresst werden. Doch auch hier gilt das inoffiziel­le Motto der deutschen Energiewen­de: Die Drecksarbe­it sollen die anderen machen. Das CO2 wird künftig wohl teuer nach Norwegen gepumpt.

Von der Kernenergi­e will man gar nicht mehr anfangen. Das tun aber die anderen: Weder für Tschechien, Polen, die Niederland­e, England, Frankreich, die Slowakei oder Japan, wo man überall neue Kernkraftw­erke plant, scheint die Energiewen­de à la Deutschlan­d nachahmens­wert.

Woran die Debatte hierzuland­e krankt: Ständig wird ein ideologisc­her Glaubensst­reit zwischen erneuerbar­er und fossiler Energie ausgefocht­en. Für Deutschlan­d wäre es daher an der Zeit, vom hohen moralische­n Ross, auf dem man ohnehin nicht mehr ernst genommen wird, herabzuste­igen. Denn ähnlich wie beim Fußball gilt auch in der Energiepol­itik: Mit Moral allein lässt sich nichts gewinnen – erst recht nicht mit Doppelmora­l.

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